Название: Das kleine Narrcoticum
Автор: Thomas C. Breuer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Lindemanns
isbn: 9783963080982
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Dabei bräuchte man dringend ein Herausstellungsmerkmal, hat man doch Schwierigkeiten, sich zu behaupten in einer Welt, die immer unübersichtlicher wird: Denkingen, Denklingen (obschon im Oberbayerischen gelegen), die Verwechslungsgefahr ist groß, wenngleich nicht so groß mit den verschiedenen Zimmerns des Südens, der Schömbergs, Immendingens und Schwenningens. Gib im Navi, wenn du nach Fridingen an der Donau willst und alphabetisch nicht so gut sortiert bist, Friedingen ein und du landest sonstwo, jedenfalls irgendwo bei Singen. Da können sich z. B. die Deppenhausener nur beglückwünschen – so mag nun wirklich kein Ort heißen.
So hat man sich in seiner Not von seinen Nachbargemeinden dazu bequatschen lassen, sich am Projekt „Nachhaltigkeitsregion N! Region FÜNF G“ zu beteiligen, die – überraschenderweise – fünf Gemeinden mit dem Anfangsbuchstaben G zusammenführt: Galdingen, Gdeisslingen, Gdenkingen, Gfrittlingen und Gwellendingen. Oder steht FÜNF G vielleicht für das neue Mobilfunknetz? Keiner weiß es. Man weiß nur, dass es Dreifaltigkeitsberg heißt und nicht Nachhaltigkeitsberg. Denkingen z. B. heißt ja nur Denkingen und nicht: Nachdenkingen – und die Figur von Auguste Rodin „Der Denker“ und nicht „Der Denkinger“. Stattdessen hat man einen Narrenbrunnen errichtet.
Dafür floriert die Fasnet tadellos, in der Besetzung „Plätzle-Narr“, „Pfarrbach-Weib“ und „Gelbe Kutte“. Diese Figuren sind endemisch. Bereits, so meint die Chronik, im Jahre 1729 wurde der Pfarrer Ferdinand Stöckhl von der päpstlichen Nuntiatur in Luzern dazu vergattert, den „Christenlehrpflichtigen“ das Fasnetsweckle zu reichen, merkwürdigerweise am 19. Juli. Haben wir es hier mit einer exorbitanten Zeitverschiebung zu tun?
Die erste Narrenzunft von 1949 hielt genau drei Jahre, dann war es vorbei wegen zu geringer Beteiligung. Wesentlich später entstanden kühne Gedanken im örtlichen „Think Tank“, und keine zehn Jahre nach dem Schmierseifen-Attentat etablierte sich endlich die neue Narrenzunft, und seither ist nach dem Ansäen am Schmotzigen durch „Hackerweiber“ (bei denen es sich aber nicht um die Gefährtinnen von Computer-Nerds handelt), „Ausscheller“ und „Ansäer“ von hohem Ansehen kein Halten mehr. Der Narrensamen (dabei sind nicht die Lappen gemeint, die Fennoskandinavien bewohnen und erst seit den siebziger Jahren Samen heißen) wird von den Christenlehrmenschen großzügig verteilt, auf dass sich zur kommenden Fasnet hinreichend Nachwuchs einstellt, wobei diesem Ritual etwas dezent Anzügliches innewohnt, ebenso wie in einer Zeile des Narrenmarsches: „Bura rücket Eier raus, der Segen kommt in Stall und Haus“
Darüber einmal nachzudenken, wäre verschwendete Zeit, und somit ist es an der Zeit, das Land der Dichter und Denkinger wieder zu verlassen.
Dotternhausen
Herausstellungsmerkmal ist natürlich die offiziell als „Materialseilbahn“ ausgewiesene Beförderungsanlage über die Bundesstraße 27, die mit ihren Lorewagen zwei respektable Steinbrüche und ein großes Zementwerk miteinander verbindet, aber nebenbei eine wunderbare Parodie auf die Wuppertaler Schwebebahn darstellt. Ein Zementwerk übrigens, das sich bis 2004 im Besitz der Familie Rohrbach befand. Der Gauamtsleiter der NSDAP, Rudolf Rohrbach, wird von Wikipedia noch immer als Ehrenbürger geführt. Schnell stößt auf Beton, wer die Entwicklung eines Betriebs, der während des Dritten Reiches aus Mitteln des „Wirtschaftsdank Württembergs“ finanziert worden war, ausleuchten möchte. Wegen hohen Bedarfs der Zementzubereitung wird der Hausberg der Region, der Plettenberg, nach und nach abgetragen, oder wie man auch sagt: „geplettet“.
Dotternhausen, ein Zollernalbtraum. Natürlich ist die Hinwendung zum Hühnerhaften augenfällig, vor allem zum „gallus gallus domesticus“, dem Haushuhn. Die Einwohner – beileibe keine Weicheier – nennen ihre Gemeinde in einem Anflug von Selbstironie „Eigelb City“ – wobei es sich tatsächlich um Schwaben handelt und nicht etwa um „Dotterdapper“, wie die Badener in diesem Landesteil genannt werden. Zur Fasnet sind alle „dolloret“, im Klartext „dotschig“. Was „dotschig“ ist? Na, „dolloret“ halt.
