Название: Das Haus der Freude
Автор: Edith Wharton
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Reclam Taschenbuch
isbn: 9783159618593
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Lily lächelte über die Beurteilung ihrer Freunde. Wie anders waren sie ihr noch vor wenigen Stunden erschienen! Da waren sie Symbole dessen gewesen, was sie gewinnen würde, jetzt standen sie für das, was sie aufgab. Heute Nachmittag schien es so, als seien sie voller brillanter Eigenschaften; jetzt sah sie, dass sie nur auf laute Art nichtssagend waren. Unter dem Glanz ihrer Möglichkeiten erkannte sie, wie armselig das war, was sie erreicht hatten. Nicht, dass sie sich ihre Freunde selbstloser gewünscht hätte, nein, sie wünschte nur, sie wären lebensvoller, interessanter. Die Erinnerung daran, wie sie noch vor wenigen Stunden die Anziehungskraft der Werte dieser Leute gefühlt hatte, beschämte sie. Sie schloss ihre Augen für einen Moment, und die leere Routine des Lebens, das sie gewählt hatte, erstreckte sich vor ihr wie eine lange weiße Straße ohne jede Vertiefung oder Windung; es war schon wahr, sie würde in einer Kutsche die Straße entlangrollen, statt sich zu Fuß dahinschleppen zu müssen, aber manchmal hat der Fußgänger das Glück, eine vergnügliche Abkürzung zu finden, die denen auf Rädern versagt bleibt.
Sie wurde von einem glucksenden Lachen, das aus den Tiefen von Mr. Dorsets magerem Hals zu kommen schien, aus ihren Gedanken aufgeschreckt.
»Also wirklich, sehen Sie sich das an«, rief er und wandte sich mit kummervoller Heiterkeit Miss Bart zu –, »Entschuldigung, aber sehen Sie sich nur meine Frau an, wie sie den armen Teufel da drüben zum Narren hält! Man könnte meinen, sie wäre regelrecht hinter ihm her – und dabei ist es, das versichere ich Ihnen, genau andersherum.«
Auf seine dringende Bitte hin wandte Lily sich dem Schauspiel zu, das Mr. Dorset zu so berechtigter Heiterkeit veranlasste. Es schien ganz offensichtlich so zu sein, wie er gesagt hatte, dass Mrs. Dorset der aktivere Teil der kleinen Szene war; ihr Tischnachbar nahm ihre Annäherungsversuche mit so zurückhaltendem Interesse hin, dass sie ihn nicht einmal von seiner Mahlzeit abzulenken vermochten. Dieser Anblick stellte Lilys gute Laune wieder her, und weil sie wusste, auf welch sonderbare Art Mr. Dorset seine Ehesorgen zu verschleiern pflegte, fragte sie fröhlich: »Sind Sie nicht schrecklich eifersüchtig auf sie?«
Dorset nahm diese witzige Bemerkung freudig auf. »O ja, schrecklich – Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen – hält mich die ganze Nacht hindurch wach. Die Ärzte sagen mir immer, dass eben das meine Verdauung so durcheinanderbringt – dass ich so höllisch eifersüchtig auf sie bin. – Ich kann keinen Bissen von dem Zeug hier essen, wissen Sie«, fügte er plötzlich noch hinzu und schob seinen Teller mit finsterer Miene von sich, und Lily, anpassungsfähig wie immer, wandte ihre strahlende Aufmerksamkeit seiner fortgesetzten Verurteilung von Köchen anderer Leute zu, die noch von einer langen Tirade über die giftigen Eigenschaften geschmolzener Butter ergänzt wurde.
Es kam nicht oft vor, dass er ein so bereitwilliges Ohr fand, und da er ein Mann war, nicht nur ein Dyspeptiker, war es gut möglich, dass er, während er seine Klagen in dieses Ohr goss, nicht unberührt blieb von dessen rosiger Symmetrie. Auf jeden Fall nahm er Lilys Aufmerksamkeit so lange in Anspruch, dass die Süßspeise gereicht wurde, als sie einen Satz auf ihrer anderen Seite auffing, wo Miss Corby, die Komikerin der Gesellschaft, Jack Stepney wegen seiner herannahenden Verlobung neckte. Miss Corbys Rolle war die der Immer-Lustigen, grundsätzlich fiel sie mit einer Kapriole in die Unterhaltung ein.
