Название: 42 garstige Gerwalt-Geschichten
Автор: Gerwalt
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783944145037
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Ja, so in etwa hätte ich das erzählen können.
Die Geschichte weiter fortspinnend, würde ich dann skizzieren, wie die finanzielle Talsohle langsam durchschritten gewesen wäre und das Unternehmen so weit gesundete, dass sich das Besitzerehepaar nach langen Jahren des Verzichts endlich ein paar Tage Urlaub erlauben würde.
Claudia hätte da den Verkaufsbetrieb als Notbesetzung aufrechterhalten können, ein Vertrauensbeweis, den sie einerseits sicherlich verdient und der andererseits für den Betrieb nebenbei auch die finanziellen Einbußen des Urlaubes deutlich gemildert hätte.
Ja, und dann fehlte natürlich noch die eigentliche Handlung.
Claudia ging, nachdem sie den Eingang verriegelt hatte, pflichtschuldigst noch einmal durch die Verkaufsräume, als plötzlich das Licht ausging. Sie erschrak über den Fakt des Verlöschens an sich, aber auch über die absolute Dunkelheit, die sie nun umfing.
Zuerst dachte Claudia an einen technischen Defekt, an einen Stromausfall etwa, aber ihr Instinkt sagte ihr, dass sie nicht alleine im Raum war.
Claudia erstarrte, doch außer dem beruhigenden Ticken der Standuhren ganz in der Nähe konnte sie kein weiteres Geräusch ausmachen.
Sie entspannte sich etwas und machte sich tastend auf den Weg zum Hinterausgang. Um sich zu orientieren, versuchte sie, das schon tausendfach gesehene Bild der Verkaufsräume vor ihrem inneren Auge entstehen zu lassen. Sie war bei den Esszimmern gewesen, als das Licht ausgegangen war, und bewegte sich nun wohl durch die Abteilung mit den Schlafzimmern.
Claudia fluchte halblaut, denn sie hatte sich das Schienbein an einer Kommode angestoßen.
Doch dann erschrak sie erneut. Ihr war so, als ob sie ein leises Lachen gehört hätte.
Alarmiert und mit aufs Äußerste geschärften Sinnen tastete sich Claudia nun zögernd weiter. Der Geruch von Leder zeigte ihr an, dass sie inzwischen bei den Polstermöbeln angelangt sein musste. Sie blieb abrupt stehen, und tatsächlich hörte sie, dem Nachhall ihrer eigenen Schritte gleich, noch eine andere Person, die dann, etwas zeitverzögert, ebenfalls stehenblieb.
Claudia rannte los, doch sie kam nicht sehr weit. Sie stolperte in der Dunkelheit über einen Sessel, stürzte und fand sich auf dem Teppichboden kauernd wieder. Möglichst lautlos bewegte sie sich auf allen vieren weiter und kroch in die Lücke zwischen den Flanken zweier Sofas, wo sie sich instinktiv schützend zusammenrollte.
Obwohl sie kein Geräusch außer ihrem eigenen, schnellen Atmen hörte und in der Dunkelheit auch absolut nichts sehen konnte, war Claudia sich sicher, dass ER da war.
Sie sehen konnte.
Und näher kam.
Claudia zitterte.
»Jetzt bist du fällig, du kleine Schlampe!«
Ein eiserner Griff umschloss ihren Fußknöchel.
Während ihr die Erkenntnis, dass sie diese Stimme irgendwoher kannte, langsam ins Bewusstsein einsickerte, fing Claudia an, laut zu schreien und mit den Beinen auszuschlagen.
Doch das half ihr nicht sonderlich.
An dieser Stelle würde ich die Geschichte aus Gründen der Schicklichkeit natürlich nicht mehr weiter detaillieren.
Wenn ich sie denn hätte erzählen wollen …
Denn, unter uns, wäre sie erzählenswert gewesen?
Doch wohl eher nicht.
