Totkehlchen. Thomas Matiszik
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Название: Totkehlchen

Автор: Thomas Matiszik

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Kommissar Modrich

isbn: 9783942672719

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СКАЧАТЬ eins der besten in Europa war, gab es für Leo nur noch diese eine Chance. Sollte das neue Implantat, eine Spezialanfertigung aus den USA, wieder für Probleme sorgen, würde man eine weitere OP, wenn überhaupt, erst in ein paar Jahren angehen können. Guddi saß am Bett ihres Sohnes und las ihm aus Michel aus Lönneberga vor. Leo liebte dieses Buch über alles. Seit dem unseligen Abend in der Holzwickeder Lagerhalle, als ein Querschläger aus Kurt Heppners Waffe ihm das Rückenmark durchtrennt hatte, war das Lachen aus Leos Gesicht verschwunden. Dass nun selbst Astrid Lindgrens Kinderbuch nicht mehr für ein Lächeln sorgen konnt, machte Guddi unendlich traurig. Immer wenn sie alleine war und ihren Gedanken nachhing, umhüllten dunkle Nebelschwaden ihr Gemüt und ließen sie weder schlafen noch Appetit verspüren. Nur gut, dass sie noch nicht wieder im Dienst war.

      Das letzte Mal, als sie Peer getroffen hatte, konnte sie ihren Schlafmangel noch halbwegs kaschieren. Die teuren Pflegeprodukte, die Hartmut ihr geschenkt hatte, hielten wirklich, was sie versprachen. Aber nun, nach Monaten der Schlaf- und Appetitlosigkeit, sah Guddi aus wie ein Zombie. Abgemagert, tiefe Augenringe und blass wie eine Wasserleiche. Ihren Badezimmerspiegel, der allmorgendlich Zeugnis über ihr optisches Elend ablegte, hatte Guddi vor zwei Wochen in den Keller verbannt. Sie hatte sich geschworen, den Spiegel erst wieder aufzuhängen, wenn die alte Guddi zurückgekehrt war. Aber was, wenn dies nie passieren würde? Was würde es mit ihr machen, wenn die OP schiefgehen sollte? Im Moment galt es, diesen furchtbaren Gedanken zu verdrängen und Leo das Gefühl zu geben, dass seine Mutter wirklich daran glaubte, dass alles gut werden würde. Die Ärzte mussten diesmal einfach recht behalten und durften keinen Fehler machen.

      4

      Peer Modrich war auf den Hund gekommen. Ein drei Jahre alter Tosa Inu hatte das Herz des Kommissars im Sturm erobert. Shao, wie Modrich ihn getauft hatte, war einer der wenigen Hunde, die einigermaßen unbeschadet die brutalen Hundekämpfe überstanden hatten, die über Monate hinweg in Dortmund und Umgebung stattgefunden und eine bedeutende Rolle in Modrichs letztem Fall gespielt hatten. Sein Fell sah zwar immer noch so aus wie das eines riesigen Teddybären, mit dem zu intensiv geschmust worden war, aber das würde sich geben, wie der Tierarzt beteuert hatte. Schlimmer waren die seelischen Wunden, die Shao durch die zahlreichen Kämpfe mit seinen Artgenossen davongetragen hatte. Das Aufeinandertreffen mit anderen Hunden geriet in den meisten Fällen immer noch außer Kontrolle. Und das, obwohl Modrich mit Shao seit geraumer Zeit regelmäßig eine Hundeschule besuchte, die auf den Umgang mit traumatisierten Hunden spezialisiert war. Jakob Schlüter, der Hundetrainer, galt als eine Art Hundeflüsterer, dem man sogar eine eigene TV-Show angeboten hatte. Aber auch Schlüter konnte nicht zaubern.

      „Das, was ihr Hund erlebt hat“, erklärte er Peer nach der ersten Trainingsstunde, „hat so tiefe Narben auf seiner Seele hinterlassen, dass wir mindestens ein Jahr brauchen werden, um ihn zu einem souveränen Hund zu machen, frei von jeglichen Ängsten oder Aggressionen.“

      Modrich nickte nachdenklich. Ob es wirklich eine so gute Idee war, sich einen Hund ins Leben zu holen? Noch dazu ein solches Kaliber? Shao wog sechzig Kilogramm und hatte eine Schulterhöhe von knapp achtzig Zentimetern. Die Frage, wer mit wem Gassi ging, war, wenn man Modrich und Shao beobachtete, bisweilen nur schwer zu beantworten.

      „Und bedenken Sie bitte außerdem“, fuhr Schlüter fort, „der Tosa wurde für diese abscheulichen Hundekämpfe gezüchtet. Seine DNA ist quasi auf Krawall gebürstet. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, sehe ich für ihn keine friedliche Zukunft mit Ihnen.“

      Der Hundeflüsterer hatte leider recht. Die Dame bei der zuständigen Behörde in Dortmund hatte es sofort mit der Angst zu tun bekommen, als sie Shao sah.

