Deutsche Massenauswanderung in den vergangenen drei Jahrhunderten und Rückwirkungen auf die Außenbeziehungen Deutschlands. Manfred P. Emmes
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СКАЧАТЬ Anreiz dieser in Aussicht gestellten Maßnahmen war groß und hinterließ einen nachhaltigen Eindruck. Am Ende des Unabhängigkeitskrieges 1783 kehrten etwa 17.300 deutsche Soldaten in ihre Heimat zurück. Etwa 1.200 Soldaten waren in den Kämpfen gefallen, etwa 6.300 an Verwundungen oder Krankheiten gestorben. Insgesamt jedoch entschieden sich etwa 5.000 deutsche Deserteure und Gefangene für einen Verbleib in Nordamerika. Einige dieser vom vermieteten Söldner zum Siedler gewordenen Deutschen ließen ihre Familie nachziehen; auch von den Rückkehrern hatten viele den Entschluss gefasst, zusammen mit Verwandten oder Freunden endgültig in die nunmehr unabhängigen Vereinigten Staaten von Amerika auszuwandern. Die Berichte der zurückkehrenden Soldaten bestätigten und verstärkten das positive Nordamerikabild der Menschen in Deutschland; sie trugen damit zum Anstieg der Auswanderung zur Massenbewegung im 19. Jahrhundert bei.

      Für Deutschland bedeutete die Massenauswanderung im 18. Jahrhundert den Verlust von mehr als einer Viertelmillion überwiegend produktiver Menschen. Dies war nicht zuletzt durch die schwierigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zustände in den deutschen Ländern verursacht worden. Das galt für diejenigen, die nach Nordamerika gegangen waren, aber auch für die deutschen Siedler im Donauraum.

      Trotz vieler aufgezeigter Schwierigkeiten und besonderer Verläufe sollte sich die deutsche Nordamerikaauswanderung des 18. Jahrhunderts fortsetzen und die Grundlage zum starken deutschen Element in den Vereinigten Staaten von Amerika bilden. Nach Auffassung zeitgenössischer Beobachter haben diese Migrationsströme erheblich zu dem bemerkenswerten Aufstieg der neuen Weltmacht USA Ende des 19. Jahrhunderts beigetragen.2

       4.Entwicklungsbedingungen und Determinanten der deutschen Massenmigration im 19. und 20. Jahrhundert

       4.1. Politisch-wirtschaftliche Begleitumstände und Folgewirkungen

      Das 19. Jahrhundert ist das eigentliche Jahrhundert der deutschen Massenauswanderung. Die einzelnen Wanderungsströme, die Deutschland im 18. Jahrhundert erlebt hatte, gingen seit den 1790er Jahren zurück. Ihren Tiefststand erreichten sie um 1800 sowie weitgehend im Zeitraum bis 1830. Bemerkenswert waren zwei Wanderungswellen in dieser Zeit, die Auswanderung der Schwaben und Pfälzer nach Südrussland 1802-04 und die württembergische, badische sowie rheinische Auswanderung nach Russland und Amerika 1816/17. Beiden Ereignissen gingen schlechte Erntejahre voraus; vor allem der äußerst harte Winter 1816/17 und die darauf folgende Hungersnot waren Auslöser dafür, dass Zehntausende ihre Heimat verließen.

      Im Gegensatz zu den (einzelnen) Auswanderungswellen des 18. Jahrhunderts bildete die Auswanderung des 19. Jahrhunderts - trotz Höhen und Tiefen - einen nahezu kontinuierlichen Strom. 1832 wurde zum ersten Mal die Grenze von zehntausend Wegziehenden überschritten; von da an nahmen die Wellenbewegungen fortlaufend bis zu ihrem Scheitelpunkt in den 1850er Jahren zu. Sie waren Reaktion auf stetig wirkende Ursachen und besondere Ereignisse.

      War die Auswanderung des 18. Jahrhunderts noch wesentlich veranlasst durch Schwierigkeiten im Agrarbereich, was sich an der beruflichen Zusammensetzung der Wegziehenden ablesen lässt, nämlich eine vorwiegend kleinbäuerliche Bevölkerung -Handwerker und andere Berufe waren eher in der Minderzahl -, sollte sich dies in der Folgezeit ändern. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bildete zudem der Südwesten das Hauptauswanderungsgebiet; im Zuge der Industrialisierung kamen dann zunehmend Auswanderer aus Nord- und Mitteldeutschland, wobei auch der bäuerliche Anteil gegenüber (Industrie-) Arbeitern und Gewerbebeschäftigten zurückging.1

