DERMALEINST, ANDERSWO UND ÜBERHAUPT. Klaus Hübner
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу DERMALEINST, ANDERSWO UND ÜBERHAUPT - Klaus Hübner страница 4

СКАЧАТЬ er im Gedicht Die Alpen, Heldengedichte« (Urs Boschung). Diesen neunundvierzig Strophen mit jeweils zehn jambischen Alexandrinern, die die »Gemüthsruh« des alpinen »homo helveticus« besingen und letztlich »ein Lob des gesunden Landlebens im Sinne der alten römischen Optimates« darstellen (Leif Ludwig Albertsen), verdankt der Dichter Haller seine im 18. Jahrhundert vor allem von Herder und Schiller beförderte Unsterblichkeit. Im Mittelpunkt steht der Mensch: »Der Älpler ist selig, weil er bei sich ist und weder einem Noch-Nicht nachstrebt noch einem Nicht-Mehr nachtrauert, sondern in Gemeinschaft mit der Natur und somit in natürlicher Ordnung lebt« (Eric Achermann). Die Alpen, naturwissenschaftliche Beobachtung und lyrisch verpackte Moralphilosophie kunstvoll verknüpfend, wurden zum »Ursprung des modernen Alpenmythos« (Rémy Charbon) und blieben wirkungsmächtig bis ins 20. Jahrhundert hinein – obwohl ihr poetischer Duktus längst eigentümlich wirkte und ihre sprachlichen Feinheiten nicht im gesamten deutschen Sprachraum verstanden wurden. »Ich bin Schweizer, und Deutsch ist für mich eine Fremdsprache«, lässt Hugo Loetscher »seinen« Albrecht von Haller in einem fiktiven Interview sagen, und der Gesprächspartner entgegnet: »Trotz allem sind Sie der erste Schweizer, der mit seiner Dichtung über sein Land hinausgewirkt hat.« Das ist zweifellos richtig, und sogar ein Hugo Loetscher, der seine persönliche Schweizer Literaturgeschichte lieber mit den Lebenserinnerungen Thomas Platters denn mit den Alpen beginnen lässt, kommt nicht umhin, die enorme Wirkung von Hallers Lehrgedicht anzuerkennen.

      1729 bis 1736 lebt Haller als Arzt und Bibliothekar in Bern, dichtet und studiert und gründet eine Familie. 1736 erfolgt der Ruf an die Göttinger Universität, wo der Berner als Anatom, Chirurg und Botaniker bis 1753 forscht und lehrt, an den Göttingischen Zeitungen von Gelehrten Sachen mitwirkt und die erst später so genannte Akademie der Wissenschaften gründet. Der immer ärger kränkelnde Gelehrte wird schließlich Rathausammann in Bern, ab 1758 dann Direktor der bernischen Salinen in Roche. Er korrespondiert mit den wichtigen Wissenschaftlern Europas, schreibt zahlreiche Artikel für die bald Epoche machenden, in Paris und Yverdon entstehenden Enzyklopädien, verfasst zudem drei politische Romane sowie philosophische und religiöse Schriften – und er überarbeitet mehrfach seine immer berühmter werdenden Gedichte.

      Am 12. Dezember 1777 ist sein Leben und Wirken zu Ende. Worin es bestand, erläutern Eric Achermann (Dichtung), Florian Gelzer und Béla Kapossy (Roman, Staat und Gesellschaft), Claudia Profos (Literaturkritik), Cornelia Rémi (Religion und Theologie), Hubert Steinke (Anatomie und Physiologie), Maria Teresa Monti (Embryologie), Urs Boschung (Praktische Medizin), Jean-Marc Drouin und Luc Lienhard (Botanik). Den Forscher und Gelehrten stellen Otto Sonntag und Hubert Steinke in den Kontext seiner Zeit. Martin Stuber und Regula Wyss tun das für den Magistraten und ökonomischen Patrioten, während Hubert Steinke und Martin Stuber Hallers Stellung in der zeitgenössischen Gelehrtenrepublik erörtern. Eine zusammenfassende Studie von Wolfgang Proß, die inmitten lauter guter, oft herausragender Beiträge ganz besonders hervorzuheben ist, skizziert das widersprüchliche Verhältnis Hallers zur Aufklärung: »Wie andere Figuren seines Jahrhunderts litt auch Haller unter der Schwierigkeit, neues Wissen und eigene Forschung mit traditionellen Beständen der Offenbarungsreligion und metaphysischen Bedürfnissen oder mit gesellschaftlichen Konventionen in Einklang zu bringen.« Es folgen vier aufschlussreiche »Blicke auf Haller« (François Duchesneau, Karl S. Guthke, Renato G. Mazzolini, Richard Toellner) sowie der Abschnitt »Zeugnisse«, wo es um »Haller im Porträt« (Marie Therese Bätschmann) und »Hallers Bibliothek und Nachlass« (Barbara Braun-Bucher) geht. Ganz wichtig für ein intensives Studium des Sammelbands sind die Personen- und Werkregister, die diese voluminöse Gesamtschau beschließen.

