Marktsozialismus. Ernest Mandel
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Название: Marktsozialismus

Автор: Ernest Mandel

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

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isbn: 9783853718889

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СКАЧАТЬ gedeckte Bedürfnisse ignoriert und viele Dinge erst gar nicht zur Verfügung gestellt. Unternehmen geben Milliarden für Werbung, Imagepflege oder Designentwicklung aus, um „Bedürfnisse“ nach immer neuen Produkten überhaupt erst zu schaffen. Außerdem findet heute in den Zentren des Kapitalismus eine unglaubliche Verschwendung etwa durch das Wegwerfen von essbaren Lebensmitteln durch Supermarktketten statt. Viele Geräte werden außerdem so produziert, dass sie schnell defekt oder nicht mehr in Mode sind. Das ist auf Märkten leider ein völlig „rationales“ Verhalten. Millionen von Menschen sterben auf der Welt jährlich an einfach heilbaren Krankheiten, weil für Pharmakonzerne die Märkte für Medikamente zur Behandlung der Krankheiten der reichen Teile der Menschheit profitabler sind. Wenn Baufirmen für Wohlhabende Luxuswohnungen bauen, während das untere Drittel der Gesellschaft in Innenstädten keine bezahlbaren Wohnungen mehr findet, ist das kein Ausdruck von sogenanntem „Marktversagen“, sondern dem perfekten Funktionieren von Märkten, auf denen Gewinne generiert werden sollen. Das Privateigentum an Grund und Boden führt zur Rentenabschöpfung bei Wohnungen in besserer (Markt)-Lage.

       BefürworterInnen der Marktreformen haben selten die klassenpolitische Dimension der Maßnahmen in ihren Schriften thematisiert und sie oft unterschätzt. Zum Beispiel glaubten die chinesischen Reformkräfte Anfang der 1980er-Jahre, man könne den Marktmechanismus als rein technisches Mittel einsetzen, um wirtschaftliche Effizienz zu steigern. Noch 1985 meinte Deng Xiaoping, würde eine neue Kapitalistenklasse entstehen, sollten die Reformen als gescheitert gelten.47 Zwanzig Jahre später war aber klar, dass „Reform und Öffnung“ zu einer radikalen Transformation der Klassenverhältnisse in China geführt hatten: Entstanden sind eine neue ArbeiterInnenklasse von über 200 Millionen ländlichen MigrantInnen, eine neue superreiche „Bourgeoisie“ und „Kader-Kapitalisten“, die aus staatskapitalistischen Aktivitäten oder illegalen Unterschlagungen und Korruption hervorgegangen sind. Diese große Umwälzung ist nicht zuletzt die Folge davon, dass auch die Arbeitskraft und Landnutzungsrechte vom Staat wieder zur Ware gemacht wurden.48

       In den Debatten um den „Marktsozialismus“ wurden Geschlechterverhältnisse und Sorgearbeit in der Regel ausgeblendet, wie Diane Elson zurecht kritisierte. In den 1960er-Jahren hielten viele sozialistische Staaten zumindest formal an dem Ziel fest, dass Hausarbeit, Kindererziehung und Altenpflege in Form von öffentlichen Institutionen weitgehend sozialisiert werden sollten. Umgesetzt wurde dieses Programm stärker in den urbanen Großbetrieben und weniger auf dem Land. Es hat sich gezeigt, dass eine Gleichberechtigung der Geschlechter durch Einbeziehung der Frauen in Lohnarbeit traditionelle geschlechtliche Arbeitsteilung abschwächen, aber nicht aufheben konnte. Besonders die politische Macht war in allen staatsozialistischen Ländern stark männlich dominiert.

