Название: Wörterbuch alttestamentlicher Motive
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Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783534724758
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Die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen den Angehörigen desselben Clans, die (zumal im Blick von außen auf eine Gemeinschaft) als Bruderstreit oder als Krieg zwischen Brüdern bezeichnet wird, ist im Alten Orient weit verbreitet. Die Annalen des Muršiliš beschreiben den Krieg zwischen Brüdern als einen durch Treuebruch verursachten kriegerischen Zustand (als Bürgerkrieg oder Streit von Lokalfürsten um politische Autorität?) und als Aufstand gegen die hethitische Vormacht in der Stadt Kalashma, in dem sich der Zorn der Schwurgötter entlädt, den die Stadt heraufbeschworen hat, da sie durch Eid an den hethitischen Herrscher gebunden war: „Ein Bruder betrog den Bruder, ein Freund betrog den Freund und einer tötete den anderen“, bis ein Entsandter des hethitischen Königs einschritt (vgl. GOETZE 1933, 193). Die durch den von Niqmad begangenen Mord an seinem Vater Aitakama, des Königs von Kinza (Kadesch), ausgelösten Thronwirren werden ebenfalls als von den Schwurgöttern ausgelöste Situation beschrieben, in die der hethitische Herrscher nicht eingreifen soll, vielmehr wird ihm geraten, „lass den Sohn den Vater töten, den Bruder seinen Bruder töten (…)“ (GOETZE 1933, 113–115).
Vergleichbar schildert Ex 32,29 Zerwürfnisse zwischen Volksgenossen metaphorisch als „Bruderkrieg“: „Moses sprach: Füllt eure Hände heute für JHWH, – denn jeder (war) gegen seinen Sohn und gegen seinen Bruder, – sodass er euch Segnung geben möge.“ In der Ankündigung an Serubbabel (Hag 2,21f.) heißt es: „(…) Ich werde Wagenlenker gegen Wagenlenker richten, Pferde und ihre Reiter werden untergehen, ein jeder durch die Hand seines Bruders.“ Vgl. Ri 7,21f.; Sach 14,13; sowie – terminologisch abweichend – 1 Sam 14,20 Krieg unter den „Nächsten“.
Erbregelungen und Fratrizid stehen im Kontext rechtlicher Aspekte des Bruderverhältnisses. Erbschaftsregelungen zwischen gemeinsam siedelnden Brüdern sehen im Falle der Verwitwung einer Frau die Bruder- oder Schwagerehe vor (Dtn 25,5–10), die das Erbrecht einer Witwe in einer patrilinearen Erbfolgeregelung sichert; vgl. die späte Revision des patrilinearen Erbrechts in Num 27,36: Der vom Bruder gezeugte Erstgeborene trägt den Namen des verstorbenen Bruders. Er sichert die Kontinuität des Familiennamens in Israel sowie die erbrechtliche Stellung der Frau seines Bruders. Die Witwe kann nach der Weigerung des Bruders die Ältesten bitten einzuschreiten. Falls der Bruder sich weiterhin weigert, vollzieht die Witwe ein gesellschaftliches, von den Ältesten überwachtes Ächtungsritual, in dem sie den Bruder ihres Mannes seiner Sandalen entledigt, ihn ohrfeigt, bespuckt und beschimpft. Die Bruderehe kann nicht erzwungen werden. Die Praxis ist sonst nicht belegt; möglicherweise stellt aber der als „Löser“ bezeichnete Verwandte im Buch Rut 4,6 u. ö. eine Parallele dar.
Gen 38 kritisiert in einer Fallstudie die Verweigerung der Bruderehe durch Onan nach dem Tod Ers, des Ehemannes der Tamar. Der Schwiegervater Juda zwingt die Brüder des verstorbenen Gatten, Onan und Schela, nicht, Tamar Nachkommen zu verschaffen (Gen 38,8f.), sondern versucht Tamar den Witwenstatus innerhalb der Sippe aufzuzwingen (Gen 38,11). Durch eine List – indem Tamar sich als Prostituierte verkleidet – kann sie von ihrem Schwiegervater Juda schwanger werden und aufgrund eines Pfands, das sie von Juda genommen hat, die Identität der Kinder als Nachkommen Judas sichern. Durch die Geburt der Zwillingsbrüder Perez und Serach sichert sich Tamar ihr Erbe.
Eine klassische Blutfehde (→ Blut) verursacht durch Blutschuld an einem Bruder schildern die Erzählungen von den drei Söhnen der Zeruja, Asael, Joab und Abischai. Asaels Tod im Krieg durch Abner (2 Sam 2,18–24) löst Joabs Rache an Abner aus (2 Sam 3,20ff.). Sie stellt neben der Tötung des judäischen Feldherrn Amasa einen Grund für seine Tötung am Altar wegen seiner Blutschuld dar (1 Kön 2,32). Die Brudermetaphorik kann je nach dem Gesamtverständnis der Erzählüberlieferung entweder kollektive Aspekte der israelitisch-judäischen Geschichtsschreibung oder Individualkonflikte bezeichnen (zu Fratrizid und Blutfehde s. oben zu Gen 4 und 2 Sam 14).
