Название: Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald
Автор: Margarete Schneider
Издательство: Bookwire
Жанр: Афоризмы и цитаты
isbn: 9783775172103
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Wen wollte Röhm mit diesem Aufruf treffen? Einzelne SA-Führer? P. S. verstand den Aufruf als eine Verächtlichmachung christlicher Moralbegriffe. Röhm versuche in ihm, diejenigen, die sich nicht an »NS-Kämpfern« orientierten, der Lächerlichkeit preiszugeben. P. S. erwartete einen Protest der offiziellen Kirche. Als ein solcher nicht kam, verlas er bei den Abkündigungen im Gottesdienst seinen eigenen und gab ihn im Aushängekasten der Kirchengemeinde am Pfarrhaus der Bevölkerung zu lesen. Er stellt fest, Röhm spreche sich »gegen die Geltung von sittlichen Grundsätzen und gegen das Eintreten dafür in unserem Volksleben in einer Weise aus, dass man vom Standpunkt evangelischen Glaubens nur aufs Schärfste gegen Geist und Inhalt dieses Aufrufs protestieren« könne. Er folgert: »Wenn Stabschef Röhm meint, dass der Aufbau unseres Volkes und die Aufgabe der SA nichts mit Sittlichkeit und Keuschheit zu tun habe, und wenn er von diesen Dingen als von ›verschrobenen Moralstützen‹ spricht, so irrt er und hat mit diesem Aufruf unserem Volk einen schlechten Dienst geleistet.«
Als der NSDAP-Stützpunktleiter Johannes Mehl von diesem Aufruf hörte, ließ er P. S. bitten, ihm diesen auszuhändigen. Als der Pfarrer das verweigerte, ließ er den ganzen Kasten von der Wand abmontieren, um zu Hause die Stellungnahme aus ihm zu entfernen und den leeren Kasten dem Pfarrer zurückzuschicken. Mehl forderte P. S. schriftlich auf: »Für die Zukunft bitte ich Sie, Schriftstücke politischer Art vor der Veröffentlichung mir vorzulegen.«
Mehl benachrichtigte die NSDAP-Kreisleitung Wetzlar über den Vorgang, diese informierte das Landratsamt (was nicht nötig gewesen wäre, denn Kreisleiter Grillo war zugleich Landrat). Der Vertreter des Landratsamtes teilte dem Konsistorium in Koblenz mit, die NSDAP verlange, Pfarrer Schneider sofort in Schutzhaft zu nehmen, um ihn vor der empörten Öffentlichkeit zu schützen. Um nicht die Autorität des Pfarrers vor seiner Gemeinde durch eine Verhaftung zu beschädigen, möge das Konsistorium ihn bis zur Aufklärung der Sache beurlauben. In einem zweiten Anruf am selben Tag erklärte der Vertreter des Landratsamtes, wenn das Konsistorium nicht sogleich die Beurlaubung verfüge, sei Schutzhaft nicht zu vermeiden. Daraufhin beauftragte Oberkonsistorialrat Siebert Superintendent Wieber, sofort P. S. aufzusuchen, ihm die Beurlaubung auszusprechen und ihn zu einer Aussprache in das Konsistorium zu bestellen.
Einstweilen schrieb die Kreisleitung Wetzlar an den Landrat: »Ich bitte Sie, den Landjäger aufmerksam zu machen, dass er sofort diesen Kasten für alle Zukunft verbietet, und dass Sie Pfarrer Schneider in Schutzhaft nehmen. Dieser Mensch gehört in ein Konzentrationslager und nicht auf die Kanzel.« Die Kreisleitung Wetzlar hat zugleich die Gauleitung in Frankfurt/Main schriftlich über diesen Vorgang informiert.
Was das Gespräch des neuen Bischofs Dr. Heinrich Oberheid – er war drei Tage zuvor in das neu errichtete »Evangelische Bistum Köln-Aachen« eingeführt worden – mit P. S. betrifft, so berichtete M. S., ihr Mann sei danach äußerst deprimiert nach Hause gekommen. Oberheid, in SA-Uniform auf dem Schreibtisch sitzend, Zigarette rauchend, habe es durch sein Auftreten verstanden, dem kleinen Landpfarrer deutlich zu machen, dass er mit seinem Angriff auf Röhm sich und die Kirche blamiert habe. Dem Landrat und Kreisleiter der NSDAP, den er mit »Euer Hochwohlgeboren« anspricht, berichtet Oberheid noch am selben Tag über dieses Gespräch: »Ich habe ihm sein Vorgehen ernst verwiesen.« P. S. habe sich seinen Vorhaltungen bereitwillig geöffnet. Er habe folgende Erklärung unterschrieben: »Nachdem ich mich durch meine vorgesetzte Kirchenbehörde habe unterrichten lassen, dass Sinn und Abzweckung des Aufrufes des Herrn Stabschef Röhm an die SA und SS gegen das Muckertum anderer Art gewesen ist, als ich es in meinem Protest vom 8. ds. Mts. glaubte annehmen zu sollen, bedauere ich, dass ich diesen Protest gefasst habe, und nehme ihn hiermit zurück.« Er, Oberheid, sei »der Zuversicht, dass Pfarrer Schneider hinfort die richtige Einstellung zu den Maßnahmen des Staates und der Partei finden wird«, er bitte, »deshalb von weiteren Erwägungen über die Verhängung der Schutzhaft absehen zu wollen«. Dann könne er auch die Beurlaubung rückgängig machen.
