Almas Baby. Christina Füssmann
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Название: Almas Baby

Автор: Christina Füssmann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783942672382

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СКАЧАТЬ Tag vor der Landtagswahl in NRW. An diesem 21. Mai schien im ansonsten eher durchwachsenen Sommer 2005 sogar die Sonne, als der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle um 14 Uhr in Dortmund nach sechsjähriger Pause wieder ein Saarlandstraßenfest eröffnete. Einige seiner Parteifreunde hatten es organisiert, um für das von ihnen propagierte „neue Dortmund“ mit neuen Jobs zu werben.

      Neue Jobs hat es bis heute ebenso wenig gebracht wie damals einen nennenswerten Stimmenanteil für die sogenannte Spaßpartei, deren einstiger Chef heute – etliche Jahre später – als Bundesaußenminister einer schwarz-gelben Koalition durch die Welt tourt. Eine Tatsache, für die die Dortmunder Volksbelustigung von 2005 allerdings ohne jede Bedeutung war.

      Anders für Alma: Das ist es, dachte sie. Genau so hatte sie sich ihr Leben erträumt. Nichts sollte sie mehr von all den anderen unterscheiden, die sich auf dem Saarland-Straßen-Fest amüsierten. Sie wollte nur eine von vielen sein. Nichts als Alltäglichkeit. Sie saß auf der Holzbank neben dem Bierstand. Der Mann am Tisch ihr genau gegenüber, hob seinen Glaskrug und stieß ihn leicht gegen ihren. „Auf uns“, sagte er. „Schön, dass wir uns begegnet sind.“

      Die Sonne wärmte ihr den Rücken. Es schien, als würde ihr nie wieder kalt werden. Das Bier schmeckte leicht bitter. Vor langer Zeit – oder war es noch gar nicht so lang her? Egal. Jedenfalls damals, als Alma noch getrunken hatte, war sie an den beißenden Geschmack von Schnaps gewohnt. Fusel vom Kiosk, abgefüllt in kleinen Flaschen, die sie in der Szene Zündkerzen nannten. Billiger Ersatz, wenn das Geld mal wieder nicht für den erlösenden Schuss Heroin reichte, weil die Freier auf dem Straßenstrich sich nur zu gut darauf verstanden, die Elendsgestalten der Junkies herunter zu handeln. Angeschlagene Ware. Genau das ist sie gewesen. Nichts wert. Alma die Fixerin, Alma die Säuferin, Alma die billige Nutte.

      Von all dem hatte sie dem jungen Mann nichts erzählt, der sie am Mittag auf dem Saarlandstraßenfest vor dem Bratwurststand versehentlich angerempelt hatte. Warum auch? Es war ja alles vorbei. Lang, lang ists her. War das nicht ein Refrain zu irgendeinem bekannten Lied?

      Sie kamen ins Gespräch. „Wohnen Sie hier? Ich habe Sie noch nie gesehen,“ fragte er. Alma leckte einen Klecks Senf vom Finger: „Ich bin erst letzte Woche eingezogen.“ Sie wies auf den renovierten Altbau hinter sich. „Erste Etage, zwei Zimmer mit Bad und Etagenheizung. Da kann man es warm haben, wann immer man will.“

      Ihr Gegenüber nickte kauend. Sie war sich sicher: Er hatte es in seinem Leben immer warm gehabt. Die Straße kannte er nur als Weg zur Arbeit oder als Flaniermeile. Straße eben. Etwas, wo man sich im besten Fall gern aufhielt. So wie jetzt beim Fest. Aber nichts, um dort zu kampieren. Als etwas, das einem das Zuhause ersetzen musste.

      Ein Tropfen Wurstfett glänzte an seinem Kinn. Alma nahm ihre Serviette und wischte ihn ab. „Tschuldigung.“ Sie wirkte verlegen. Vielleicht würde er diese Geste als zu intim empfinden.

      Er lachte nur: „Wieso denn. Ich muss mich bedanken. Ich wohne übrigens auch hier – weiter dahinten und dann um die Ecke.“ Er wedelte mit der freien Hand in die andere Richtung. Es sah aus, als winke er jemandem. Alma war glücklich. Er war genau der Mann, von dem sie geträumt hatte, seit sie aus der Therapie zurück war. Gut aussehend – oder besser gesagt sympathisch, mit dem ein wenig strubbeligen dunklen Haarschopf, in Jeans und blauem Sweatshirt. Zuverlässig, bürgerlich. Eben genau der Typ, bei dem man die Vergangenheit vergessen konnte. Alles schien ideal. Selbst die dröhnenden Hits von rechts und links mit den naiv-verlogenen Texten von Liebe und Glückseligkeit wirkten auf Alma wie eine Art Sphärenmusik.

      Und dann erzählte er ihr auf dem Weg zur Musikbühne, dass er als Beamter im Jugendamt arbeite. Von einer Sekunde auf die andere schien plötzlich eine erbarmungslose Faust alle Hoffnungen aus ihr herauszupressen. Sie schauderte. So, als habe ihr jemand Eiswürfel in den Kragen gesteckt. Das machten die Leute manchmal, wenn sie miteinander herum alberten. Aber hier wurde nicht gealbert. Ihre Akte beim Gesundheitsamt. Früher oder später würde Berthold davon erfahren.

