Название: Im Schatten der Hundstage
Автор: Thomas Christen
Издательство: Автор
Жанр: Короткие любовные романы
isbn: 9783957442840
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Ich habe dich gesehen. Ja, ich kenne dich. Oben, vom Flurfenster aus sehe ich dir manchmal zu. Wenn du hinter dem Schornstein hervorkommst und deinen Anhänger oder dieses komische Gabeldingsbums in die Halle fährst. Wenn du all diese schönen Geschenke bringst. Nein, natürlich siehst du mich nicht. Du weißt das ja nicht. Kannst es nicht wissen. Denn ich bin scheißclever!
Er griff sich einen herumliegenden, leeren Karton und begann zielstrebig an der Folie der eingeschweißten Paletten herumzureißen.
Leckeres Wasser! Glitzernde Wasserflaschen! Dann drehte er sich um und huschte kriechend zu einer Reihe aufeinandergestellter Kartons. Er nestelte am Klebeband herum, riss es ab und öffnete die Kiste. Ihr idiotischen Kochlöffelhalter, seht ihr das? Seht ihr das! Der ausgefuchste Kirkpatrick ist gleich wieder bei euch in der Küche und präsentiert den Menüplan der kommenden Woche.
Er nahm die Dosen heraus und stapelte sie in den leeren Karton. Nudelsuppe mit Hühnerfleisch, Gulasch in Tomatensauce, Rinderbrühe mit Einlagen …
Wetzt die Löffel und räumt eure Drecksküche auf. Ich komme! Er setzte die Dosen auf die Wasserflaschen, hob einmal kurz den Karton an und prüfte, ob er auch nicht zu schwer würde. Dann schlug er die vier Deckel ineinander, wuchtete die Kiste auf seine Schulter und kroch zurück. Er schloss die Stahltür von innen ab und ruhte sich einen Moment auf dem Karton aus. Er zog die Taschenlampe aus dem Kittel und drückte auf den Knopf. Einen Augenblick lang strahlte das Birnchen in gelbem Licht, und dann erlosch es. Für den Weg zurück würde er sie kaum brauchen.
Das Fenster war ein grauer, durchbrochener und nachts kaum wahrnehmbarer Rahmen. Er lag auf der Matratze seines Metallbetts und stierte in die Dunkelheit, die Arme vor seiner Brust gekreuzt und dem leisen Prasseln des Regens lauschend. Wenn das Geräusch nachließ, für wenige Minuten einmal ganz aussetzte, hörte er die Tropfen irgendwo draußen, jenseits des Ganges in einem der Zimmer weiterfallen, auf ein Stück Blech oder in eine Pfütze tropfend. Er fror und begann unmerklich zu zittern. Er setzte sich auf und starrte den Karton an, der in der Zimmerecke auf dem Boden stand. Langsam verschwand das Zittern. Er verspürte keine Müdigkeit, und er verspürte keinen Hunger. Aber er musste für sie sorgen! Für alle! Für Edward, Gibbons, McCarthy und die anderen. Selbst Watson, das lauwarme Arschloch hatte Essen verdient. Sie waren nicht in der Küche gewesen. Hingen sicherlich wieder irgendwo herum und vernachlässigten ihren Dienst. Hatten die Küche wie einen Saustall hinterlassen und soffen sich jetzt in irgendeiner Ecke ihr letztes bisschen Verstand aus dem Schädel. Aber er würde nichts sagen. Er war ein gütiger Chef. Ein verständnisvoller Chef. Die Männer waren seine Freunde. Sie alle waren die Küchencrew. Die beste, die es auf diesem Scheißerdball gab. Er war für sie verantwortlich. Er, der unersetzbare Thomas Randolf Kirkpatrick. Chefkoch. Direktor. Schlüsselhalter. Und Freund. Ja – er würde schweigen. Und sie würden es ihm lohnen, ihm auf die Schulter klopfen und irgendwann mit ihm, eines fernen Tages, diese ganze verfluchte Stadt umkrempeln, säubern, auskehren und – heilen. Watson und seinesgleichen die Schwänze abschneiden. Die Teufel in ihren Käfigen verjagen und Schwester Mason lehren, auf ewige Sauberkeit zu achten.
Seine Augen weiteten sich und plötzlich begann er wieder am ganzen Körper zu zittern.
„Lissi?! Bist du es?! Lissi, du – du hier? Scheiße, großer, blinder Gott, wie bist du hier hereingekommen? Wie hast du es an Miller und den anderen vorbei geschafft? Du bist eine Frau? Eine Frau! Lissi, du bist – meine Frau! Meine liebe, gute, hübsche, zarte, schöne, schweigsame, wunderbare Lissi!“
Er beugte sich vorsichtig vor und durchbohrte die Dunkelheit mit einem ängstlich fragenden Blick.
