Название: DSA: Rabenerbe
Автор: Heike Wolf
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Das Schwarze Auge
isbn: 9783957526533
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Said presste die Kiefer aufeinander, um den Widerwillen hinab zu zwingen, der seine Finger kribbeln ließ. »Ich weiß nicht«, murmelte er, den Blick starr auf die Tischplatte gerichtet, damit die anderen nicht sahen, wie es in seinem Gesicht arbeitete. »Ich darf eigentlich nicht ...«
»Wieso darfst du nicht? Gehörst du etwa dem Wirt?«, fragte ein Nordländer mit roten Wangen und sonnenverbrannter Glatze. »Bist ein Sklave, hö?«
Said schüttelte rasch den Kopf. »Nein, aber ...«
»Natürlich gehört er mir«, grollte die tiefe Stimme des Wirts hinter ihnen. Gewichtig baute er sich vor dem Tisch auf. »Lass ihn los. Er hat zu tun.«
Die Gespräche an den Nachbartischen verebbten, sodass das Lachen der Rothaarigen eigentümlich in die plötzlich einsetzende Stille klang. Ohne jede Eile wandte sie sich dem Wirt zu, der sich vor ihr aufgebaut hatte.
»Hab dich nicht so.« Sie grinste frech, die Hand immer noch in Saids Schritt. »Er sagt, dass er dir nicht gehört, also kann ich ihn haben. Ich mach ihn schon nicht kaputt.«
Die Augen des Wirts verengten sich. Er war nicht groß, vielleicht einen halben Kopf kleiner als die Matrosin, und eher sehnig als muskelbepackt, aber Said wusste, wie sehr der äußere Schein trog. Die Rothaarige ahnte vermutlich nicht einmal, mit wem sie es hier zu tun hatte.
»Du nimmst jetzt die Finger von ihm.« Die Stimme des Wirts klang ruhig, aber es lag eine Kälte darin, die deutlich machte, wie ernst es dem Mann war. »Anschließend trinkt ihr aus und verlasst meinen Laden. Ich will euch hier nicht wiedersehen.«
Die Matrosin wechselte einen kurzen Blick mit ihren Zechkumpanen, offenbar verblüfft, dass der Wirt es wagte, ihnen zu drohen. Ein herausforderndes Grinsen umspielte ihre Lippen, als sie sich ihm wieder zuwandte. »Und wenn nicht?«
Der Mundwinkel des Wirts zuckte kurz. Dann schlug er zu.
Seine Faust traf die Nase der Frau mit einer Wucht, dass sie aufschrie und zurückgeschleudert wurde. Mit lautem Getöse ging sie samt Stuhl zu Boden. Die anderen Zecher sprangen erschrocken auf, und für einen Moment schien die Taverne den Atem anzuhalten.
Der Wirt packte Said und zerrte ihn auf die Füße. »In den Keller«, zischte er und versetzte ihm einen Stoß, der ihn zwischen den Tischen davonstolpern ließ. Aus den Augenwinkeln bemerkte Said, wie sich einige der Gäste langsam erhoben. Einen Herzschlag lang erwog er, sich der Aufforderung zu widersetzen, um im Handgemenge eine Gelegenheit zu finden, seinen Auftrag zu vollenden. Doch er verwarf den Gedanken gleich wieder. Die Gefahr, dass jemand etwas bemerkte, war zu groß. Aber wenn ihn der Wirt in den Keller schickte, würde er früher oder später nachkommen. Und dann wären sie allein.
Flink huschte Said hinter die Theke, von wo aus eine Treppe hinab in die Kellergewölbe führte. Hinter ihm wurden Stimmen laut. Stühle wurden geschoben, aber er zwang sich, nicht zurück zu schauen, während er eilig die dunklen Stufen hinabstieg.
Der Keller war in den Basalt gehauen und deutlich älter als der Rest des Hauses. Vielleicht so alt wie Al’Anfa selbst, denn während Tropenstürme und Brände das Gesicht der Stadt immer wieder veränderten, blieb die Unterwelt über Jahrhunderte davon unberührt. Es hätte Said nicht gewundert, wenn es hier auch irgendwo einen Zugang zum Labyrinth gab, das angeblich die ganze Stadt durchzog. Doch seine Suche war bislang erfolglos geblieben.
In einer Wandnische brannte eine Öllampe, die Said an sich nahm. Gewöhnlich entzündete er eine zweite Lampe an der Flamme, wenn er hier unten zu tun hatte, aber für das, was er vorhatte, war es besser, wenn es so wenig Licht wie möglich gab. Das Flackern des Dochts fing sich an den Fässern, die sich an der Wand reihten und mit schlichten Basaltbrocken am Fortrollen gehindert wurden. Auf der anderen Seite erhob sich ein klappriges Regal, in dem Flaschen mit Reisbrand gestapelt lagen. Die Luft roch abgestanden und muffig, nach altem Holz und saurem Wein. Am Rand des Lichtscheins huschte eine aufgeschreckte Ratte davon und suchte zwischen den Fässern Zuflucht.
