Freu(n)de, Hoffnung, Malzkaffee. Christian Noack
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Название: Freu(n)de, Hoffnung, Malzkaffee

Автор: Christian Noack

Издательство: Автор

Жанр: Религия: прочее

Серия:

isbn: 9783815026069

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СКАЧАТЬ Jonas’ Bett liegen mehrere Kuscheltiere verstreut. An der Wand neben seinem Bett hängen Bilder, die er in den letzten Tagen gemalt hat: eine untergehende Sonne, einen Menschen als schwarzen Schatten und einen Jungen mit Flügeln. Aufgrund ihrer Ausbildung weiß Julia die Symbolik zu deuten: Jonas bereitet sich auf das Sterben vor und auf das, was danach kommen könnte. Sie streicht ihm vorsichtig über die warme Stirn.

      Dann sieht sie auf ihre Uhr und stellt fest, dass ihre Freunde wohl seit einigen Minuten in der Cafeteria warten. Sie geht schnell hinunter.

      Tatsächlich sitzen die drei schon an einem Tisch. Kuchen aus der Cafeteria liegen auf schmucklosen, weißen Tellern. Daneben stehen ihre Lieblingsgetränke in Bechern: Cappuccino, Milchkakao und tatsächlich Malzkaffee.

      Julia wird von den Anderen herzlich begrüßt.

      Sie entschuldigt sich: „Ich bin etwas länger bei einem von meinen kleinen Patienten geblieben. Bei ihm sieht die Prognose schlecht aus.“

      „Schon hier in der Cafeteria fühle ich mich unwohl“, gesteht Stefan. „Krankenhäuser mag ich gar nicht. Wie gelingt es dir, hier jeden Tag zu arbeiten, sogar auf einer Krebsstation für Kinder?“

      „Bei mir trifft das Klischee der Ärztin, die Leben retten will, tatsächlich zu“, erklärt sie. „Das war mein Hauptmotiv, um Medizin zu studieren – nicht das Ansehen als Ärztin oder das Einkommen, wenn man sich selbstständig macht. Ich habe zwei ältere Brüder und hatte noch einen jüngeren Bruder, der aber nicht mehr lebt. Er hatte von Geburt an einen Herzfehler und ist nur vier Jahre alt geworden. Für mich – ich war damals sieben – war das sehr schlimm. Ich hatte ihn so lieb. Bald stand mein Entschluss fest, Ärztin zu werden, um Menschen zu helfen und Leben zu retten. Um das zu erreichen, war ich schon in der Schule recht ehrgeizig. Hinter meinem Rücken wurde ich Streberin genannt.“

      „Bist du immer noch ehrgeizig?“, fragt Lukas sie.

      „Ja, auch hier in der Klinik. Ich arbeite gern, weil ich die Behandlung optimieren will: genauere Diagnosen, verbesserte Therapien. Jeder Tag ist eine Herausforderung. Nebenher sammle ich Daten für wissenschaftliche Publikationen.“

      „Dein Umgang mit dem Leid ist also quasi ein Kampf gegen das Leid mit Hilfe der modernen Medizin und Wissenschaft“, fasst Stefan zusammen.

      „Genau!“, entgegnet Julia. „Übrigens: Ich hatte mir eine Frage an euch überlegt, die in eine ähnliche Richtung geht. Was ist für euch Leid und wie geht ihr damit um?“

      „Eine typische Lehrerfrage!“, meint Lukas. „Die habe ich schon des Öfteren den Schülern im Religionsunterricht gestellt, wenn es um die sogenannte Theodizeefrage geht.“

      Maria stutzt. „Theodizeefrage?“

      „Das ist ein theologischer Fachbegriff. Es geht darum, Gott angesichts des vielen Leidens zu verteidigen“, erläutert Lukas. „Wenn wir annehmen, dass Gott allmächtig ist, dann kann er Leid verhindern. Und wenn wir glauben, dass Gott barmherzig und gütig ist, dann will er Leid verhindern. Warum lässt dann dieser allmächtige und zugleich barmherzige Gott das Leid zu? Das ist die Frage, die viele Menschen stellen – eben die Theodizeefrage.“

      Stefan unterbricht: „Das ist mir zu theologisch! Bitte zurück zu der Lehrerfrage von Julia.“

      „Danke, Stefan“, schaltet sich Maria ein. „Ich möchte auf ihre Frage antworten. Leid ist für mich hauptsächlich mit dem Verlust eines geliebten Menschen verbunden. Ich war sehr traurig, dass meine Lieblingsoma starb, als ich erst elf Jahre alt war. Aber ihr wisst: Wirklich traumatisch war der tödliche Fahrradunfall meines Mannes vor drei Jahren. Das Ganze war so trivial: Er war auf dem Weg zur Arbeit – ganz korrekt auf dem Fahrradweg, als völlig unerwartet ein LKW rückwärts aus einer Ausfahrt direkt vor ihm hinausfuhr. Da es dort bergab ging, hatte Alexander ein ziemliches Tempo drauf. Mit schweren Kopfverletzungen – trotz Helm – brachte man ihn ins Krankenhaus. Aus dem Koma ist er nicht mehr erwacht; nach drei Wochen ist er gestorben.“

      Maria kommen bei der Schilderung die Tränen. Julia umfasst ihre rechte Hand. Und Stefan schluckt.