      Die Band spielte ausgerechnet „Lucky day“. Ein Hit von Sasha, der hier in Dortmund seine Karriere gestartet hatte. Alma warf die Reste ihrer Wurst in einen Papierkorb, wischte die Hände an den Jeans ab und holte tief Luft: „Mit Ämtern habe ich Erfahrung. Gute übrigens. Ich war mal ein Junkie, da haben mir die Beamten vom Sozialamt und vom Gesundheitsamt sehr geholfen.“

      Und nun? Ihr war ein wenig schwindelig, nachdem sie ihm in den wenigen Sätzen quasi ihr ganzes Leben vor die Füße geworfen hatte. Aber besser so, als darauf zu warten, dass er von selbst dahinter kommen würde. Sie schaute krampfhaft nach oben. In den Himmel, wo eine Windbö gerade eine kleine weiße Wolke vorbei trieb. Sie segelte langsam wie ein Schiffchen aus Papier, das man im Bach aussetzen konnte, damit es sich mit der Strömung davon machte. Alma hatte als Kind immer fest daran geglaubt, dass es auch alle Probleme mit sich davon tragen würde. Mädchenkram.

      Und nun saßen sie sich hier am Bierstand gegenüber und stießen mit den schweren Glaskrügen an. Für Alma würde der herbe Biergeschmack von nun an immer mit dem Gefühl von Geborgenheit verbunden bleiben. „Ich bewundere Menschen, die sich aus eigener Kraft aus dem Dreck ziehen“, hatte Berthold Behrend gesagt. Mehr nicht. Und damit schien alles in Ordnung. „Wollen wir uns nicht duzen? Ich weiß, ein Mann sollte nicht so aufdringlich sein, aber vielleicht haben Sie ja nichts dagegen. Ich finde, das klingt dann nicht mehr so steif.“

      Natürlich hatte sie nichts dagegen. Das war genau das, was sie wollte. Strahlend hob sie ihr Bierglas hoch und sagte: „Ich heiße Alma. Dass du Berthold bist, weiß ich ja inzwischen schon.“

      Vielleicht würde er ihr jetzt einen Kuss geben wollen. Das machte man doch so beim Brüderschafts-Trinken. Aber er stieß nur mit ihr an und meinte: „Alma ist ein seltener, aber besonders schöner Name.“

      „Na ja, eigentlich Alma-Margarete. Die Namen meiner beiden Großmütter. Als Kind haben sie mich Gretel genannt. Das musst du dir mal vorstellen, wie „Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald.“ Dabei hatte ich mich doch gar nicht verlaufen. Also, für den Rest meines Lebens Gretel zu sein, wäre mir doch komisch vorgekommen.“

      „Zumal deine Kindheit doch bestimmt nicht märchenhaft war. Ich meine nur, wo du dich doch ins Rauschgift geflüchtet hast.“ Berthold wirkte etwas verlegen. So als sei ihm bewusst geworden, dass er möglicherweise zu weit gegangen sein könnte.

      Alma fasste sich kurz: „Nein,“ sagte sie. „Da war nichts Märchenhaftes in meinem Leben. Ich mag nicht daran denken. Nicht heute Abend. Lass uns von etwas anderem reden.“

      Und genau das taten sie. Ein Paar wie viele andere auf dem Fest an der Saarlandstraße. Alma kam es vor, als habe sie noch nie zuvor so viel gelacht. Es war schon spät in der Nacht, als sie vor ihrer Haustür standen. Sie zitterte ein wenig. Nicht vor Kälte. Das war vorbei. Es war die Aufregung. Würde er sich für immer verabschieden? Der Mond schien hell und versilberte das Laub der Platanen. Keine dunkle Wolke weit und breit. Alma warf wieder den Kopf in den Nacken und schaute diesmal zu den Sternen auf. Sie hatten fast alle Namen. Das wusste sie. Jedenfalls die, die man sehen konnte. Sie hatte sich nie für so etwas interessiert, aber plötzlich wünschte sie sich, sie wüsste wie sie hießen. Wenigsten einige Namen hätte sie gern gekannt. Es wäre so schön, sagen zu können: „Ah, sieh an, da ist er ja wieder, der Stern sowieso. Er hat auch geleuchtet, als ich mit Berthold auf dem Straßenfest war.“

      In diesem Augenblick drang Bertholds Stimme in ihren Traum: „Am besten, du gibst mir deine Telefonnummer, damit ich dich morgen wecken kann.“

      „Heute. Du meinst wohl heute,“ lachte Alma selig und klopfte mit ihrem rechten Zeigefinger auf das Zifferblatt ihrer Armbanduhr, deren Zeiger die Grenze zur Mitternacht bereits überschritten hatten. Glücklich schrieb sie die sechs Ziffern mit ihrem Kugelschreiber auf seinen Handrücken.

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