      „Was um Himmels willen ist das?“, hatte sie gestammelt, „ein Hund oder ein Bär?“

      Shao legte den Kopf in den Schoß der Dame und eroberte damit ihr Herz. Jedoch verlangten die Vorschriften einen zeitnahen Sachkundenachweis. Und als Peer den jährlichen Hundesteuerbetrag sah, wurde ihm klar, dass Shao nicht nur ein stressiges, sondern auch ein teures Vergnügen sein würde.

      Modrich nahm den Dummy und schleuderte ihn mit aller Kraft in die Botanik. Shao schaute ihn fragend an und schüttelte sich. „Apportieren willst du also auch nicht“, bemerkte Peer, nahm Shaos riesigen Kopf in beide Hände und streichelte ihn liebevoll. Er schaute auf seine Armbanduhr und beschloss, den Heimweg anzutreten.

      Modrich hatte sein Auto unweit des Hixterwaldes, seines bevorzugten Gassireviers, geparkt. Mittlerweile schaffte es Shao sogar, ohne Peers Zutun in den Kofferraum zu springen. Offenbar hatte man Shao, als er noch als Kampfhund ‚tätig‘ war, regelmäßig in viel zu enge Transportboxen gezwängt. Aus diesem Grund hatte er sich noch vor wenigen Tagen mit allen Kräften gesträubt, sich in den Kofferraum von Modrichs Dienst-Passat zu bewegen. Schließlich blieb Modrich keine andere Wahl. Er hob Shao kurzerhand hoch und wuchtete ihn in den Kofferraum. Wobei das mit dem Wuchten eine echte Gefahr für Peers Bandscheiben darstellte. Umso glücklicher war er, als der Tipp des Hundeflüsterers, Shao mit einem kurzen, aber kräftigen Leinenruck in den Kofferraum zu befördern, vor knapp einer Woche Früchte trug und Shao tatsächlich zum ersten Mal freiwillig und ohne Theater in den Kofferraum gehüpft war.

      Die Fahrt zu seiner Wohnung in Dortmund-Aplerbeck dauerte keine zehn Minuten. Wenig, aber doch ausreichend Zeit, um sich Gedanken zu machen, wie er seinem neuen Chef gegenübertreten sollte. Das Ende Kurt Heppners als Polizeichef war sehr abrupt gekommen und hatte bei Peer, vor allem aber bei Guddi, tiefe Spuren hinterlassen. Während Guddi dem Polizeidienst vermutlich noch längere Zeit fernbleiben würde, hatte Peer sich immer und immer wieder gefragt, warum ihm nicht aufgefallen war, dass Kurt Heppner große persönliche Probleme hatte. Peer schaute in den Rückspiegel und sah in das Gesicht seines Hundes.

      „Du hast es gut, Shao“, begann er, „musst dir jetzt keine Sorgen mehr machen.“ Shao bellte einmal kurz. „Hieß das ‚Ich weiß, Herrchen’?“ Modrich holte tief Luft und setzte seinen Dialog mit dem Tosa fort: „Weißt du, Shao, wenn wir Menschen nur halb so sorgfältig auf unsere Artgenossen achten würden wie auf unsere Haustiere, wäre diese Welt eine bessere!“

      Shao machte Platz.

      „Okay, ich verstehe, jetzt wird es dir zu philosophisch, was?“ Peer trommelte rhythmisch auf das Lenkrad, während im Radio Rosanna lief.

      „Ich liebe diesen Song“, murmelte er, „aber wem erzähl ich das eigentlich alles? Modrich, es wird Zeit, wieder zurück in die Spur zu finden. Und am besten fängst du gleich damit an, wenn du deinem neuen Chef gegenübertrittst.“

      5

      Alexej Sobukov war abgemagert bis auf die Knochen. Bei einer doch eher stattlichen Körpergröße von knapp 1,90 Metern wog er nur noch fünfundsechzig Kilo. Seit fast drei Monaten verspürte er einfach keinen Appetit mehr und aß nur noch das Allernötigste. Manchmal gingen Tage ins Land, an denen Sobukov sich ausschließlich von Wasser, Säften und Kraftbrühe ernährte. Zu seiner permanenten Appetitlosigkeit gesellte sich ein extrem unangenehmes Völlegefühl, das er selbst dann empfand, wenn er nichts zu sich genommen hatte. Alexej vermutete ein Magengeschwür – im besten Fall. Wenn er Pech hatte, konnte es auch Krebs sein. Aber was hieß schon Pech? Vielleicht war das alles ja auch die gerechte Strafe für das, was Alexej Sobukov seit Jahren war: Ein eiskalter Killer ohne Gewissen und Moral, den niemand mehr Aljosha nennen durfte. Der seinem Vater nicht nur in nichts nachstand, sondern ihn in puncto Skrupellosigkeit noch übertraf. Bei Weitem sogar.

      Der Dortmunder Zoo war um diese Uhrzeit, kurz vor 21 Uhr, eine Oase der Ruhe. Keine umhertollenden und quengelnden Kinder, keine lauten Schreie aus dem Affenhaus waren zu vernehmen. Nur ganz vereinzelt hörte man ein herzhaftes und lang gezogenes Raubtiergähnen oder das Flügelschlagen eines riesigen Geiers aus dem Gehege im Eingangsbereich des Zoos.

      Alexej СКАЧАТЬ