Название: Das kleine Narrcoticum
Автор: Thomas C. Breuer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Lindemanns
isbn: 9783963080982
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In Balingen geht es hoch her. Für den Brauchtumsabend in der „volksbankmesse“ – schon das klingt urgemütlich – muss man einen „gültigen Partypass“ mit sich führen. Der Eintritt erfolgt als One-Way-Ticket.
Wir fassen zusammen: Korrekterweise müsste der Berliner also „Balinger“ heißen – das sollten sie sich hinter die Ohren schreiben, die Mannheimer, Kassler, Frankfurter und Wiener – und vor allem die Berliner selbst.
Beffendorf (& Lackendorf)
Die Deviaphobie ist die Angst, sich zu verirren. Augie Meyers, Keyboarder des legendären Sir Douglas Quintets („Mendocino“), erzählte einmal in einem Interview, er habe sogar schon den Zimmerservice angerufen, als er sich zu Hause aufhielt. Es gibt Vielflieger, bei denen daheim würde sogar jemand abnehmen. Es dauert eine Weile, bis sie sich in der eigenen Wohnung zurechtgefunden haben. Ohne Smartphone o. ä. kann man das vergessen: Sie sind so selten zu Hause, dass sie dort GPS benötigen.
Ein Trost: Selbst den Großen dieser Welt bleiben solche Missgeschicke nicht erspart. 1992 scheiterte ein Putsch in Venezuela daran, dass die ortsunkundigen Soldaten sich auf dem Weg zum Präsidentenpalast verirrten und Passanten nach dem Weg fragen mussten. Drei Jahre später, im Frühling 1995, besuchte der damalige UN-Generalsekretär Butros Butros Butros Ghali (drei weitere „Butros“ mussten aus Platzgründen weggelassen werden) das armselige Guatemala. Das offizielle Programm sah eine Stippvisite in der kleinen Stadt San Juan de Irgendwas vor. Die Maschine landete – nichts. Kein roter Teppich, keine Kapelle, keine goldigen Indiomädchen, die enthusiastisch Fähnchen schwenkten, kein Bürgermeister, nicht einmal ein Erschießungskommando. Nada. Nur ein völlig verdutzter Mechatroniker. Der Pilot hatte leider San Juan de Irgendwasque mit San Juan de Soundso verwechselt. Ein anderer Pilot von Delta Airlines ist frohgemut in Lexington, Kentucky, gelandet, hätte allerdings nach Louisville gemusst, das zwar ebenfalls mit L anfängt und ebenso in Kentucky beheimatet ist, aber: Ooops ... „This is your Captain speaking – krrrcht ... Unfortunately ...“ Selbst wenn das ein Pilotprojekt war – der Mann ist postwendend geflogen.
Zum Fasnetsumzug in Beffendorf – einem Ortsteil von Oberndorf mit knapp tausend Einwohnern – war einmal die Baronengilde aus Lackendorf eingeladen. Die haben sich dort verlaufen. Noch einmal zum Mitschreiben, zum Sich-genüsslich-auf der-Zunge-zergehen-lassen: In Beffendorf, keine tausend Einwohner. In Lackendorf geht den Verantwortlichen heute noch die Beffe, wenn sie an dieses Desaster denken.
Bösingen
In Bösingen (umgangssprachlich „Baisingen“, was allerdings eine Verwechslungsgefahr mit einem Rottenburger Stadtteil impliziert) werden die Werte hochgehalten, vor allem die Cholesterinwerte. Wohl deshalb bildet Bösingen seinen eigenen Speckgürtel, oder anders gesagt: Speck ist der Kitt, der diese Gemeinde zusammenhält. In Bösingen besteht fast alles aus Speck.
Für das jährliche Speckfest im Spätsommer wird sogar die Festhalle in der Avenida Joshua Kimmich vollständig mit Speck eingerieben. Mitglieder der Speckmockelzunft von 1969 servieren Specknacken und Bacon, die Gäste freuen sich über die Holzbrettchen vor dem Kopf, der Musikverein Frohsinn sorgt akribisch für selbigen. Hier ein Auszug aus dem Speckwalzer, getextet von Rudolf Angst:
„Nein, Geld, das brauch ich keins, mir fehlt nur eins / des isch en guata Speck / Ich brauch, um froh zu sein, nicht Bier, nicht Wein / brauch bloß en Baisinger Speck.“
Selbst wenn das mit dem Bier und dem Wein geflunkert ist: Klarer kann man das nicht formulieren – und ohne Spickzettel intonieren.
Speckwürfelspiele sorgen ebenso für Unterhaltung wie das gemeinschaftliche Fettabsaugen vor dem Rathaus. Beliebt der Babyspeck-Wettbewerb am Samstagnachmittag. Der Festsonntag sieht als Höhepunkt des Spektakels traditionsgemäß das Fußballspiel gegen die italienische Partnergemeinde San Lardo di Pancetta, und die Gäste aus dem Süden bringen dazu ihre „spettatore“ gleich selbst mit.
