Название: Sprachgewalt
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Издательство: Автор
Жанр: Социальная психология
isbn: 9783801270308
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Die beschriebene Radikalisierung der Begriffsbedeutung seitens der extremen Rechten führte allerdings nicht dazu, dass Volk im ausgehenden Kaiserreich und in der Weimarer Republik im allgemeinen Sprachgebrauch nur in einem ethnisch-rassistischen Sinne verwendet wurde. Der Begriff war weder einseitig »völkisch« aufgeladen, noch wurde er ausschließlich von entsprechenden Kreisen gebraucht. Vielmehr nutzten ihn Sprecher fast aller politischen Lager. In der Weimarer Republik wurde mit ihm sowohl für die Republik geworben, als auch diese bekämpft. Insgesamt scheint er aber wesentlich häufiger in der Bedeutung »demos« und »plebs« als in der explizit ethnischen Lesart verwendet worden zu sein. Jedoch wurde der Volksbegriff selbst bei Sprechern aus den Milieus, die die Republik unterstützten, selten zugunsten eines pluralistischen »demos« gebraucht. Auch das Volk der Staatsbürgernation ließ sich mit metaphysisch-holistischen Vorstellungen, etwa der von einem »Volkskörper« mit »Willen« und »Charakter«, aufladen. Eine solche – während der Weimarer Republik etwa im politischen Katholizismus häufig anzutreffende – Verwendungsweise negierte die Realitäten im neuen Staat und eröffnete Andockstellen für ethnische Konzepte.
Nichtsdestoweniger wurde der Volksbegriff während der Weimarer Republik in seinen verschiedenen Bedeutungen verwendet. Erst mit der Ausschaltung der politischen Opposition und der freien Presse ab 1933 änderte sich dies grundlegend. Der politisch-gesellschaftliche Diskurs wurde fortan in hohem Maße durch Staat und Partei kontrolliert, unliebsame Meinungsäußerungen konnten – sofern sie überhaupt noch (halb-) öffentlich getätigt wurden – hart bestraft werden. Für Weltanschauung, Politik und Propaganda der Nationalsozialisten war das »deutsche Volk« als biologistisch oder metaphysisch-holistisch gedachte rassistisch-ethnische Gemeinschaft von zentraler Bedeutung. Es und seine angeblichen Interessen dienten zur Legitimation von Ausgrenzung, Vernichtungskrieg und Genozid. Ihm hatte sich alles unterzuordnen – der Slogan »Du bist nichts – dein Volk ist alles«10 brachte ein solches Denken prägnant auf den Punkt. Die von den Nationalsozialisten postulierte und von vielen Deutschen bereits seit dem Ersten Weltkrieg erhoffte Verwirklichung einer harmonischen »Volksgemeinschaft« blieb Fiktion. Die Ansätze der Nationalsozialisten, eine solche klassenlose Gesellschaft zu schaffen, waren stets mit der Exklusion von angeblich »Volks-« und »Gemeinschaftsfremden« verbunden gewesen. Und selbst Hitler musste im April 1945 in seinem politischen Testament eingestehen, dass die »Verwirklichung einer wahren Volksgemeinschaft« die Aufgabe einer künftigen »nationalsozialistischen Bewegung« sein werde.11
Mit dem Untergang des »Tausendjährigen Reichs« und dem Selbstmord seines »Führers« verschwand der Volksbegriff 1945 nicht aus der deutschen Sprache. Zwar gibt es zur Verwendung des Wortes in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg keine systematischen Untersuchungen, doch ist auffallend, dass selbst explizite Gegner des Nationalsozialismus nicht auf den Volksbegriff verzichteten. Bemerkenswert – und auf den ersten Blick überraschend – ist, dass das Wort gerade im sozialistischen deutschen Teilstaat prominent gebraucht wurde. »Volkskammer«, »Volkspolizei«, »Volkseigener Betrieb« sind nur einige Beispiele für die in der DDR etablierten Volkskomposita. In der Nutzung des Wortes Volk brachte die Staats- und Parteiführung wohl zuvorderst ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass nunmehr die »plebs« zur Macht gelangt sei. Damit knüpfte die SED an eine tradierte sozialistische Verwendungsweise des Begriffs an. Zudem schwangen darin der Verweis auf den »demos« und der Selbstanspruch, eine demokratische Republik zu sein, mit. Der Bezug auf das Volk ließ aber auch darüber hinausgehende Deutungen zu: Wendungen wie »Volk der Deutschen Demokratischen Republik« oder »Nationale Volksarmee« konnten durchaus ethnisch verstanden werden.
