Название: Kabarett Sauvignon
Автор: Thomas C. Breuer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Lindemanns
isbn: 9783881907507
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Die Terrassenmosel
Mit Terrassenmosel wird der etwa 100 Flusskilometer lange untere Talabschnitt der Mosel zwischen Pünderich und Koblenz bezeichnet. Im Karbonzeitalter vor 350 Millionen Jahren wurde das Rheinische Schiefergebirge gehoben, aufgefaltet und im wahrsten Sinne des Wortes „gestylt“. Im Tertiär begann dann die Ausformung der heutigen Mosellandschaft. In den letzten 500.000 Jahren hob sich das Gebirge weiter, die Einschnitte der Mosel wurden tiefer als die im Sozialwesen des 21. Jahrhunderts. Die Berge wurden schiefer, die Bewohner schräger.
Ob nun die Kelten oder die Römer mit dem Weinbau begannen, darüber streiten sich die Gelehrten. Für die Kelten spricht: Sie hassten die Jagd, denn die blöden Viecher wollten einfach nicht stillhalten. Die Trauben aber wuchsen sozusagen ohne besonderes Zutun, man musste einfach zuwarten. Sie machten einen Reifeprozess durch, Menschen wie Trauben, was auch die These untermauert, dass das Trinken die Menschen sesshaft gemacht hat und nicht etwa die Nahrungsaufnahme, zumal die Kelten nach einem veritablen Kater absolut keinen Bock auf blödsinniges Gerenne hatten. Außerdem gibt es Essen to go, Wein aber eher selten, und wenn, dann mit einem gewissen Stigma behaftet. Noch ein Punkt für die Kelten: Der Name der Weinpresse ist – Kelter. Für die Römer spricht: Den Römer kennt man als Trinkgefäß für Wein. Es begab sich in Albis, später Alf, als Legionäre eines Abends ihre Lanzen in den Boden rammten, um sich einem Gelage hinzugeben. Als dieses nach bereits sieben Tagen endete, waren die Lanzen sozusagen umrankt von Reben. Anscheinend hatten die Pflanzen schon seit Dezennien im Boden gelauert und nur auf eine günstige Gelegenheit gewartet. Um den Transport der flüssigen Nahrung zu optimieren, bauten die Römer in Bullay den ersten Umweltbahnhof überhaupt. Außerdem forschten sie unentwegt nach tauglichen Methoden, Glühwein herzustellen, denn sie froren erbärmlich trotz des Mittelmeerklimas und waren ständig erkältet. Wieso sie dann aber Weißwein anbauten, bleibt schleierhaft. Die Kelten suchten lediglich nach Möglichkeiten, besoffen zu werden. In manchen Lagen wuchs ein leider säuerlicher Wein, den man immerhin bei der Haarentfernung anwenden konnte.
Fest steht: Die Moselterrassen gehen auf die Tausenden von chinesischen Kulis zurück, die Mitte des 19. Jahrhunderts beim Bau der Moselbahn beschäftigt worden waren und unbedingt Reis anpflanzen wollten. Aus ihrer Heimat Longsheng kannten sie nur den Terrassenbau, und die Prallhänge der Untermosel waren wie geschaffen für ihr Vorhaben. Bedauerlicherweise wurden Jahrhunderte später durch die Flurbereinigung viele Terrassenmauern abgebrochen und eingeebnet, um sie einfacher bewirtschaften zu können – ein Treppenwitz der Weltgeschichte, waren diese Terrassen doch ein Herausstellungsmerkmal der Terrassenmosel, daher doch der Name, Dummy! Auswärtige Besucher klagten darüber, dass man vom Balkon der Ferienwohnung keine einzige Terrasse mehr sah, weswegen umgehend überwachsene, verwilderte Terrassen entbuscht und entgrast wurden. Denn es steht geschrieben bei Lukas 6:41, Bahnsteig 7: „Du siehst die Splittergruppe im Auge des anderen und nicht den Balkon im eigenen Auge!“ Das nennt man heute Rekultivierung und erinnert an das Schicksal der Saarbrücker Straßenbahn: Dort rupfte man 1965 alle Gleise aus dem Pflaster, um sie dreißig Jahre später wieder einzusetzen.