Die Bösinger Brände sind legendär, also die alkoholischen, 2019 wurde erstmals ein Gin mit Speckaroma angeboten – und ratzeputz weggetrunken. Ähnlich wie beim Currywurst-Brandy wird ein ausgewachsener Speck in die Brennblase gehängt, und während des Brennvorgangs strömt das Destillat daran vorbei.
Derzeit wird in einer Studie der Freiwilligen Universität Herrenzimmern FUH untersucht, ob Speck vielleicht verstecktes Fett enthält. Soviel lässt sich jetzt schon feststellen: Im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung ist Speck unbedenklich. Im Klartext: Wenn man den Speck vorher auf die Waage packt, geht er wohl seiner ungesunden Substanzen verlustig und enthält daher kaum Omega-3-Fettsäuren. Wichtig in diesem Zusammenhang: Nie traten Nitritvergiftungen allein durch Speck auf, und ganz gleich, was los ist: Es ist immer eine Frage der Dosis. Wer viel Gemüse oder Salat isst, nimmt viele Antioxidantien zu sich, die die sog. Nitrosamine in Schach halten, und wer den Speck vielleicht einfach mal weglässt, ist auf der sicheren Seite.
Das Speckfest hat der Fasnet fast schon den Rang abgelaufen. Vielleicht hat das mit den strengen Regeln der Narrenzunft zu tun. Ein Auszug: „Die Teilnahme an auswärtigen Nachtumzügen ist für unter 16-Jährige (Stichtag Geburtstag) nicht möglich. Eine schriftliche oder mündliche Übertragung der Verantwortung an andere Personen von den Erziehungsberechtigten ist nicht möglich.
Es ist weiterhin nicht möglich, die unter 16-Jährigen zum Umzug zu bringen und nach dem Umzug wieder abzuholen. Eine Ausnahme zur Teilnahme am Umzug ist dann möglich, wenn ein Erziehungsberechtigter selbst mit Häs am Umzug teilnimmt. Diese Regelung gilt uneingeschränkt für alle.“ Nicht möglich, nicht möglich, nicht möglich – bei Jugendlichen kommt diese Vokabelkombination womöglich weniger gut an.
In der Chronik der Speckmockelzunft steht für das Jahr 1991: „Die Fasnet fällt offiziell aus wegen des Golfkrieges.“ Und gleich darunter: „Bau des Geräteschuppens hinter dem Friedhof.“ Über einen Zusammenhang ist indes nichts bekannt.
Brezelfingen
Keine Bange, es sind nur Fehlzündungen! Die Hegau-Vulkane sind seit sechs Millionen Jahren erloschen, angeblich, so meinen die Wissenschaftler, gibt es keine Magmenschicht, mag man’s glauben oder nicht. Sowieso sind wir hier nicht in Island. Aber manchmal bebt die Erde doch und auf einmal hört man einen gewaltigen Knall: Fehlzündungen der zahllosen Motorräder, die die Strecke vom Schwarzwald hinunter ins Tal heimsuchen. Wir haben es also ebenso wenig mit Erdbeben zu tun, obwohl die Region – Zollerngraben – seismologisch gesehen einiges hergibt.
Das erhöhte Aufkommen von Motorrädern ist auf zweierlei Fakten zurückzuführen: Zum einen die achterbahngleichen Hebungen und Senkungen unter extremstem Geschlängel, zum anderen die Autobahnkapelle St. Emmaus an der Rastanlage Engen, die vor allem von christlichen Motorradgangs angesteuert werden, Katholen wie Evangelen, die sich hier auf ihren Affenschaukeln einen Segen to go bzw. to speed holen, auch wenn das kein Weihrauch ist, der aus den silbrig glänzenden Rohren hervorquillt. Für die Emmauskapelle hier als besonderen Service noch die Koordinaten: N 47° 51’ 38’’, O 8° 47’ 16’’.
Nicht zu vergessen die Motorradmanufaktur in Brezelfingen, auf halber Strecke zwischen Immendingen und Mauenheim gelegen, unweit der Gemarkung Lemmingen, von wo aus die L 225 zu Tal schießt. Dort befindet sich die Motorradmanufaktur Bannister, die Unikate fertigt, die z. T. von Scheichs aus Dubai oder Oman in Auftrag gegeben wurden. Auch der amerikanische Country Star Justin Thyme zählt zum erlesenen Kundenkreis. Die Maschinen werden liebevoll von Hand gefertigt, das dauert seine Zeit, so schnell wie’s Brezelbacken СКАЧАТЬ