Über den Umgang mit Menschen (Enhanced, +Theaterstück). Adolph Freiherr von Knigge
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Название: Über den Umgang mit Menschen (Enhanced, +Theaterstück)

Автор: Adolph Freiherr von Knigge

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783940621764

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СКАЧАТЬ allerunbemerktesten und ganz nach seiner Neigung leben; da fallen eine Menge kleiner Rücksichten weg; man wird nicht ausgespähet, kontrolliert, beobachtet; es laufen nicht so aus Mund in Mund die interessanten Nachrichten: wievielmal in der Woche ich Braten esse, ob ich oft oder selten ausgehe und wohin; wer zu mir kommt, wie stark der Lohn ist, den ich meiner Köchin gebe, und ob ich kürzlich mit ihr geschmält habe? Meine Kleidung wird nicht gemustert; man fragt nicht in jedem Kramerhause meine Magd, wenn sie für vier Pfennige Pfeffer holt, für wen der Pfeffer ist und wozu der Pfeffer gebraucht werden soll? Eine unbedeutende Anekdote beschäftigt da nicht sechs Wochen lang alle Zungen; man wandelt unbemerkt, friedenvoll und ungeneckt durch den großen Haufen hin, besorgt seine Geschäfte und wählt sich eine Lebensart, wie man sie für zweckmäßig hält. In kleinen Städten ist man verurteilt, mit einer Anzahl oft sehr langweiliger Magnaten in strenger Abrechnung von Besuchen und Gegenbesuchen zu stehn, die gewöhnlich gleich nach dem Mittagstische ihren Anfang nehmen und bis zu der Bürgerglocke, das heißt bis zehn Uhr abends fortdauern, während welcher Zeit die Unterhaltung gewöhnlich den König von Preußen, den Kaiser, andre hohe Potentaten, und was der Reichspostreuter von ihnen meldet, zum Gegenstande hat. Das ist nun freilich erschrecklich; doch gibt es auch Mittel, dort den Ton des Umgangs nach und nach zu verfeinern oder das schwache Publikum daran zu gewöhnen, nachdem es ein viertel Jahr hindurch über uns gelästert hat, uns endlich auf unsre Weise leben zu lassen, wenn man sich übrigens redlich, menschenfreundlich, dienstfertig und gesellig beträgt. Am übelsten aber pflegt man in den mittlern Städten daran zu sein, sowohl in den Reichsstädten der geringem Klasse, als in unbeträchtlichen Residenzen. Da herrschen gewöhnlich, neben einem übertriebenen Luxus und solchen sittlichen Verderbnissen, die mit der Korruption in den größten Städten wetteifern, noch obendrein alle Gebrechen kleiner Städte, Klatschereien, Anhänglichkeit an Schlendrian, an Gewohnheiten und Familienverbindungen, die abgeschmacktesten Forderungen und die lächerlichste Klassifizierung der Stände. So habe ich eine Stadt gesehn, in welcher ein Mann durch seine kürzlich erhaltene Bedienung, die ehemals dort nicht existiert hatte, so sehr von allen übrigen einmal bestimmten Rangordnungen abgesondert war, dass er wie ein Elefant in einer Menagerie immer für sich allein spazieren gehn musste, ohne seinesgleichen, weder einen Gesellschafter, noch eine Gefährtin finden zu können. Vielleicht bin ich parteiisch für meine liebe Vaterstadt, aber ich glaube (und auch andre einsichtsvollere Männer lassen ihr diese Gerechtigkeit widerfahren), dass, obgleich Hannover nicht zu den größten Städten in Deutschland gehört, man dennoch hier so frei und unbemerkt leben könne als irgendwo. Vermutlich hat unsre Verbindung mit England, wo manche Vorurteile von der Art verachtet werden, hierzu viel beigetragen. Da nun aber in den wenigsten Städten von Deutschland diese glückliche Stimmung angetroffen wird, so muss man lernen, sich nach den herrschenden Sitten zu richten, und nichts kann unvernünftiger und für den Eiferer selbst von nachteiligem Folgen sein, als wenn ein einzelner, der nicht besonders in Ansehen steht, auftreten und seine Vaterstadt reformieren will. Nirgends kommt indessen ein solcher Deklamator übler an als in den Reichsstädten, wo alte Sitte und Schlendrian innig verwebt sind in die Regierungsform und in alle übrigen Verhältnisse. Dort kann zuweilen der bloße Schnitt eines Rocks oder ein bisschen mehr oder weniger Gold darauf, wodurch ein Kaufmann sich von seinen Mitbrüdern unterscheidet, ihn um seinen Kredit bringen, und eine Perücke im richtigen Kostüm, die über einen leeren Hirnkasten gehängt wird, bei der Ratsherrnwahl den Sieg über ein eigenes Haar, das einen feinen Kopf deckt, davontragen.