3 Spezifische soziale und sozioliterarische Kontexte
Das Deuteronomium verwendet das Wort „Bruder“ 48-mal (27-mal im Singular u. 21-mal im Plural) und – mit Ausnahme Dtn 25,5 – üblicherweise mit Suffix, d.h. der Bruder ist im Dtn stets Teil der (Volks-)Gemeinschaft der Angeredeten (PERLITT 1980, 59). Dtn 13,6f. zählt die Gruppen auf, die im Falle der Verführung zur Verehrung anderer Götter gesteinigt werden müssen. Ansatzpunkt dieser Kritik ist die Herkunft des religiösen Abfalls aus dem engsten Lebensumkreis. Die in Dtn 15,1–18 genannten Gesetze zählen zu den Humanitätsgesetzen. Die auf die agrarische Brache bezogene Aufhebung aller speziellen Rechts- und Schuldverpflichtungen fordern und erläutern das Verhalten zu Mitmensch (Dtn 15,2) und „Bruder“ (Dtn 15,3), der im Unterschied zum „Fremden“ von der Zinspflicht befreit ist (Dtn 23,20). Ein Tagelöhner darf nicht bedrückt werden, sei er „ein Bruder oder ein Beisasse“ (Dtn 24,14). In Dtn 15,12 wird „Bruder“ als „Hebräer“ interpretiert. Bruder ist nicht der Blutsverwandte, sondern der Nächste, der Arme, der Hebräer, der Mitmensch, der im Unterschied zum Fremden oder Ausländer ein Volksgenosse ist. Noch zweimal wird der Bruder im Unterschied zum Fremden genannt: Dtn 23,20f. fordert das Zinsverbot dem Bruder gegenüber und Dtn 17,15 für die Herkunft des Herrschers, dass dieser aus der Mitte der Brüder stammen müsse und kein Ausländer sein dürfe. Die Benennung als „Bruder“ steht als spezifischer Gebrauch im Deuteronomium in Spannung zum „Bundesbuch“, das als ältestes (redigiertes) Gesetzeskorpus mehrfach die Bezeichnung „Nachbar/Nächster/Genosse“ (reaʿ) verwendet (reʿehû in Ex 21,14.18.35; 22,6.7.9.10.13; reʿæḵā in Ex 22,25). Man kann daran ablesen, dass die Bezeichnung „Bruder“ den ältesten Rechtskorpora fremd, hingegen spezifisch für die Ethik des Dtn ist. Die ältere Prophetie des 8. Jh.s spricht kaum vom „Bruder“, ebensowenig die aus späterer Zeit stammenden Stellen (vgl. Jes 3,5; 13,8, 19,2; 34,14; Hos 3,1).
„Brüder“ erscheinen in den Psalmen als Mitglieder der Gemeinde und Teilnehmer am kultischen Mahl (Ps 22,23). Es handelt sich vermutlich um Versammelte, die an einem Dankgottesdienst teilnehmen, in dem der Beter seine Errettung aus der Not schildert.
Rechtsurkunden von altbabylonischer bis neubabylonischer Zeit gebrauchen die Formulierung „ein Bruder einem anderen“, ebenso kann „Bruder“ in Beschwörungen verwendet werden, wobei weder der leibliche Bruder noch der Volksgenosse gemeint ist (PERLITT 1980, 66).
Die „Priesterschrift“ kennt „Bruder“ nicht unabhängig vom Heiligkeitsgesetz (Lev 17–26), die Bezeichnung findet sich in Lev 19 und 25 (diese Texte stellen das thematisch wichtigste Vergleichsmaterial zum Dtn dar). Zum einen wird dauerhaftes privates Feindschaftsverhältnis gegenüber dem Nächsten bzw. gegenüber dem Bruder ausgeschlossen (Lev 19,17–18; B. ist als Synonym zu „Nächster“ in Lev 19,17 gebraucht). Die Sozialgesetzgebung will verhindern, dass veräußertes Gut an Fremde gelangt und sieht vor, dass ein Bruder das Gut eines verarmten Gesellschaftsmitgliedes kauft (Lev 25,25) oder dass er in Sklaverei absinkt (Lev 25,35). Sie verbietet Zinsnahme von Brüdern (Lev 25,36) und regelt den Sippenstatus des Betreffenden im Falle einer Schuldsklaverei als Mitbewohner, der nicht als Sklave zu behandeln sei (Lev 25,39–40), sowie, dass dauerhafte Sklaverei unter Brüdern zu verhindern sei und Schuldsklaven durch den Freikauf eines Bruders im Jubeljahr auszulösen seien (Lev 25,47–49).
Die altsemitische Namensgebung verwendet die Gottheit als Bruder in theophoren Namen: ʾaḥijahu „JHWH ist mein Bruder“, ʾaḥimælæḵ „mein Bruder ist König“, ʾaḥiram „mein Bruder ist erhaben“, ʾăḥiʾel „mein Bruder ist Gott“, ʾăḥʾāḇ „Vatersbruder“ und ʾăḥûmaj „Bruder meiner Mutter“.
4 Literatur
AASGAARD, СКАЧАТЬ