Название: Stein mit Hörnern
Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Жанр: Исторические приключения
isbn: 9783938305645
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Am nächsten Tag schon startete Queenie. Sie hatte das Dach des Wagens geschlossen, aber die Luft konnte an diesem Frühlingstag nicht anders sein als kühl, erfüllt von dem Duft aller treibenden Kräfte. So drang sie auch durch Tür, Fenster und Leinwand.
Abends erreichte Queenie ihr Ziel. Sie fand am Stadtrand Unterkunft in einem Motel, das ihr empfohlen worden war, schlief, wie von Schwingen getragen, und erwachte mit der Sonne und der ersten leisen Unruhe des Kindes. Am hohen Vormittag fuhr sie vor dem Portal der Klinik vor. Weiß wie Schnee und strahlend wie Sonnengeglitzer, trat sie ein. Der Pförtner, die Stationsschwester, der Assistenzarzt, der ihr begegnete, staunten alle auf ihre Weise. Diese Mutter und ihr Kind waren etwas anderes als der Alltag, und sie waren etwas anderes als »schmutzige« Indianer. Queenie hatte gewusst, welches Äußere sie zur Schau tragen wollte. O ja, sie hatte es sehr genau gewusst. Der Erfolg gab ihr recht. Der Assistenzarzt begleitete sie. Es war nicht ganz ersichtlich, warum, vielleicht hätte sie den Aufzug nicht sogleich gefunden oder sich in den Zimmernummern nicht ausgekannt.
Die Tür zum Krankenzimmer brauchte er nicht zu öffnen, denn sie stand wie üblich offen. Vor Queenie lag das Zimmer, das sie schon kannte, standen die vier Betten, je zwei rechter und linker Hand. Rechter Hand in dem ersten, der Tür zunächst, lag Joe, auf dem Rücken ausgestreckt, die Arme und Hände genau gerade gerichtet. Am Hals war das Ende einer Schiene zu sehen. Die schlanken, abgemagerten Hände, der lange, schmale Schädel, das schwarze Haar, das ausgemergelte indianische Gesicht hoben sich als Kontrast von dem genormten weißen Bett ab. Aus halbgeöffneten Augen schaute Joe Queenie und dem Kind entgegen.
Neben dem Bett stand schon ein Stuhl bereit.
Queenie setzte sich. Sie hielt das Kind so, dass Joe das braunhäutige Gesichtchen, die kleinen Fäuste, die in zufriedenem Schlaf geschlossenen Lider sehen konnte.
Seine Züge veränderten sich, er lächelte mit der zarten Liebe, mit der ein indianischer Vater sein Kind begrüßt.
Queenie traten vor Freude die Tränen in die Augen. Sie schämte sich nicht, und sie wusste, dass Joe Freudentränen erkannte. Die beiden spielten mit den Augen miteinander. Sie spielten Melodien, die nur ihr inneres Ohr hörte, Trommeln in Nacht und Wind, Singen der Männer, Stampfen der Tänzer, Rauschen des heiligen Baumes, wiegendes Gras, wiehernde Pferde, Galopp über die Erde, mächtige Sonne, verblutend am Abend, auferstehend am Morgen. Besiegtes Volk, dürres Land, müden Sinn, wiedererwachenden Mut, Liebe der Menschen, Kinder um Vater und Mutter, lachend, weinend, wachsend, fragend, Mann und Frau in der Nacht. Tashina und Inya-he-yukan brauchten eine Stunde, um zu hören und zu verstehen, was in ihren Augen verborgen schimmerte und was in ihren Ohren ohne Laut erklang. So lange blieben sie beide still und regungslos, und das Kind schlief. Sie vergaßen, dass sie nicht allein waren, denn in Wahrheit waren sie allein.
Als die Stunde vergangen und alles gesagt war, was nicht ausgesprochen zu werden brauchte, begannen sie, in ihrer Stammessprache miteinander zu sprechen, die hier niemand außer ihnen selbst verstand. Sie konnten nicht belauscht werden, sie blieben noch immer ganz unter sich.
