Название: Wenn alle Stricke reißen
Автор: Beate Vera
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955522087
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Umso mehr bleibt für mich!, dachte sich Lea und stapelte drei Spiegeleier und einige Löffel gebackener Bohnen neben den Bacon und zwei Würstchen auf ihren Teller.
3
Und stündlich mit den schnellen Schwingen
Berühr’ im Fluge sie die Zeit.
Dem Schicksal leihe sie die Zunge;
Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
Begleite sie mit ihrem Schwunge
Des Lebens wechselvolles Spiel.
Und wie der Klang im Ohr vergehet,
Der mächtig tönend ihr entschallt,
So lehre sie, dass nichts bestehet,
Dass alles Irdische verhallt.
Tara konnte am besten nachdenken, wenn sie Gedichte aufsagte. Was war bloß geschehen?
Am frühen Freitagabend hatten sie in der Schule Kleists Der zerbrochne Krug geprobt. Sie spielte die Eve. Ihre Freunde Max, Tobi und Leander waren auch auf der Bühne gewesen, ebenso Annalisa, die als Eves Mutter auftrat, und Louise, die den Part der Brigitte hatte. Die Probe war gut gelaufen, und danach waren sie alle zum Pavillon in den Park an der Bäkestraße gegangen. Max hatte Wodka und Energy Drinks gekauft. Er wurde nie nach seinem Ausweis gefragt, im Gegensatz zu Tobi, der ebenfalls neunzehn war, aber immer sein Alter nachweisen musste. Bei dem Gedanken an Max wurde Tara rot. Sie mochte ihn, aber er schien das gar nicht zu merken. Max war ein Mathe-As und wie Tobi und Leander im Mathe- und im Sportleistungskurs. Außerdem begeisterte er sich für Musik und Theater. Er spielte Gitarre, und Tara hatte sich schon oft gewünscht, dass er einmal nur für sie spielen würde. Er sah mit seinen dunkelbraunen halblangen, lockigen Haaren und den geschwungenen Lippen nicht nur aus wie der Sänger von Razorlight, er klang auch wie der.
Tobi und Leander waren seine besten Freunde, machten aber aus einem ganz anderen Grund bei dem Theaterprojekt mit: Die AG zog viele Schülerinnen an. Tobi mochte Annalisa, und Leander war scharf auf alle Mädchen, die er kriegen konnte. Tara fand Annalisa sympathisch, und sie konnte nachvollziehen, was Tobi an ihr gefiel. Im Park hatte Tobi wie üblich rumgekaspert, während Max ziemlich still gewesen war, selbst für seine Begriffe. Am Pavillon hatten sie alle Wodka-Energy getrunken. Sie selbst auch, obwohl sie wusste, dass sie keinen Alkohol trinken durfte. Danach erinnerte sie sich an nichts mehr.
Glander war gespannt darauf, was ihn gleich erwarten würde, als er vor der großen, dunkelblau gestrichenen Tür der Lüdersstraße 23 stand. Tara, siebzehn Jahre alt, die Tochter der Anruferin Maria Berthold, war angeblich entführt worden. Die Familie lebte in einer klassischen Altberliner Stadtvilla aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts mit Souterrain, Hochparterre und verwinkeltem Dachgeschoss. Das Haus war in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts saniert worden, und die vier großen Wohnungen waren in eine sehr große und vier kleinere umgebaut worden. Familie Berthold bewohnte als Eigentümer rund dreihundert Quadratmeter des Hauses, die sich auf die zusammengelegten Wohnungen im Hochparterre und die darüberliegende Etage erstreckten.
Glander betrachtete das Klingelschild. Neben dem Namen der Bertholds befanden sich vier weitere darauf: Gruhner, Lemke, Schneider und Obentraut. Rechts und links von der zur Haustür hinaufführenden Treppe lagen zwei kleine Rasenstücke, jeweils von Beeten umrahmt und makellos gepflegt. Glander drehte sich um und ließ seinen Blick wandern. Dem Haus gegenüber lag eine Grünanlage, die parallel zum Teltowkanal verlief und diesseits des Wassers am Stadion Lichterfelde endete. Jenseits des Kanals führte sie durch den Schloßpark Lichterfelde und mündete hinter dem Charité-Campus Benjamin Franklin in den Bäkepark. Er war die Strecke ein paarmal mit Lea und Talisker gejoggt.