Zwar wurde der Volksbegriff in der Bundesrepublik nicht so prominent verwendet wie in der DDR, doch blieb auch hier das Wort in der politischen Sprache erhalten. In der ersten Sitzung des Deutschen Bundestags am 7. September 1949 etwa nutzten sowohl Abgeordnete der CDU als auch der SPD den Terminus. Nicht selten wurde in den Reden das »deutsche Volk« als Opfer von Krieg und Nationalsozialismus dargestellt.12 Und auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland fand das Wort wiederholt Eingang, etwa in der zentralen Bestimmung, wonach »alle Staatsgewalt […] vom Volke«13 ausgehe. Ähnlich wie schon in der Weimarer Reichsverfassung wurde der Begriff in der Bonner Konstitution nicht näher definiert. Jedoch bildete sich – im Gegensatz zu Weimar – in der Staatsrechtslehre der Bundesrepublik keine antipluralistische Mehrheitsmeinung heraus, der zufolge das Volk ein metaphysisches Wesen sei, über der Verfassung stehe und sich sein Wille nicht in Wahlergebnissen fassen lasse. Volk wurde in der Bundesrepublik stattdessen zumeist als pluralistischer »demos« begriffen. Dies mag mit der zunehmenden Akzeptanz des westlichen Demokratiemodells zusammenhängen. Hinzu trat aber wohl auch eine Veränderung des Sprachduktus. Die vormals häufig von Pathos und »existenziellen«14 Kategorien durchzogene Semantik kam in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend aus der Mode.
Ein kurzzeitiges und prominentes Comeback erlebte der Volksbegriff im Herbst und Winter 1989/90 auf den Demonstrationen in der DDR. Mit Parolen wie »Wir sind das Volk« drückten die Bürgerinnen und Bürger ihre Unzufriedenheit mit dem politischen System und der herrschenden Partei der DDR aus und machten deutlich, dass sie der »demos« und nicht länger die »plebs« seien. Das weitgehend machtlose, von der SED regierte Volk erinnerte die Mächtigen an den demokratischen Anspruch des »Arbeiter- und Bauernstaates«. Nach dem Fall der Berliner Mauer und der einsetzenden Hoffnung auf eine baldige Vereinigung beider deutscher Staaten wurde auf den Transparenten immer häufiger das »das« zu einem »ein« – und somit zur Forderung nach einer deutschen Einheit. Aus dem emanzipatorischen Ruf gegen die Herrschenden wurde das – nicht nur in einem freiheitlich-demokratischen, sondern durchaus auch in einem ethnisch-nationalistischen Sinne zu verstehende – Bekenntnis zum Zusammenschluss aller Deutschen in einem Staat.
Im Deutschland der Gegenwart wird der Volksbegriff vor allem von rechtspopulistischen und -extremen Gruppierungen wie Pegida oder der AfD häufig verwendet. Nicht selten machen sich diese die verschiedenen Bedeutungen des Wortes zunutze. Das bei Pegida-Protesten skandierte »Wir sind das Volk« nimmt Bezug auf die Demonstrationen in der Endphase der DDR. In dem Slogan kommt die Vorstellung der Protestierenden zum Ausdruck, »das Staatsvolk« zu verkörpern, das von »denen da oben« nicht gehört werde und das seine Rechte gegenüber den Herrschenden einfordern müsse. Neben dem Verweis auf »demos« und »plebs« spielt bei den Pegida-Demonstrationen, die sich gegen Zuwanderung und eine angebliche Islamisierung Deutschlands richten, aber auch die »ethnos«-Bedeutung eine wichtige Rolle. Mit dem mehrdeutigen Volksbegriff scheint es Pegida zu gelingen, sowohl unzufriedene Konservative als auch eingefleischte Rechtsextreme zu erreichen. Nicht zuletzt in den Reden auf den Protestkundgebungen wird deutlich, dass unter den Demonstranten die Überzeugung verbreitet ist, exklusiv definieren zu können, wer zum »deutschen СКАЧАТЬ