„Du weinst? Du weinst, meine Liebe! Du darfst nicht weinen. Nein, ich erlaube nicht, dass du weinst! Warum weinst du denn …“, flüsterte er und drückte sich von der Matratze hoch. Und als die Antwort ausblieb, schrie er in das Zimmer: „Bei aller Dreifaltigkeitsscheiße, sag mir endlich, warum du weinst. Ich verbiete dir zu weinen …“
Dann kniete er sich vor den Karton und begann nervös an den Deckeln zu hantieren.
„Schau, schau hier, schau! Schau mal, ich habe etwas für dich. Schau doch!“ Er zerrte eine Dose hervor, riss hektisch am Ring des Deckels und schnitt sich am aufspringenden Metallrund in den Finger.
„Hier, nimm! Iss. Iss. Nur für dich, meine unvergleichliche Lissi. Du musst sicherlich entsetzlichen Hunger haben.“ Er hielt die Dose in die Dunkelheit und wartete. Er presste die Lippen aufeinander und knirschte mit den Zähnen.
„Du magst das nicht! Warum magst du nicht, was ich dir anbiete?“
Er nahm den Arm zurück, hielt sich die offene Dose an den Mund und ließ einen Teil des Inhalts zwischen seine Zähne fließen. Winzige Gemüsestücke und ein Rinnsal aus roter Sauce rannen über sein Kinn und tropften zu Boden.
„Du verachtest meine Geschenke, nicht wahr?“ Er musste leise sprechen. Ganz leise. Das taten kluge Leute immer.
„Das hast du von Anfang an getan. Du hast, verflucht noch mal, von Anfang an geglaubt, dass es mir gleichgültig wäre. Nicht wahr, Lissi? Aber es war mir nicht gleichgültig! Nie!“, brüllte er seine Füße an und schmetterte die halbleere Dose an die Wand. Scheppernd fiel sie zu Boden, und ein roter, klebriger Strom zerfloss auf der zerschundenen Wand.
„Aber ich werde dir sagen, was du jetzt machen wirst. Ich werde es dir sagen! Du wirst essen, und du wirst trinken. Du wirst aufhören zu weinen, und du wirst lächeln! Und alles, weil ich es dir sage. Es wird keine Widerrede geben, keine einzige, meine geliebte, zerbrechliche, engelhafte Lissi! Denn, wenn doch, dann, dann, dann …“ Er ballte die Fäuste so heftig zusammen, dass sie schmerzten, dass die Haut über den Knöcheln weiß zu schimmern begann. Und immer und immer und immer wieder schlug er sie sich gegen die Schläfen.
Er zog die Stirn in Falten und verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen.
„Du bist undankbar, mein Mädchen! Sehr, sehr undankbar! Aber – aber – aber ich werde dir wieder einmal verzeihen. Denn meine Güte kennt keinerlei Grenzen. Du kannst immer zu mir kommen, wenn du es willst. Jederzeit. Mir deine Sorgen erzählen. Dein Tommy ist dir nicht böse. Niemals. Wie könnte er? Er bleibt dein Beschützer. Deiner und der aller anderen. Er weiß, wie man mit all den Arschgeigen hier umzugehen hat, und er wird euch alle in ein besseres Leben führen.“
Er machte eine lange Pause und lauschte nachdenklich dem Regen, der wieder eingesetzt hatte.
„Aber jetzt geh! Er möchte Pläne schmieden. Dein Tommy möchte große Plane schmieden!“
Eine halbe Stunde saß er im Dunkeln und schwieg. Dann stand er auf und folgte dem Tropfen und Plätschern des irgendwo durch das Dach fallenden Regens. Als er den Raum gefunden hatte, aus dem die Geräusche kamen kramte er den Plastikbecher aus seiner Kitteltasche und hielt ihn in den Faden aus hereinregnenden Tropfen. Er trank einen Schluck, und dann putzte er sich die Zähne.
Das Fiepsen der Ratte weckte ihn. Sie saß in einer Ecke des Raumes und putzte sich lautlos. Er quälte sich von der Matratze hoch und überlegte einen Moment, ob er eine der Dosen nach ihr werfen sollte. Aber das Tier war durch seine Bewegung längst aufgeschreckt wie ein Pfeil durch die Türe verschwunden. Er hatte noch immer keinen Hunger, aber er leerte den Rest der auf dem Fensterbrett stehenden Wasserflasche in seinen Plastikbecher und trank ihn in einem Zug aus.
Die Sonne schien durch das Fenster und warf ein verzogenes Schattenkreuz auf den Boden. Er stand auf und ging aus dem Zimmer. Dann schlenderte er gedankenverloren durch sieben Stationen, hob in der fünften einen СКАЧАТЬ