»Es sind alle gesund, Inya-he-yukan. Wakiya und Hanska, Kte Ohitaka und Wable-luta-win, Mary und ihr Sohn. Robert ist auch gesund.«
»Und was ist sonst noch mit ihm?«
Tashina liebte ihren Mann, wenn er schwieg, aber sie liebte auch seine Stimme, die dunkel und fest war.
»Robert war neun Tage in unserem Stammesgefängnis und muss noch einmal fünf Tage dorthin, weil er zu Sidney Bighorn, als dieser unsere Ranch besichtigen wollte, sehr unfreundliche Worte gesagt hat.«
Das Lächeln auf dem Gesicht des Mannes erlosch.
»Als was kam Sidney?«
»Als Angestellter der Distriktverwaltung.«
»Du warst nicht da?«
»Ich war nicht da, auch Mary war nicht da.«
»Was wollte er denn von mir? Weißt du es?«
»Von dir?«
»Er ist hier gewesen.«
In Queenies Wangen schoss die Zornröte. »Hier?«
»Ja. – Du weißt also nicht, was er wollte. Versuche es zu ergründen. Ich habe ihn nicht angehört. Vielleicht wollte er auskundschaften, ob ich wieder gesund werde oder nicht.«
»Er ist ein böser Geist, und er ist gefährlich. Robert hat sich zu schnell hinreißen lassen. Nun, das ist geschehen, und Robert wird künftig beherrschter sein. Wenn ich zurückkomme, sitzt er seine letzten fünf Tage ab. Er hat jetzt Hafturlaub.«
Inya-he-yukan lächelte wieder ein wenig. »Wambeli-wakan ist weise.«
»Nun hat Mary noch eine Frage an dich, Inya-he-yukan. Der Büffelstier, sagt sie, wird zu bösartig. Mary meint, er müsse erschossen werden, noch ehe Robert wieder in das Stammesgefängnis geht. Meint sie.«
Inya-he-yukan überlegte nur kurz.
»Er muss also erschossen werden. Holt euch Frank Morning Star. Er ist ein guter Schütze, nach mir der beste. Er kann den Büffel erschießen. Ein Häuptling den anderen!«
»Es ist mir weh ums Herz, Inya-he-yukan, wenn das Tier stirbt. Aber wenn du es sagst, soll es so sein. Ich hole Frank Morning Star.«
»Hau. Wie wollt ihr Haut und Fleisch verwenden? Hat Mary mit dir darüber gesprochen?«
»Ja. Sie sagt, sie will den ganzen Büffel an Elisha Field verkaufen, an Field, den Wirt in New City, der jetzt die Kneipe O’Connor betreibt. Er sei ein ordentlicher Mann, sagt sie, und er schmuggle keinen Brandy auf die Reservation. Sie meint, er könne ein regelmäßiger Kunde für die Ranch werden.«
»Und was denkst du?«
»Ich möchte das Fell und die Hörner haben. Wir können sie kunstvoll bemalen und verarbeiten, und dann erhalten wir das Vielfache von dem, was ein Wirt dafür geben kann.«
»Wofür brauchst du das Geld?«
»Mary will einen jungen Stier kaufen. Sie hat einen gesehen auf der Büffelranch, von der du auch den alten geholt hast.«
»Muss sie sofort zugreifen?«
»Es scheint so.«
»Dann gib ihr von unseren Ersparnissen, damit sie den jungen Stier damit kaufen kann. Ich halte es für richtig, dass ihr die Haut und die Hörner des alten kunstvoll bearbeitet.«
Queenie hatte nicht das Herz, ihrem Mann zu gestehen, dass es keine Ersparnisse mehr gab. Die Klinik war teuer.
»Ich werde Mary deine Worte wiederholen, Inya-he-yukan.«
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