»Und natürlich wirst du Sim Rosedale zum Brautführer machen!«, hörte Lily sie als Höhepunkt ihrer Prophezeiungen hervorbringen, und Stepney antwortete, als wäre er beeindruckt: »Donnerwetter, das ist die Idee. Was für ein Mordsgeschenk ich dann aus ihm herausholen könnte!«
Sim Rosedale! Der Name, dessen Widerwärtigkeit durch die Verkleinerung noch gesteigert wurde, drängte sich in Lilys Gedanken wie ein lüsterner Blick. Er stand für eine der verhasstesten Möglichkeiten, die von einem hinteren Winkel des Lebens ihren Schatten warfen. Wenn sie Percy Gryce nicht heiratete, könnte der Tag kommen, an dem sie höflich zu Männern wie Rosedale würde sein müssen. Wenn sie ihn nicht heiratete? Aber sie wollte ihn ja heiraten – sie war sich seiner und ihrer selbst doch ganz sicher. Mit Schaudern wandte sie sich von den verlockenden Wegen ab, auf denen ihre Gedanken in die Irre gegangen waren, und setzte ihren Fuß wieder mitten auf die lange weiße Straße … Als sie an diesem Abend auf ihr Zimmer kam, entdeckte sie, dass die letzte Post ihr noch ein neues Bündel Rechnungen gebracht hatte. Mrs. Peniston, die eine gewissenhafte Frau war, hatte sie alle nach Bellomont weitergeschickt.
Also stand Miss Bart am nächsten Morgen auf, voll und ganz davon überzeugt, dass es ihre Pflicht sei, zur Kirche zu gehen. Sie riss sich frühzeitig genug von den Freuden ihres Frühstückstabletts los, klingelte nach ihrer Zofe, die das graue Kleid zurechtlegen sollte und dann noch zu Mrs. Trenor geschickt wurde, um ein Gebetbuch auszuleihen.
Aber Lilys Vorgehen war zu ausschließlich vernunftbestimmt, um nicht den Keim des Widerstands in sich zu tragen. Kaum waren ihre Vorbereitungen beendet, als sich auch schon eine unterdrückte Gegenwehr in ihr bemerkbar machte. Ein kleiner Funken genügte, um Lilys Vorstellungskraft zu entzünden, und der Anblick des grauen Kleids und des geborgten Gebetbuchs warf ein weitreichendes Licht auf die Jahre, die vor ihr lagen. Sie würde jeden Sonntag mit Percy Gryce zur Kirche gehen müssen. Sie würden einen Kirchenstuhl ganz vorn in der teuersten Kirche von New York haben, und sein Name würde einen herausragenden Platz auf der Liste der Gemeindespenden einnehmen. Nach ein paar Jahren würde er fülliger werden, und man würde ihn zum Kirchenvorsteher ernennen. Einmal im Winter würde der Pfarrer zum Essen kommen, und ihr Gatte würde sie bitten, die Besucherliste durchzugehen und zu überprüfen, ob auch keine Geschiedenen darauf stünden, abgesehen von denjenigen natürlich, die ihre Reue dadurch bewiesen hatten, dass sie sich mit jemandem, der sehr reich war, wiederverheiratet hatten. Es war nichts besonders Schwieriges an dieser Reihe religiöser Verpflichtungen, aber sie stand für einen Teil des überwältigenden Bergs von Langeweile, der drohend seinen Schatten auf ihren Weg warf. Und wer ließ sich an einem solchen Morgen schon willig langweilen? Lily hatte gut geschlafen, und ihr Morgenbad hatte ihr eine angenehm rosige Wärme verliehen, die sehr hübsch auf der klaren Linie ihrer Wange zu erkennen war. An diesem Morgen waren keine Fältchen zu entdecken, oder der Spiegel stand in einem glücklicheren Winkel.
Und der Tag erwies sich als Komplize ihrer Stimmung: es war ein Tag wie geschaffen für impulsive Einfälle und Schwänzerei. Die leichte Luft schien voller Goldstäubchen zu sein, unterhalb des taubedeckten Rasengrüns glühten rot die Wälder, und die Hügel am Fluss schwammen in geschmolzenem Blau. Jeder Tropfen Blut in Lilys Adern lud sie ein, glücklich zu sein.
Das Knirschen der Räder riss sie aus diesen Gedanken, sie lehnte sich gegen die Fensterläden und sah, wie der Pferdewagen СКАЧАТЬ