       Zentralistische Planwirtschaft und „Marktsozialismus“ setzten wie der industrielle Kapitalismus des Westens auf unbegrenztes Wachstum und schließlich unbegrenzten Konsum. Die westlichen Zentren sollten „ein- und überholt“ werden. Geplant wurde mit hohen Wachstumsraten, die selbst die kapitalistischen Zentren nur in der „goldenen Ära“ nach dem Zweiten Weltkrieg über einen längeren Zeitraum erreichten. Heute sind die gesellschaftlichen und ökologischen Grenzen des Wachstums offensichtlich. In linken Debatten um „Degrowth“ werden Fragen aufgeworfen, wie die Menschheit auch ohne Wachstum Lebensqualität steigern und den ökologischen Kollaps des Planeten verhindern kann. Lebensqualität könnte sich in einer post-kapitalistischen Gesellschaft zum Beispiel durch mehr Zeitautonomie, Mitbestimmung in allen Bereichen und solidarischem Miteinander auszeichnen, anstatt durch pausenlose Steigerung des Konsums.49 Im Wettkampf um das „Ein- und Überholen“ versuchten die Länder im sowjetischen Block spätestens seit den 1970ern, Markenprodukte, Statussymbole und Automobilisierung der reicheren westlichen „Konsumgesellschaften“ nachzuahmen und konnten dabei nur verlieren. Das Anliegen, Produktion und Gesellschaft grundlegend anders zu organisieren, wurde faktisch aufgegeben.50

       Es stellt sich generell die Frage, ob eine Gesellschaft, in der Angst vor Arbeitslosigkeit und Armut wegfällt, eine höhere betriebswirtschaftliche Produktivität als die des Kapitalismus überhaupt erreichen kann. Die Grundlage dieser „Rationalität“ ist aber die Intensivierung der Arbeitshetze und die Zerstörung der ökologischen Grundlagen der Erde.

      Trotz dieser Einwände hoffe ich, dass die Ideengeschichte des „Marktsozialismus“ eine Anregung für weitere Debatten gibt. Die Frage bleibt, wie die Menschen eine freie Gesellschaft verwirklichen können, in der jeder und jede nach „seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen“ leben und schaffen kann. Antworten müssen noch gefunden werden.

       Felix Wemheuer,

       Köln, im Januar 2021

      1Ich bedanke mich für hilfreiches Feedback bei Dr. Tobias Rupprecht (FU Berlin), Dr. Karl Reitter (Universität Wien) und Christian Hofmann.

      W. I. Lenin: Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus, 1920, https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1920/linksrad/kap06.html (aufgerufen 29. 10. 2020).

      2 Zhonggong zhongyang wenxian bianji weiyuanhui (Hg.): Deng Xiaoping wenxian, di san quan. Beijing: Renmin chubanshe, 1993, S. 373.

      3 Zu dieser Debatte siehe: Felix Wemheuer: Die große Umwälzung: Soziale Konflikte und Aufstieg im Weltsystem. Köln: PapyRossa, 2019, S. 219−220.

      4 Siehe zum Beispiel den Gini-Koeffizient bei der Verteilung der Einkommen, https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Einkommensverteilung (aufgerufen 29. 10. 2020).

      5 Siehe zum Beispiel: Friedrich Engels: „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“, in: Marx Engels Werke (MEW), Band 19. Berlin (Ost): Dietz Verlag, 1987, S. 177−228. Karl Marx/Friedrich Engels, „Deutsche Ideologie“, in: MEW, Band 3, S. 35.

      6 Am ausführlichsten stellte Engels die Ideen für eine postkapitalistische Wirtschaft dar: Friedrich Engels: „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft“, in: MEW, Band 20, S. 262−264.

      7 Kohei Sato: Natur gegen Kapital: Marx’ Ökologie in seiner unvollendeten Kritik des Kapitalismus. Frankfurt (M): Campus, 2016.

      8 Karl Marx: „Kritik des Gothaer Programms“, MEW, Band 19, S. 20−21.

      9 Für eine Übersicht über die Schätzungen siehe: Rudolf Mark/Gerhard Simon: „Die Hungersnot in der Ukraine und anderen Regionen der Sowjetunion 1932 und 1933“, Osteuropa Vol. 54, Nr. 12 (2004), S. 9. Für die Ursachen der Hungersnot siehe: Stephen Wheatcroft: „Die sowjetische und die chinesische Hungersnot in historischer Perspektive“, in: Matthias Middell/Felix Wemheuer (Hg.): Hunger, Ernährung und Rationierungssysteme unter dem Staatssozialismus. Frankfurt (M): Peter Lang, 2011, S. 87−126.

      10 Der Begriff stammt von János Kornai: The Socialist System: The Political Economy of Communism. СКАЧАТЬ