      In Dörfern und auf seinem Landgute lebt man in der Tat am ungezwungensten, und für jemand, der Lust hat, sich zu beschäftigen und zum besten andrer etwas beizutragen, findet sich da mannigfaltige Gelegenheit, indem man an dem nützlichsten, zu sehr niedergedrückten und vernachlässigten Stande zum Wohltäter werden kann; allein die geselligen Freuden sind auf dem Lande nicht so leicht zu verschaffen. In Augenblicken, wo man gerade Bedürfnis fühlt, seine Arme nach einem treuen Freunde auszustrecken, ist dieser Freund vielleicht Meilen weit von uns entfernt; man müsste denn reich genug sein, einen ganzen Hofstaat von Freunden um sich her zu versammeln, aber auch das hat seine üble Seite, und sehr reiche Leute fühlen ja ohnehin selten dies Bedürfnis. Um also hier glücklich und vergnügt leben zu können, ohne so sehr wohlhabend zu sein, soll man die Kunst verstehn, das Gute aus dem Umgange der Menschen, die man grade bei sich haben kann, zu schmecken und zu erkennen, der einfachen Freuden nicht müde zu werden, damit zu geizen, und ihnen auf erfindungsreiche Art Mannigfaltigkeit zu geben. Weil man auf dem Lande seine Frau, seine Kinder und seine Hausfreunde vom Morgen bis zum Abend ununterbrochen um sich zu sehn pflegt, so entsteht leicht Überdruss, Leere im Umgange. Dies kann durch einen Vorrat guter Bücher, die neuen Stoff zur Unterhaltung geben, durch interessanten Briefwechsel mit abwesenden Edlen und durch weise Einteilung der Zeit, indem man manche Tagesfristen einzeln in seinen Zimmern zubringt, gehoben werden, und nichts ist süßer auf dem Lande, als wenn, nach einem nützlich verlebten Tage, wo jeder für sich seine Geschäfte besorgt hat, des Abends sich der kleine Zirkel zum Spaziergange, muntern Scherze und zwanglosen Gespräche wieder versammelt. Es gibt selbst Prinzen, die diesen Genuss kennen, und ich habe noch vor nicht gar langer Zeit am Fuße der vogesischen Gebirge einige Wochen an dem Hofe eines guten und klugen Fürsten auf diese Art sehr glücklich hingebracht.

      Nichts aber ist erschrecklicher und doch häufiger zu finden, als wenn Menschen, die in kleinen Städten oder gar auf dem platten Lande täglich miteinander umgehn müssen, in ewigem Zwiste miteinander leben, und dabei doch nicht reich genug sind, sich jeder für sich eine besondre Existenz zu schaffen. Sie bauen sich eine Hölle auf Erden. Nirgends also ist es so wichtig als hier, schonend, nachsichtig, geschmeidig, vorsichtig, klug und mit einer Art von Koketterie im Umgange zu verfahren, um Missverständnissen, Ekel und Überdrusse vorzubauen.

      54.

      In fremden Städten und Ländern ist Vorsichtigkeit im Umgange zu empfehlen, und das in manchem Betrachte. Wir mögen nun dort Unterricht und Belehrung, oder ökonomische und politische Vorteile oder bloß Vergnügen suchen, so ist es sehr notwendig, gewisse Rücksichten nicht zu verachten. Im ersten Falle, nämlich wenn wir reisen, um uns zu unterrichten, versteht sich's vor allen Dingen von selbst, dass wir wohl überlegen, in welchem Lande wir sind, und ob man da ohne Gefahr und Verdruss von allem reden und nach allem fragen dürfe. Es gibt leider auch in Deutschland Staaten, in welchen die Regierungen es nicht gern sehen und es scharf ahnden, wenn gewisse Werke der Finsternis an das Tageslicht gezogen werden. Da ist Behutsamkeit nötig, sowohl in Gesprächen und Nachforschungen als in der Wahl der Menschen, mit denen man sich in Verbindung einlässt. Übrigens muss ich auch hier erinnern, dass sehr wenig Reisende eigentlich Beruf haben, sich um die innere Verfassung fremder Länder zu bekümmern; allein törichte Neugier, Vorwitz, unruhiger Tätigkeitstrieb jagt jetzt haufenweise die Menschen hinaus, um in fremden Gasthöfen, Posthäusern, Klubs und in den Schatzkammern hypochondrischer Gelehrter unsichre Anekdoten zu einem Werkchen zu sammeln, indes sich daheim noch unendlich viel für sie zu wirken und zu lernen gefunden haben würde, wenn es ihnen um ihr und andrer Wohl ernstlich zu tun wäre.

      Dass diese Vorsicht verdoppelt werden müsse, sobald man an einem fremden Orte für sich etwas zu suchen oder zu fordern hat, versteht sich wohl von selber. Da alsdann manches Auge auf uns gerichtet ist, so müssen wir den Umgang mit Leuten vermeiden, die, unzufrieden mit der Regierung, sich so gern den Fremden an den Hals werfen, weil sie unter ihren Mitbürgern durch unkluge Aufführung sich einen bösen Namen gemacht und sich auf diese Art den Weg versperrt haben, bürgerliche Vorteile zu erlangen, die sie aber zu verachten scheinen, wie der Fuchs die Trauben. Diese Art Leute sucht sich dann dadurch ein bisschen zu heben, dass sie mit den Reisenden, denen sie sich in den Gasthöfen oder auf andre Art aufdrängen, durch die Gassen der Stadt laufen und dadurch Verbindungen in andern Ländern mutmaßen lassen. Ein Fremder, der nur wenig Tage sich an einem Orte aufhalten will, kann ohne Nachteil mit diesen mehrenteils sehr geschwätzigen und von lustigen und ärgerlichen Märchen aller Art vollgepfropften Ciceronis nach Gefallen herumrennen, und kein vernünftiger Mann wird ihm das verdenken; wer aber länger in einer Stadt verweilen, in den bessern Zirkeln Zutritt haben oder gar ein Geschäft zustande bringen will, dem rate ich, in der Auswahl seines Umgangs auch die Stimme des Publikums zu respektieren.

      Es gibt fast in jeder Stadt eine Partei solcher Unzufriedener; sei es nun mit der Regierung oder nur СКАЧАТЬ