Bei einer Höhe von 666 m ü. NHM ist es natürlich gerechtfertigt, dass sich die Narrenzunft den Namen „Mondstupfer“ ausgesucht hat. 666 Meter – eine Zahl, die Satanisten aufhorchen lässt. (Das erste Narrenkleid wurde 1966 genäht. Hier wären einmal ein paar wohlfeile Verschwörungstheorien durchaus angebracht.) Angeblich haben einige Dotternhausener den Mond auf dem Plettenberg mit langen Stangen einfangen wollen. Fasnet in Dotternhausen ist natürlich das Gelbe vom Ei, und es ist den Verantwortlichen hoch anzurechnen, dass sie den Narrensprung nicht „Eisprung“ genannt haben, oder, schlimmer, pausenlos besoffen im Hühnerstall Motorrad fahren. Innerhalb der Zunft greift eine strenge Hackordnung: Gockeln, die sich aufplustern wollen, kommt man rasch auf die Schliche, die Frauen glucken nämlich gerne zusammen und tun jedem die Henne rein, der zu viel Gewese von sich macht. Überdies sind sie wie aus dem Ei gepellt. Aber, ein blindes Huhn trinkt auch gerne mal einen Korn, und so findet sich mancher Hahn nach den tollen Tagen als Hahnrei wieder, weswegen wiederum manchem Hühnerbaron der Kamm schwillt usw. Den Rest des Jahres sitzt man beieinander und grübelt, welche Wortspiele mit „Hahn, Huhn, Ei“ noch nicht verbraten wurden. So ist man schließlich auch auf die Hymne der Gemeinde gekommen: „Hendl in the Wind“ von Elton. Dazu gießt man sich ordentlich Most in die Köpfe. Sprüche, Witze, Ausdrücke sammelt man auf einer originellen Webseite namens iGelbdotcom. Außerdem pflegt man eine Gemeindefreundschaft mit Val d’Oison, was auf deutsch „Gänsekükental“ heißt.
Dotternhausen verfügt über ein eigenes Schloss, das von niederadeligen Herren im 12. Jahrhundert errichtet wurde. Später ging es in den Besitz der Verlegerfamilie Panacotta über. Teile der berühmten „Panacotta-Armee“ sind heute in einer Skulpturenstraße zu besichtigen in der Nähe des Fossilienmuseums mit Klopfplatz. Hier kann man nach Herzenslust nach Ammoniten hauen, wobei keiner genau weiß, was Ammoniten sind, mutmaßlich aber verwandt mit den Mennoniten. Das alles ist ja nicht schlecht für eine Gemeinde, die bis 1805 zu Vorderösterreich gehörte. Heutzutage sind das längst gelegte Eier. Unbedingt sollte man stattdessen noch die Freilichtbühne am Steinbruch erwähnen, auf der regelmäßig systemrelevante Stücke wie „Geschichten aus dem Wienerwald“ (Ödön von Horvath) zur Aufführung gelangen. Das muss niemanden verwundern, der weiß, dass das Erbgut des Huhns dem des Menschen ähnelt.
Der poetischste Name des Ortes aber gebührt zweifelsfrei der „Metzgerei zur Rose“.
Dunningen
Dunningen wurde von den unvermeidlichen Kelten besiedelt, gefolgt von den nicht minder unvermeidlichen Römern. Die bauten hier eine Villa Rustica, auf gut Deutsch: einen Bauernhof. Danach kamen die Alamannen, die zu dämlich waren, die Steinhäuser zu erhalten. Erste urkundliche Erwähnung in einer Schenkungsurkunde A. D. 786, anders gesagt: Dunningen ist geschenkt. 1435 wurde die Gemeinde Gebietsort der Stadt Rottweil. Die im 11. Jahrhundert erbaute Burg ist im Laufe der Zeit abgegangen, wohin, weiß keiner. Die Gemeinde liegt verkehrsgeographisch günstig an der beliebten Schwäbischen Durchgangsstraße. In Dunningen wird ordentlich was geboten, auf der Homepage der Gemeinde steht unter Ver- und Entsorgungsbetriebe: Eigenbetrieb Seniorenzentrum/Betreutes Wohnen. Diese Frage muss erlaubt sein: Ver- oder Ent?
Nun zur Fasnet. Das Klima ist rau in Dunningen. Wer sich einmal eine kreative Eiszeit gönnen will, ist in dieser windzerzausten Ansiedlung mit Tendenz zu Frostbeulen bestens aufgehoben. Aus diesen Gründen will das Obst nicht so richtig gedeihen. Die Äpfel sind wie die Leute, rau, ehrlich und, bedingt durch die Kälte, etwas hölzern. Kein Wunder, dass sie auf das Ding mit dem Holzapfel gekommen sind, während der tollen Tage heißt der Ort „Holzäpfelhausen“. СКАЧАТЬ