Glander klingelte bei den Bertholds, der Summer ertönte, und er betrat das Haus. Er folgte dem dunkelroten, mittig verlegten Teppich die halbe Treppe hinauf. Das Treppengeländer aus Holz war elfenbeinfarben gestrichen und mit aufwendigen Intarsien verziert. Das Treppenhaus roch frisch gebohnert. Die Wohnungstür der Bertholds war geöffnet, davor stand eine ausgesprochen schöne Frau. Sie hatte glattes, langes schwarzes Haar und dunkle Mandelaugen. Frau Berthold trug unverkennbar Designermode – Glander tippte auf Armani – und hielt ihm zur Begrüßung ihre Hand entgegen.
»Herr Glander, ich bin Maria Berthold. Ich bin sehr froh, dass Sie so schnell gekommen sind. Bitte kommen Sie doch herein!«
Glander schüttelte ihre Hand und betrat den Flur der Wohnung, der ganz in Weiß gehalten war. Der Fußboden bestand aus Marmorfliesen, und an den Wänden hingen großflächige abstrakte Leinwände. Die Bertholds sammelten anscheinend moderne Kunst. Auf kleinen Tischen und Schränken standen verschiedene Skulpturen.
Maria Berthold führte ihn in das Wohnzimmer, in dem ebenfalls die Farbe Weiß dominierte. Auch dort hingen große Leinwände, darauf grafische Farbmuster. Maria Berthold bat Glander, auf der hellen Ledercouch Platz zu nehmen, und setzte sich ihm gegenüber auf einen Sessel. Sie hielt ein Taschentuch in den Händen und blickte ihn an. Ihre Augen waren gerötet, sie sah übernächtigt aus, und Glander bemerkte, wie sehr sie sich zusammennehmen musste, um ihre Angst unter Kontrolle zu halten.
»Frau Berthold, was genau ist passiert?«
Sie wrang das Taschentuch, während sie antwortete: »Ich weiß es nicht. Tara war gestern in der Schule, wie immer. Sie ist im ersten Semester auf dem Gymnasium, das liegt nicht weit von hier. Gewöhnlich nimmt sie das Fahrrad oder läuft. Meine Tochter hatte sechs Stunden Unterricht, danach Tennistraining – das ist auch gleich um die Ecke – und um fünf Uhr noch Theater-AG, ich habe sie also nicht zum Abendessen erwartet.« Sie hielt inne und betrachtete liebevoll das Foto eines hübschen Mädchens in Tenniskleidung, das auf einem Beistelltischchen stand. Tara hatte die großen Augen und das dunkle Haar der Mutter geerbt.
»Ist das Tara?«
Maria Berthold nickte und tupfte sich die Augenwinkel. »Ja, das ist meine Tara. Im Sommer, als sie das Turnier gewonnen hatte. Ich war so stolz auf sie.«
Glander vermisste die Worte »wir« und »unsere« in den Schilderungen der Frau und fragte nach Taras Vater. »Frau Berthold, ist Ihr Mann auch zu Hause?«
Sie blickte ihn verständnislos an und schüttelte den Kopf. »Nein, Heinz, mein Mann, arbeitet im Krankenhaus. Er ist Neurochirurg und beruflich sehr eingespannt. Ich …« Sie zögerte, bevor sie weitersprach. »Tara ist meine Tochter, Herr Glander. Sie trägt Heinz’ Nachnamen, aber sie ist nicht sein leibliches Kind. Ich denke, Sie sollten das wissen. Außerhalb unserer Familie hat niemand davon Kenntnis, selbst Tara habe ich es erst vor kurzem gesagt, und ich bitte Sie, diskret mit dieser Information umzugehen.«
Glander ließ die Neuigkeit zunächst unkommentiert im Raum stehen. »Wann begannen Sie sich Sorgen zu machen?«
»Erst, als sie auch um elf noch nicht zu Hause war. Heinz war noch in der Klinik, er arbeitet oft spät. Er ist ein gefragter Dozent auf Kongressen und Seminaren, wissen Sie. Ich sah fern. Um elf wurde ich dann unruhig, denn ich hatte nichts von Tara gehört.« Wieder ging das Taschentuch an die Augenwinkel.
Glander nickte Maria Berthold ermutigend zu, und die fuhr fort: »Normalerweise schickt sie mir eine SMS, wenn sie noch zu ihrer Freundin Louise geht oder sich verspätet. Tara ist sehr verantwortungsbewusst. СКАЧАТЬ