Said strich mit der Hand über die Regalbretter, zerrieb den trockenen Staub zwischen den Fingerspitzen, ehe er durch den niedrigen Durchgang in den zweiten Kellerraum ging. Hier lagerten vor allem Gerümpel, kaputte Fässer, die der Wirt irgendwann reparieren wollte, Bretter, leere Säcke und allerlei Vorräte. Reissäcke stapelten sich an einer Wand, daneben großen Amphoren, in denen Oliven und andere Dinge in Öl aufbewahrt wurden. Der Geruch nach geronnenem Blut hing in der Luft, und als Said die Lampe hob, fiel der Lichtschein auf zwei frisch geschlachtete Selemferkel, die an Haken von der Decke baumelten. Auf einem Block daneben steckte ein schweres Schlachtmesser, an dessen Klinge noch Knochenreste und Blut klebten. Eine dicke Schicht Fliegen hatte sich auf dem Fleisch und dem Eimer mit den Eingeweiden niedergelassen, der neben dem Hauklotz stand.
Saids Blick wanderte umher, während er versuchte, sich alles so gut wie möglich einzuprägen. Jede Einzelheit war überlebenswichtig, vor allem im Kampf mit einem überlegenen Feind. Der Wirt war wahrscheinlich der gefährlichste Gegner, mit dem es Said jemals zu tun gehabt hatte. Meister Darjin hatte ihn alles gelehrt, was er über die Hand Borons wissen musste, die berüchtigte Meuchlergilde Al’Anfas. Dennoch spürte Said die Anspannung, die die Hand mit der Lampe zittern ließ. Die Worte des Meisters waren eindeutig gewesen: Said durfte der Hand Borons auf keinen Fall lebendig in die Hände fallen. Wenn er den Keller verließ, war er entweder erfolgreich, oder er starb bei dem Versuch.
Er schloss die Augen und ermahnte sich stumm zur Ruhe. Ein ruhiges Herz und ein beherrschter Geist waren zwei der wichtigsten Aspekte des schnellen Todes. Ein dritter war die Überraschung, der unvorhergesehene Moment, und der musste gelingen. Der Wirt ahnte nicht, was Said in Wirklichkeit war, und das war sein größter Vorteil.
Er kehrte in den Weinkeller zurück und stellte die Öllampe auf einem aufrecht stehenden Fass ab. Noch einmal sah er sich um, während er nach oben lauschte. Es schien alles ruhig, keine Schreie, kein Brüllen oder Krachen von Stühlen und Tischen. Nur das übliche Brummen zahlreicher Stimmen und Schritte auf dem morschen Dielenboden.
Said holte tief Luft, entließ den Atem langsam und bewusst durch die Zähne. Wenn er sich in dem Wirt nicht getäuscht hatte, war es soweit. Die Aufregung, die eben noch seine Brust eng werden ließ, war verschwunden und hatte einer abgeklärten Anspannung Platz gemacht. Der Wirt war nicht der Erste, den er tötete. In den Jahren, die er bei Meister Darjin verbracht hatte, hatte der Maraskaner ihn immer wieder auf die Probe gestellt. Anfangs hatte sich alles in ihm dagegen gesträubt, und als er erstmals ein Leben genommen hatte, hatten ihn wochenlang Alpträume verfolgt. Doch Al’Anfa war eine grausame Herrin, und wer nicht zerbrechen wollte, musste brechen. Also hatte Said gelernt zu töten.
Die Tür zum Schankraum scharrte auf den Holzdielen, schloss sich wieder, und ein leises Klappern zeigte Said an, dass der Riegel vorgeschoben wurde. Seine Nackenhaare stellten sich auf, als die Schritte langsam die Treppe hinabstiegen.
»Du hast heute für einige Unruhe gesorgt.« Die Stimme des Wirts klang ruhig, beinahe erheitert. Er kam die letzten beiden Stufen hinab und trat in den Schein der Öllampe. »Das könnte mich einiges gekostet haben.«
»Haben sie denn nicht bezahlt?« Said machte einen halben Schritt zurück, bis er gegen das Fass stieß. Seine Hand grub sich in den ausgebleichten Stoff seines Hemds, während er dem Blick des Wirts auswich.
»Oh doch.« Der Wirt lachte leise. »Das haben sie. Aber sie haben zwei Stühle und ein Dutzend Becher zerschlagen. Hast du eine Idee, wie du das bezahlen willst?«
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