Schon am nächsten Tag antwortete der Landrat dem Bischof, er hielte es nicht für angängig, wenn die Beurlaubung zurückgezogen werde, ehe die Angelegenheit völlig geklärt sei. Schneiders Verhältnis zu den beiden Stützpunktleitern seiner Gemeinde sei zu gespannt. »Herr Pfarrer Schneider hat durch seine Haltung den Eindruck erweckt, als ob er nicht voll auf dem Boden des heutigen Staates steht. Es liegen über ihn eine ganze Reihe von Eingaben bei der Kreisleitung der NSDAP vor.« Der Bischof solle vor Ort klären lassen, ob P. S. in der Gemeinde bleiben könne. Er gibt dem Bischof zu bedenken: »Ich persönlich glaube kaum, dass sich die Angelegenheit anders erledigen lässt als durch die Versetzung des Pfarrers Schneider … Die ausgesprochene Beurlaubung kann m. E. nicht zurückgenommen werden.« Erstaunlich, wie ungeniert der Landrat dem neuen Bischof sagt, was die Kirche gegen P. S. zu tun habe.
Getreu dem Rat des Landrats sandte das Konsistorium zwei Beauftragte, Konsistorialrat Dr. Jung179 und Pfarrer Wolfrum180, nach Hochelheim und Dornholzhausen, die erkunden sollten, ob P. S. in seinen Gemeinden noch den nötigen Rückhalt habe. Die beiden gingen freilich zuerst zum Landrat nach Wetzlar und ließen sich von ihm und vom stellvertetenden Gauleiter der NSDAP sagen, dass Schneider wegen der Erregung der beiden Stützpunktleiter versetzt werden müsse. Sie sprachen daraufhin in Hochelheim mit P. S. Davon berichtet Dr. Jung:181 »Pfarrer Schneider bestritt, dem nationalen Staat ablehnend gegenüberzustehen.« Seinen Austritt aus der Glaubensbewegung Deutsche Christen habe er deswegen der Gemeinde mitgeteilt, weil er ihr bei einer vorherigen Gemeindeversammlung seinen Eintritt mitgeteilt habe. Er halte sich für verpflichtet, »die Gemeinde von seiner kirchenpolitischen Stellung in Kenntnis zu setzen«. Die Presbyter und Gemeindeverordneten von Dornholzhausen hätten einstimmig eine Vertrauenskundgebung für ihren Pfarrer beschlossen. Auch in Hochelheim hätte eine solche Kundgebung beschlossen werden sollen, doch habe der Lehrer die Leute gewarnt, sie könnten sich damit Ungelegenheiten bereiten. Daher sei sie in Hochelheim unterblieben.
Pfarrer Schneider habe ferner berichtet, Stützpunktleiter Mehl in Hochelheim habe öffentlich angeschlagen und mit der Ortsschelle182 bekanntgeben lassen, wer etwas gegen ihn, den Stützpunktleiter, sage, der werde einer strengen Bestrafung zugeführt werden. Der Polizeidiener habe an diese Bekanntgabe die Bemerkung geknüpft: »Jetzt bringen wir ihn weg«. Zu einem Gespräch mit dem Presbyterium in Hochelheim hätten nur zwei Presbyter kommen können. Diese hätten sich entschieden für Pfarrer Schneider und sein Verbleiben in der Gemeinde ausgesprochen. Sie hätten gesagt, die übrigen Presbyter seien der gleichen Auffassung. Dr. Jung fasst als Gesamteindruck von Pfarrer Schneider zusammen: »… dass er ein etwas eigensinniger und eigenwilliger Mensch ist, der nicht leicht von seinen Ansichten abzubringen ist und infolgedessen auch für die Zukunft noch Anlass zu Schwierigkeiten geben wird. Er sieht jedoch ein, dass er in vielen Fällen zumindest unklug gehandelt hat, und sagte zu, sich hinsichtlich der Politik fortan völlig zurückzuhalten. Er ist bereit, sich aus Hochelheim versetzen zu lassen, bat jedoch, eine solche Maßnahme zu verschieben, um nicht mit dem Makel mangelhafter nationaler Gesinnung behaftet zu scheiden.«
Pfarrer Wolfrum, der auch Mitglied der NSDAP war, berichtet183 von seinem Gespräch mit den beiden NSDAP-Stützpunktleitern von Hochelheim und Dornholzhausen, zunächst hätten sie behauptet, Pfarrer Schneider sei für sie untragbar, eine seelsorgerliche Tätigkeit des Pfarrers in Hochelheim käme nicht mehr infrage. Seine Nachfrage habe aber ergeben, dass beide, was den Charakter des Pfarrers betreffe, keine gewichtigen Einwände hätten. Er handle oft im Übereifer, mische sich in persönliche Angelegenheiten, mache da mehr schlecht als gut, vor allem aber: Er habe noch nicht das notwendige Verhältnis zur NSDAP. Die beiden Stützpunktleiter hätten schließlich erklärt, sie seien damit einverstanden, dass der Pfarrer im Amt und in Hochelheim tätig bleibe. Aber er müsse beim nächsten Gemeindeabend seine Bereitwilligkeit zur loyalen Mitarbeit mit den örtlichen Führern der NSDAP erklären. Er solle künftig im Anschluss an die Predigt alle Bemerkungen zu politischen Vorgängen unterlassen, solle sich auch der persönlichen Einmischung in örtliche Verhältnisse und Streitigkeiten enthalten. Andererseits habe der Stützpunktleiter versprochen, die Hitlerjugend zum Besuch des Gottesdienstes und der kirchlichen Veranstaltungen anzuhalten(!). »Er werde es auch СКАЧАТЬ