Carrara bianco
»Wenn Sie so nett wären, meine Liebe, und sich hier auf die Récamière legen könnten …
Ja, so ist es gut, den Arm vielleicht noch etwas mehr angewinkelt – und könnten Sie Ihre Schenkel eine Spur weiter öffnen, das linke Knie vielleicht noch etwas höher? Jawohl, so könnte es gehen. Wenn Sie jetzt bitte genau so bleiben mögen?«
Sie hat Rehaugen, groß, von einem dunklen, sanften Braun, als wären sie einem Gemälde von Tizian entsprungen. Die Brauen kühn geschwungen wie in einem Madonnengesicht. Die Nase gerade und fein gemeißelt, und der Mund ist ganz und gar reizend, die Oberlippe hat einen exquisit gezeichneten Verlauf, die Unterlippe ist etwas, aber nur etwas voller, mit einem hellen, rosigen Ton. Ihre Haarfarbe liegt irgendwo zwischen Kastanien- und Haselnussbraun, und der Glanz ist so, wie ihn eine künstliche Färbung keinesfalls erzeugen könnte.
»Wissen Sie, es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich meine Liebe zur Skulptur, zur weiblichen Statue entdeckt oder besser: wahrgenommen habe. Schauen Sie, als Junge sah ich oft den Stefanien-Brunnen mit der bronzenen, überlebensgroßen Mädchenfigur in der Mitte, die schöne Nackte, welche zwei Krüge in den Händen hält. Damals fand ich das Mädchen tatsächlich etwas dicklich, ich war eben noch sehr jung zu dieser Zeit.
Oder da gibt es diese Geschichte, jene von dem Offizier, der sich während eines Nachtlagers in einer geplünderten Kirche unsterblich in eine Statue verliebt, in die Frau eines Ritters, mit dem zusammen sie ebendort begraben ist – und als er die Statue schließlich im Liebeswahn küsst, wird er von der steinernen Faust des Ritters zermalmt.
Ich fand diese Geschichte damals sehr merkwürdig – aber später eben auch faszinierend.
Und ich muss gestehen, anfänglich haben mir Praxiteles, Phidias oder Skopas tatsächlich nicht viel gegeben.
Ich habe eigentlich eher Bilder, oder zumindest Kopien davon gesammelt, die alten Italiener, Giorgione, Tizian oder meinetwegen auch die Franzosen des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts, Gerôme, auch Bouguereau oder Delacroix.
Welch ein Frauenbild, welche Sinnlichkeit, was für eine Anmut.«
Ihre Haut ist glatt und rosig und ihr Muskeltonus ganz und gar erfreulich. Doch obwohl ihr Körper tatsächlich angenehm definiert ist, hat sie einen entzückenden kleinen Bauch mit einem sehr sinnlichen und auch ein wenig kecken Schwung Ihre Brüste, zwei feste Halbkugeln mit rosigen Spitzen, sind hoch angesetzt und nicht übertrieben groß, sie fügen sich harmonisch in das Gesamtbild ein, ohne die Linie zu zerstören, und die Beine, lang und mit schlanken Unterschenkeln und runden Oberschenkeln, letztere sind diese winzige Spur zu voll, die gerade jene Sinnlichkeit erzeugt, welche der perfekt proportionierten Schönheit zwangsläufig abgehen muss.
Ihr Hinterteil ist von einer Pflaumenform, die es auf der einen Seite gerade noch schlank erscheinen lässt, auf der anderen Seite aber genügend Wölbung darbietet, um den Zuschauer zu animieren, seine zugreifende Hand anzulegen.
»Oh, ich sehe, Sie ermüden. Kommen Sie, entspannen Sie sich doch einen Augenblick. Ich hoffe, Ihnen ist warm genug?
Gut, also.
Ja, ich überlege gerade, welche Skulptur mich sozusagen erweckt hat …
Die Venus von Willendorf ist natürlich wichtig, ich habe sie tatsächlich im Original gesehen, nicht sehr beeindruckend, leider. Sie hätte Überlebensgröße verdient, nicht diese zwei Handspannen, die sie tatsächlich in etwa lang ist.
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