      Einfluss auf die Auswanderungsbereitschaft und -ziele von Personen dürfte auch ihre geografische Wohn- oder Siedlungslage gehabt haben. So scheinen die Nähe zu verkehrsgünstigen Straßen und eine nicht zu große Distanz zu Abfahrtshäfen die Auswanderung gefördert zu haben (Schwaben, Pfälzer, Moselfranken, Niedersachsen). Die Rheinschifffahrt bot z. B. den Badenern eine günstige Verbindung zu den Seehäfen im Norden, während die Württemberger noch stärker die Donauschifffahrt zur kontinentalen West-Ost-Wanderung nutzten. Die Verkehrsgeografie war insoweit wohl relevanter als die Konfessionszugehörigkeit, die die Auswanderer eher in die Gegenrichtung hätte führen müssen – die protestantischen Württemberger nach Nordamerika, die katholischen Badener nach Ost- und Südosteuropa. Überdies gehörten Besitzverteilung und Erbrecht zu den Hauptmotiven der Auswanderung jener Epoche. Im Südwesten war es vornehmlich die Anerbenregelung, die abgefundene Familienmitglieder, die nicht als Heuerlinge (eine Art Tagelöhner) auf dem Hof blieben oder sich eine Beschäftigung in Industrie und Gewerbe suchen wollten, dazu veranlassten, auszuwandern. In Übersee hatten sie bessere Chancen zu selbständigen Bauern zu werden.2

      Für die deutsche Massenauswanderung des 19. Jahrhundert werden z. T. permanent wirkende Ursachen als Hauptgrund erachtet. Frühere Auswanderungswellen wurden hingegen eher mit einmaligen und vorübergehend auftretenden oder andersartigen Ursachen in Zusammenhang gebracht. Gerade die Wirtschaftsentwicklung, deutlich erkennbar bei Wirtschaftsaufschwüngen und -krisen, hatte nahezu direkte Folgen für die Auswanderung. Hinzu kamen strukturelle Verschiebungen im Agrarbereich; war dieses Gefüge von Mitte des 17. Jahrhunderts noch vorwiegend kleinbürgerlichen Charakters, veränderte es sich hin zu wachsendem Großgrundbesitz sowie stärkerer Mechanisierung und Industrialisierung. Verbunden damit waren die Folgen der Bauernbefreiung, also die Ablösung der bäuerlichen Lasten durch entsprechende Zahlung an die Grundherren. Durch diese Zahlungsverpflichtung erwies sich die „Bauernbefreiung“ jedoch quasi als „Befreiung“ der Bauern von ihrem Land und ließ sie oft verschuldet zurück. So ist es nachvollziehbar, dass die Auswanderungsbewegung in diesem Zeitraum auf diese betroffenen Räume bezogen war (u. a. Ostelbien, Hessen, Norddeutschland, Südwestdeutschland).

      Hohe Preissteigerungen im Lebensmittel- und Futtermittelbereich, schlechte Erntejahre, die Verdrängung der kleingewerblichen Hausindustrie durch die industrielle Konkurrenz sowie ein rascheres Bevölkerungswachstum und steigende Gemeinde- und Staatslasten waren Faktoren, die in ihrem Zusammenwirken zur weiteren Verarmung der bäuerlichen Gesellschaft beitrugen.3

      Virulent war die Auswanderung aus Südwestdeutschland. Die wachsende Bevölkerung und die zunehmenden Schwierigkeiten ihrer Versorgung führten dort teilweise dazu, dass die Auswanderung als „soziales Ventil“ für die prekäre Lage erachtet wurde. Vielerorts bildeten sich Vereine zur Förderung der Auswanderung, wobei in einzelnen Kommunen die Kosten des Transports für die bedürftigen Bevölkerungsteile aufgebracht und diesen zur Verfügung gestellt wurden. Gleiches galt für staatliche Stellen, die ebenfalls die Auswanderung als „Notbehelf“ finanziell förderten. Der „Pauperismus“, eine Bezeichnung, die bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als begriffliche Umschreibung für die Massenarmut geläufig war, entstand im Wesentlichen aus einem langanhaltenden, strukturellen Mangel an ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten für die seit dem 18. Jahrhundert stetig wachsende Bevölkerung in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung bzw. eine sehr unregelmäßige Beschäftigung bildeten die Kernprobleme der sozialen Frage in der Periode des Vormärz (Zeitraum vor der deutschen Märzrevolution 1848).

      Massenarmut und Verelendung bezogen sich hierbei vor allem auf die ländliche Bevölkerung. Im Zuge der industriellen Entwicklung wurden in steigendem Maße jedoch auch die städtischen Unterschichten davon betroffen. Zurückgeführt werden konnte dies u. a. auf das Überangebot an Arbeitskräften sowie eine besonders niedrige Lohnstruktur und die in den 1830er und 1840er Jahren steigenden Preise für die Grundnahrungsmittel. Der Pauperismus war somit nicht eine Folge der beginnenden Industrialisierung, sondern hatte bereits frühere und andersgeartete Ursachen. Er war insbesondere die Begleiterscheinung des Auflösungsprozesses der feudalen Ständeordnung und des tiefgreifenden Übergangs zu einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Entscheidend für die Entstehung der vormärzlichen (also vor 1848) Massenarmut waren die allmähliche Durchsetzung marktwirtschaftlicher Strukturen, die Kommerzialisierung und Kapitalisierung der großbetrieblich organisierten Landwirtschaft, sowie die Aufhebung der traditionellen Privilegien СКАЧАТЬ