Nach Verdun. Jan Eik
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Название: Nach Verdun

Автор: Jan Eik

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

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isbn: 9783955520038

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СКАЧАТЬ sie hörten aber deutlich die sonore Stimme Karl Liebknechts: «Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!»

      «Bravo!», rief Trampe.

      «Pfui!», schrie Galgenberg.

      Kappe lag mit seiner Meinung irgendwo dazwischen und wusste nicht so recht, wie er seine Gefühle in Worte fassen sollte. Außerdem … Er rammte Galgenberg den Ellenbogen in die Seite.

      «Mensch, da ist der Bergmann!»

      Richtig, der Mann, der da etwa zehn Meter von ihnen entfernt an einem Laternenpfahl lehnte, musste es sein. Stichwort: Neandertaler.

      Nun ging alles ganz schnell. In dem Moment, als sie sich durch die Menge drängeln wollten, um Ernst Bergmann zu verhaften, wurde Karl Liebknecht, der kurz zuvor festgenommen worden war, inmitten eines Knäuels von Polizisten zur Wache abgeführt.

      «Hoch, Liebknecht!», rief Theodor Trampe.

      Sofort waren zwei Polizisten zur Stelle, um auch ihn zu arretieren.

      Kappe zögerte keinen Augenblick, den Freund herauszuhauen, und zückte seine Marke.

      «Das ist meiner, den habe ich schon festgenommen, der hat mir eins aufs Auge gegeben.»

      Da unter dem Pflaster auf der Augenbraue noch alles blau war, zog dieses Argument, und man ließ Trampe los.

      Als sich Kappe wieder auf Bergmann konzentrieren wollte, war der verschwunden. Nein, Galgenberg war ihm noch dicht auf den Fersen …

      Doch auch Galgenberg hatte keinen Erfolg, denn die Berittenen hatten inzwischen blankgezogen, und ein Hieb mit der flachen Seite eines Säbels warf ihn nieder.

      DIE BACKSTEINERNEN GEBÄUDE der Firma «Klaucke & Kutzner, Telegraphenkabel & Zubehör» standen weit draußen im Norden der Stadt, auf einem öden Grundstück an der Flottenstraße. Immerhin in der Nähe des Bahnhofs Reinickendorf an der Vorortstrecke nach Velten, so dass Karl Nassmacher morgens vom Ringbahnhof Stralau-Rummelsburg kaum mehr als fünfzig Minuten bis hier hinaus benötigte. An die Eisenbahnfahrt 3. Klasse war er seit Jahren gewöhnt, und er wäre nie auf die Idee gekommen, sich etwa am nahen Wedding eine Behausung zu suchen. Als jung zugewanderter Werneuchener fühlte er sich ganz als eingeborener Berliner. Und ein Berliner blieb seinem Kiez treu, selbst wenn sein Quartier, genau betrachtet, knapp außerhalb der eigentlichen Stadtgrenze lag, in Boxhagen-Rummelsburg, das zur jungen Stadt Lichtenberg gehörte.

      In der Gryphiusstraße bewohnte er ein möbliertes Zimmer bei der Gardeoffizierswitwe Knippenhain, die einerseits über ihn und den betagten Lehrer Mehlhase, den Mieter des zweiten Zimmers nach vorn raus, ihr strenges Regiment führte, ihn andererseits jedoch auch ein wenig bemutterte, als Ersatz für den als Leutnant im Felde stehenden Sohn. Seine Gedanken über den Sohn und den Krieg behielt Karl Nassmacher tunlichst für sich. Und dass er den Vorwärts las, schien die Witwe nicht zu erschüttern. Ihr Interesse an Geschriebenem beschränkte sich auf die unregelmäßig eintreffenden Briefe des Herrn Leutnant aus Belgien - eine Zeitung zu lesen hielt sie für unter ihrer Würde. Nur Mehlhase ließ sich gelegentlich auf hitzige Diskussionen mit dem radikalen Agitator ein, als den er Nassmacher ansah.

      Ein weiterer Grund, die freundliche Gegend um den Boxhagener Platz nicht zu verlassen, existierte seit nunmehr gut einer Woche nicht mehr: die gemeinsame, meist wortlose Fahrt zur Arbeit mit Emil Wasikowsky, der mit seiner Minna in Alt-Boxhagen dem Friedhof gegenüber gewohnt hatte. Am vergangenen Freitag hatten sie den alten Meister zu Grabe getragen. Nassmacher hatte ihn in den dreizehn Jahren seiner eigenen Tätigkeit bei Klaucke & Kutzner mehr und mehr schätzen gelernt. Ohne Wasikowsky wäre in dieser Bude wahrscheinlich seit Jahren kein einziger Meter Telegraphenkabel mehr gefertigt worden. Die Firma, noch vor dem Krieg mit ihren überalterten Bottichen und Maschinen aus einer baufälligen Remise am Ostbahngelände hierher in die Flottenstraße umgesiedelt, bestand eigentlich nur aus dem nie gesehenen Teilhaber Klaucke, dem ebenso redseligen wie unfähigen Direktor Kutzner - und Emil Wasikowsky, dem Einzigen, dem es gelang, dass am Ende der musealen Fertigungsstrecke tatsächlich daumendicke schwarze Kabel auf Trommeln gewickelt und verkauft wurden. Mit zunehmend hohem Gewinn, so wusste Nassmacher von Wasikowsky - wie überhaupt nahezu alles, was er über den Betrieb wusste, von Wasikowsky stammte.