      Belehrt und beglückt mag man danach Hallers berühmtes Lehrgedicht aufschlagen und mit ihm hinauf in die Alpen reisen, natürlich mit aller heutigen Skepsis gegenüber seinem Lobpreis des einfachen und sündelosen Lebens unter Hirten und Sennen. Doch schon der Dichter selbst war sich im Klaren darüber, dass sein Lehrgedicht der Schweizer Wirklichkeit nur selten entsprach: »Es ging ihm aber nicht so sehr um die reale Lebensweise der Gebirgsbevölkerung als um ein kritisches Gegenbild zum luxuriösen Leben der gegenwärtigen Berner Patrizier« (Rémy Charbon). Dass dieses kritische Gegenbild aus der Feder eines Mannes, der das Dichten nur in seinen Nebenstunden betrieben hat, bis heute – nein, keine Utopie, aber zumindest einen Traum aufscheinen lässt, spricht für die erstaunliche Wirkungskraft guter Poesie. So gesehen darf sich die gesamte Tourismusindustrie der Alpenländer bis heute glücklich schätzen, einen Albrecht von Haller zum Ahnherrn zu haben. »Denn hier, wo die Natur allein Gesetze gibet, / Umschließt kein harter Zwang der Liebe holdes Reich.« So ist es leider nicht, und so ist es wohl nie gewesen. Aber so könnte es sein. Zumindest träumen darf man es – beim Lesen der Alpen des mit Fug und Recht »groß« genannten Haller.

      Albrecht von Haller: Die Alpen und andere Gedichte. Ausgewählt und herausgegeben von Adalbert Elschenbroich. Stuttgart 1965 / 2004: Reclam Verlag.

      Hubert Steinke / Urs Boschung / Wolfgang Proß (Hrsg.): Albrecht von Haller. Leben – Werk – Epoche. Göttingen 2008: Wallstein Verlag.

      Hugo Loetscher: Lesen statt klettern. Aufsätze zur literarischen Schweiz. Zürich 2003 / 2008: Diogenes Verlag.

      Kunst und Lebensklugheit

      Die Aphorismen von Johann Heinrich Füssli

      Die deutsche Übersetzung der Aphorisms, Chiefly Relative to the Fine Arts erschien erstmals 1944. In dem achtundsechzig Jahre später vorgelegten unveränderten Nachdruck ist die damalige, immer noch sehr lesenswerte Einführung des Übersetzers und Herausgebers Eudo C. Mason (1901–1969) ebenso enthalten wie seine Anmerkungen, und auch die Tafeln wurden in für ein Taschenbuch akzeptabler Qualität übernommen. Neu ist das Nachwort von Matthias Vogel, der den vornehmlich als Dichter, Maler und Zeichner bekannten Johann Heinrich Füssli (1741–1825) als »eminente Mehrfachbegabung« vorstellt. Kunsttheoretiker war der seit 1779 in London lebende Schüler von Bodmer und Breitinger jedenfalls auch, und diese im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts begonnene Tätigkeit galt ihm gleich viel wie sein künstlerisches Schaffen. Seine Aphorismen sind in Ton und Stil keineswegs einheitlich. Seitenlange ernsthafte Essays sind darunter, aber auch prägnante Zweizeiler. Darunter bedenkenswerte Lebensweisheiten: »Die Wirklichkeit steckt voller Enttäuschungen für den, dessen Freudequellen im Elysium der Fantasie entspringen.« Oder: »Ein durch keine Auswahl beschränktes Trachten nach Vollkommenheit führt unfehlbar zur Mittelmäßigkeit.« Was darf man heute von »Das Genie kennt keinen Mitarbeiter« halten? Und manchem Zeitgenossen, vielleicht auch manchem Unternehmen, möchte man doch einmal deutlich sagen: »Keine Vortrefflichkeit der Ausführung kann Niedrigkeit der Konzeption aufwiegen.« Immer weiter möchte man zitieren – Füsslis Sprüche sind gewiss nicht allein für Kunsthistoriker interessant.

      »Füssli ließ nie einen Zweifel daran, dass für ihn die griechische Kunst in ihrer großen Zeit einsame künstlerische Höhen erklommen hatte, die selbst die Renaissance nie ganz erreichte«, schreibt Matthias Vogel. Die klassizistische Grundprägung, für die unter anderem seines Vaters Freunde Johann Joachim Winckelmann und Anton Raphael Mengs gesorgt hatten, hat er bis an sein Lebensende beibehalten. In seiner eigenen, nicht nur auf dem Gebiet der Kunst ungewöhnlich turbulenten Zeit, so legt der 1801 zum Malereiprofessor an der Royal Academy berufene Zürcher Künstler nahe, verliere man das Klassische und Große zunehmend aus den Augen. Wenn Füssli allerdings darauf besteht, dass sich das Wesen der Kunst nicht in deren Gegenständen offenbart, sondern im unmittelbaren Ausdruck der Gefühle, die in ihnen zum Ausdruck gelangen, dann weist das nicht nur auf die Romantik hin, sondern fast schon auf den Expressionismus voraus. Dazu wäre manches zu sagen – Matthias Vogel fasst es so zusammen: »Aus einer starken Verankerung in den Diskursen seiner Zeit weisen gerade seine Aphorismen in vielen Punkten über diese hinaus und sind deshalb nicht nur als historische Quelle, sondern auch als Beitrag zur gegenwärtigen Debatte zu rezipieren.« Das sollte man unbedingt versuchen, und die naturgemäß zeitgebundene Sprache dieser Aphorismen sollte niemanden davon abhalten. Denn Füsslis Reflexionen haben meist mehr Substanz als manche Theorieluftblase von heute.

      Johann СКАЧАТЬ