      Lukas findet als erster wieder Worte: „Auch mir kommt Alexanders Tod so sinnlos vor. Er war einer meiner besten Freunde. Wir haben tolle Mountainbiketouren unternommen.“

      Wieder gefasst, sagt Maria: „Ich glaube trotzdem, dass alles einen Sinn hat. Das hilft mir am meisten.“

      „Werden und Vergehen, Leben und Sterben – das ist ein ewiger Kreislauf, in den wir alle hineingenommen sind. Den Einen trifft es früher, den Anderen später“, meint Stefan.

      „Ihr seid mir zu schnell mit Deutungen und Erklärungen“, entgegnet Julia. „Stefan, wie beantwortest du meine Frage? Was ist für dich Leid?“

      „Ich verbinde Leiden eher mit ganz alltäglichen Problemen: Müdigkeit, Kopfschmerzen, Magenschmerzen, Stressgefühle, wenn ich keine Aufträge habe, Sticheleien, die mich kränken. Oft habe ich das Gefühl, ein Außenseiter zu sein – nicht so gesichert wie du, Lukas, im Beamtenstatus. Obwohl ich meinen Beruf sehr mag, fühle ich mich von Anderen oft ausgegrenzt, missachtet oder übersehen. Und das wirkt sich auf den Körper aus mit Schmerzen oder Schlaflosigkeit. Unsere Runde hier tut mir übrigens sehr gut. Ich habe das Gefühl, drinnen zu sein und gute Freunde zu haben, die mich ernst nehmen.“

      „Das ist auch wirklich so!“, bestätigt Lukas. „Ich mag dich! Und ich kann deine Gefühle aus eigener Erfahrung nachvollziehen. Als Lehrer bin ich es gewohnt, auch meine Leiderfahrungen in Kategorien einzuordnen. Ich unterscheide also zwischen körperlichen, seelischen, sozialen und geistigen Leiden. Du hast gerade beschrieben, dass es eine Wechselwirkung zwischen körperlichen, seelischen und sozialen Leiderfahrungen gibt. Soziale Ausgrenzung fühlt man auch körperlich. Leiden zeigt sich körperlich durch Schmerzen, seelisch durch negative Gefühle wie Angst, Trauer, Wut oder Eifersucht, sozial durch Demütigungen wie Bestrafung, Mobbing, Stigmatisierung oder Verleumdung. Und es gibt auch ein geistiges Leiden an Sinnlosigkeit – also den inneren Halt völlig zu verlieren und ins Nichts zu fallen, verloren zu sein in einer inneren Wüste. Dem Leben einen Sinn geben zu können ist darum für die Überwindung von Leid ganz wichtig.“

      Julia unterbricht ihn: „Lukas, das sind gute Gedanken, aber du hast bisher noch nicht von dir persönlich erzählt.“

      „Ich kenne alle diese Formen von Leid – abgesehen von einer absoluten Sinnlosigkeitserfahrung. Stefan, ich fühle mich auch unter meinen Kollegen manchmal allein, nicht zugehörig. Regelmäßig nagt ein gewisser Neid an mir. Einige Kollegen kommen zum Beispiel besser bei den Schülern an oder haben einen besseren Draht zur Schulleitung. Zum Glück bin ich seit einigen Jahren körperlich ziemlich fit dank meines Trainings. Vor vier Jahren habe ich einen schlimmen Sturz mit dem Fahrrad erlebt, an den ich mich nicht mehr erinnern kann. Ich bin erst im Krankenhaus wieder aufgewacht. Zum Glück war es nur eine Gehirnerschütterung, aber die Kopfschmerzen waren sehr heftig. Am schlimmsten jedoch sind für mich Zahnschmerzen. Als Jugendlicher hatte ich mehrere Wurzelentzündungen, und die Angst vor dem Zahnarzt hat mich geradezu gelähmt. Ich konnte mir das weitere Leben nach einem Termin beim Zahnarzt nicht vorstellen – so bedrohlich wirkte das auf mich.“

      „Solche Angstgefühle kenne ich auch“, sagt Stefan.

      Lukas ist noch nicht fertig. „Insgesamt aber kann ich mit diesen Leiderfahrungen recht gut leben. Mittlerweile deute ich sie als Chance, Widerstände zu überwinden, mutiger, besonnener und einfühlsamer zu werden. Leiden helfen mir, charakterlich zu reifen und lebenserfahrener zu werden.“

      „Dem kann ich zustimmen“, meint СКАЧАТЬ