      Neben mancher drohenden Gebärde und gelegentlichen schmerzhaften Rippenstößen erfuhr er von ihm die Grundbegriffe der Schlosserei und der Kabelfertigung sowie Kenntnisse aus einem guten halben Dutzend anderer Berufe. Er lernte, was Guttapercha war und wie man daraus unter Zusatz von Holzteer und Harz die Isoliermischung Chatterton-Compound herstellte, und er verbrachte Tage damit, das korrekte Verlöten der Kupferadern beim Verlängern zu üben.

      Zu Wasikowskys Genugtuung erwies sich Karl Nassmacher als ein anstelliger Lehrling mit beinahe ebenso goldenen Händen wie der Alte selber. Nach vier Jahren hatte es jedenfalls zu einem Gesellenbrief gereicht. Schweren Herzens musste sich Kutzner zu einem Hungerlohn für den Vorarbeiter herablassen, als den sich Nassmacher trotz seines immer noch jugendlichen Alters nach weiteren drei Jahren bezeichnen durfte. Während Wasikowsky sich weiterhin um den von einer uralten englischen Dampfmaschine angetriebenen sogenannten Maschinenpark kümmerte, unterstanden Karl Nassmacher fortan die zwei Dutzend Arbeiter, was zwar seiner Eitelkeit schmeichelte, seinem nun einmal links schlagenden Herzen aber nicht guttat.

      Noch schlechter erging es jedoch der Gesundheit. Immer wieder kam es vor, dass bei Klaucke & Kutzner Männer plötzlich umkippten, entweder an den Bleibottichen oder an den stinkenden Guttapercha-Pressen, aus denen die schwarze Masse an allen unerwünschten Stellen drang. Nachdem der Stabsarzt bei der Musterung fürs Militär Karls breiten Brustkorb mit kritischer Miene abgehorcht und anschließend dessen untere Augenlider weit heruntergezogen und misstrauisch beäugt hatte, bellte er: «Beruf?» und schüttelte auf Karl Nassmachers Antwort hin nur den Kopf und sagte: «Umgang mit Blei und Kupfer, wie?»

      Karl bestätigte es und erfuhr zu seiner freudigen Überraschung, er sei ausgemustert. Das Beste für ihn sei, viel Milch zu trinken und sich an der frischen Luft zu bewegen. Karl verabscheute Milch, und von frischer Luft konnte allenfalls sonntags in der Laubenkolonie die Rede sein, wenn die Genossen sich nicht in irgendeinem verräucherten Saal versammelten oder sonst etwas Wichtiges für Partei oder Gewerkschaft anlag. Außerdem: Weshalb sollte ausgerechnet er etwas für seine Gesundheit tun, wenn sie ihn anschließend dafür zu den Preußen holten?

      Er hustete morgens ein bisschen und abends vor dem Einschlafen auch, aber das konnte ebenso gut von den Zigaretten herrühren, von denen er täglich an die zwanzig, dreißig Stück rauchte. Er war ein kräftiger und, wie ihm die Mädchen immer wieder bestätigten, gutaussehender junger Kerl, nicht sehr groß geraten, der aber dennoch allemal mehr Mumm in den Knochen hatte als die übrigen bleichgesichtigen Gespenster in der Halle, deren Kraft zum Schluss nicht mal mehr zum Drehen der Kabeltrommeln reichte. Selbst von denen standen inzwischen ein paar im Felde vor Verdun oder wo auch immer. Ihre Plätze nahmen - unerhörtes Ereignis bei Klaucke & Kutzner - Frauen ein! Junge Frauen sogar, die ihre Arbeit nicht einmal schlecht und für weniger Geld taten. Man musste nur auf sie aufpassen, und das fiel Karl Nassmacher nicht immer leicht. Die Mädels hatten ganz andere Tricks drauf als die Altgedienten, um den wachsamen Vorarbeiter einzuwickeln oder von irgendwelchen Fehlern abzulenken. Tricks, die Karl Nassmacher mitunter erröten und sekundenlang wegblicken ließen, denen aber gelegentlich auch mal eine Handgreiflichkeit seinerseits folgte. Und siehe da: Das schien der einen oder anderen nicht einmal unangenehm zu sein.

      Seit jedoch Betti Boretzki an der Litzenflechtmaschine arbeitete, war es vorbei mit solchen Vertraulichkeiten. «Entweder du fässt mir an und keine andere - oder du fässt alle andern an und mir nie wieder», hatte sie ihm an ihrem ersten gemeinsamen Abend im Treptower Eierhäusschen СКАЧАТЬ