Der Terrassenbau rückt die Reben eben näher an die Kraft der Sonne, die Kelten haben hier schon die ersten Solaranlagen angelegt. Das Klima auf den nach Süden und Westen ausgerichteten Hängen ist geradezu mediterran, Biologen ziehen hier die Nordgrenze des Mittelmeerraums. Zudem sind die Böden sehr mineralisch, z. T. sogar die Fußböden in den Wohnhäusern. Die Moselkernkompetenz ist also seit Menschengedenken der Wein, nicht zufällig gibt es an der Untermosel einen Ort namens Alken. Hauptsächlich wird Riesling angebaut, in Rheinland-Pfalz hat man sich mit Roten bis Anfang der 90er Jahre schwer getan, auch in politischer Hinsicht. Das hat sich glücklicherweise geändert.
Dreißig Prozent der ca. 5.000 ha Anbaufläche haben einen Hang zur Neigung. Die Lagen sind stellenweise derart steil, dass früher die Erntehelfer mit Katapulten in den Wingert geschossen werden mussten. Heutzutage werden sie natürlich aus Hubschraubern abgeworfen. Das nennt man dann „Extreme-Ernting“ und wird jenen willigen Touristen als Abenteuer-Event-Erlebnis verkauft, die in den Hängen abhängen wollen. Gewöhnungsbedürftig hingegen ist die Rolltreppe, die der Winzer Oliver S. in Ediger-Eller in den Wingert gelegt hat. Die allersteilste Lage ist bekanntlich der Calmont, der früher anders hieß, aber aus marktstrategischen Gründen nach dem Fußballmanager Reiner Calmund getauft wurde, einem wandelnden Prallhang und Überhangmandat – und alles nur, um mal wieder in die Presse zu kommen.
Aber mit dem Moselwein geht es ohnehin aufwärts, seitdem 1984 die Nasszuckerung verboten wurde und auch das Glykol vom Markt verschwunden ist. Die Region Mosel (bis 2006 Mosel-Saar-Ruwer) befindet sich seit einigen Jahren im Einnahmezustand. Selbst Wellnesser kommen hier auf ihre Kosten, die legen sich einfach die Traubenkerne auf die nackte Haut.
Sauf ich noch
„Schütt deine Sorgen in ein Gläschen Wein“ heißt es in einem unvergessenen Lied von Willy Schneider – in ein Gläschen und nicht etwa in einen Maßkrug, du Gierschlund! Gut, da wir Deutsche weltweit Sorgenweltmeister sind, haben wir da einiges zu tun – wir haben strenge Sorgenfaltenspflicht! Die gesundheitlichen Risiken werden übrigens immer geringer, solange man genügend Geld hat für eine Spenderleber. Im Armenhospiz von Beaune in der Bourgogne bekamen die Kranken jeden Morgen einen Krug Wein ans Bett gebracht, Wasser galt als schädlich. Gut, im Mittelalter haben sie Bier zum Frühstück getrunken, aber es ist die Traube, die eine Spur hinterlässt, und nicht die Gerste. Weinbau verändert die Geographie, Bierterrassen sind mir noch keine untergekommen.
Aber warum trinken wir wirklich? Viele trinken, um zu vergessen, nur was? Ja, ich weiß es doch auch nicht mehr! Überbrücken wir die Zeit mit dem Text eines jungen Protestsängers, Alwin P. (54), aus O. a. d. L., denn was die Welt dringend braucht, sind kritische Lieder zur Alkoholpolitik der Bundesländer.
Wenn mein Motor nicht mehr tuckert
und ich krieg den Gang nicht rein,
bin ich mutmaßlich unterzuckert,
dann brauch ich ’nen guten Wein.
Manchmal haut’s mir raus den Pfropfen
und ich hör das Totenglöcksle.
Dann brauch ich ’nen guten Tropfen,
etwa dreihundert Grad Oechsle.
Mama, hol mir rasch den Kübel,
bring mir bitte bloß kein Becherche.
Warum geht’s mir bloß so übel?
Ach, sinnlos scheint die Recherche.
Manchmal fühl ich mich malad,
bin dann eher bleichgesichtig.
Wein ist leider, das ist arg schad,
längst nicht mehr verschreibungspflichtig.
Doktor, Doktor, ich komm aus dem Konzept!
Doktor, Doktor, ich hab wohl was verschleppt!
Doktor, Doktor, ich brauche ein Rezept.
Denn Cabernet sauf ich noch,
Cabernet sauf ich noch!
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