Название: Rotzverdammi!
Автор: Reiner Hänsch
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783862870523
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Ich drehe also schon mal leicht an der Kurbel für das Fenster, damit ihm die Scheibe von unten in den Arm schneidet, aber es nützt nichts. Das Braune verteilt sich dadurch jetzt auch auf der oberen Kante der Scheibe und rutscht schmierig und böse zwischen die Dichtungsgummis. Ich hoffe, es ätzt sich nicht wie der schlimme Alienausfluss durch die gesamte Tür bis auf die Straße.
„Schwattmecke. Da is’ heute ’ne Beäärdigung, woll!“, sagt er dann mit einer plötzlichen Traurigkeit in der Stimme, die ich gar nicht erwartet hätte. „Hilde Flottmann is’ nämmich tot.“
Ja. Das ist sie. Meine Mutter. Hildegard Flottmann.
„Hilde Flottmann ist meine Mutter!“
So. Und hoffentlich hält er jetzt endlich seine Klappe und lässt mich ziehen.
Aber er starrt mich nur an und ich sehe, wie es in ihm rattert. Da kommt ganz langsam eine Präzisionsmaschine auf Touren, die schon lange nicht mehr so plötzlich beansprucht wurde und wahrscheinlich auch dringend mal geölt werden müsste.
„Abba der Bernd bisse ja nich’…“, hat die Maschine nach einer Weile errechnet.
„??“
„NICH – DER – BERND!“
„Nä, binnich nich’.“
Bernd ist mein Bruder.
„Heinz-Nobbät???“
Dieses sperrige Wort hat er anscheinend ganz tief unten aus seiner staubigen Erinnerungskiste gekramt. Der Kistendeckel hat ganz laut gequietscht.
Es fällt mir zwar schwer, das zuzugeben, aber er hat leider recht. Ja, ja, ich bin „Heinz-Nobbät“ und nicke nur bedeutungsschwer mit geschlossenen Augen, in mein Schicksal ergeben. Ich bin erkannt.
Heinz-Norbert. So was haben mir meine Eltern doch tatsächlich mal verpasst – ungefragt natürlich. Heinz und Norbert. Das waren meine beiden Großväter, die ich leider nie kennengelernt habe. Vereint in einem grausamen Namen, vergeben an einen armen, kleinen, unschuldigen Kindermenschen, der nun wirklich nichts dafür kann. Mit so was und einem Klapps auf den Hintern wird man dann ins böse Leben rausgeschickt. Sieh ma zu, wiesse klar komms, Heinz-Nobbät! Hähähä … Und da reiben sie sich heute noch gehässig die Hände.
Ach, jetzt sind ja beide tot.
Aber mal im Ernst. Schrecklichere Namen gibt’s doch gar nicht mehr, oder, was meinen Sie? Naja, vielleicht doch. In meiner Generation gibt es auch noch viele Heinz-Jürgens, Heinz-Herberte, Heinz-Geörge, Heinz-Wilhelms, Heinz-Herrmänner ... oder eben alles mit Hans. Das geht auch ganz gut und wurde im-mer wieder gerne genommen: Hans-Walter, Hans-Martin, Hans-Peter ... oder Horst. Ja. Horst-Peter zum Beispiel. So heißt der Fotograf aus Krefeld, mit dem ich letzte Woche noch das Wahnsinns-Fotoshooting in New York gemacht habe. Die Amerikaner haben sich scheckig gelacht über seinen Namen. „Horse-Peter“, haben sie gesagt, „the talking horse, hahaha.“ Ich muss wieder grinsen, wenn ich daran denke. War toll mit Horse-Peter in New York. Jetziges Ziel: Schwattmecke.
„Heinz-Nöbbät?“, fragt der grüne Oppa jetzt noch mal und schaut mich lange und prüfend an. Dabei kneift er seine listigen Äugelchen zusammen. Immer wieder scheint er mich abzuscannen und mit Bildern auf seiner internen Festplatte zu vergleichen. Nä, der Vergleich ist nicht gut. So was hat der Oppa noch nicht.
„Ja“, sage ich ergeben. „Ich bin Heinz-Norbert.“
Und dann geht ein Leuchten über sein zerfurchtes Gesicht und er bewundert mich wie eine Sonnenfinsternis, die nur alle sechsundzwanzig Jahre zu sehen ist.
„Wars abba lange nich mehr hier, mein Gunge!“
Mein Junge? Aber es stimmt. Ziemlich lange. Aber woher will er das denn wissen und was geht ihn das überhaupt an?
„Ja, kennze mich denn char nich mehr?“, fragt er jetzt mit Grinsebacke, aufgerissenen Äugelchen und hochgeschobener grüner Agro-Kappe. Er taut so langsam auf, scheint mir. Ist gar nicht mehr so auf Randale aus.
Jetzt fängt es dafür aber nun bei mir an zu rattern. Wer ist dieser alte Mann? Habe ich so jemanden überhaupt schon mal gekannt? Grün, Hühnerscheiße, Dreizack … ich versuche alle Details irgendwie zusammenzubringen, aber ich komme zu keinem verwertbaren Ergebnis.
„Nee“, sage ich daher nur.
„ONKEL WILLI BINNICH!“, brüllt er mich da plötzlich ganz freundlich an. „Brockmanns Willi, Mensch, das gibbs donnich, du dösigen Tuppes!“
Schutzmann bellt und steht wieder auf. Das Haltbarkeitsdatum seines Herrchenbefehls ist wohl endgültig abgelaufen.
Willi Brockmann. Onkel Willi. Ja, die Synapsenmaschine läuft zwar noch aber es macht plötzlich schon ganz eindeutig Klick. Und „dösigen Tuppes“, nett gemeint, natürlich!, hat ja eigentlich nur immer einer zu mir gesagt. Ich muss einfach nur mal so etwa vierzig, fünfzig Jahre zurückdenken. Kein Problem. Der Mann, der hier gerade meinen Zeitplan gehörig durcheinanderbringt, ist sicher siebzig oder achtzig … oder älter? Wie alt wird man denn in so einer Urgegend? Manche Leute in der sibirischen Einöde oder in mongolischen Steppendörfern werden ja schon mal weit über hundert.
Aber das ist er.
„Onkel Willi!“, brülle ich zurück und grinse dabei jetzt ebenfalls übers ganze Gesicht. Ja, sicher. Das ist ja Onkel Willi! Und dann steige ich endlich aus.
„Ja, sachich doch“, meint er achselzuckend. „Hab' euch Kindern doch früher immer ma ’n paar Klümpkes mitchebracht oder ma paar Chroschen für’n Eis checheben, dir un deim Bruder, dem Bernd.“
Ja, Bonbons und Kleingeld. Und das ist also Onkel Willi, der drahtige und eigentlich erstaunlich gut aussehende Mann aus meiner Kindheit. Wenn Vater nicht zuhause war – und er war häufiger unterwegs auf Montage für eine Baufirma –, war Onkel Willi oft bei uns. Meine Mutter mochte ihn wohl ganz gerne. Und er sie wohl auch.
Ich sehe mir den hutzeligen Mann, diesen Gegenwarts-Onkel-Willi, jetzt so aus der Nähe an und stelle fest, dass er sehr viel kleiner geworden ist als ich.
„Dein Vatter hat mich ja dann vom Hoff chegaacht (,gejagt‘ soll das heißen), weil ich ja ma ’n Krösken mit der Hilde hatte, woll ... VOR seiner Zeit, natürlich. Knapp davor. Abba dat hat ihm nich chepasst.“
Noch mal Achselzucken, verschwörerisches Grinsen und Augenkneifen. Er hatte was mit meiner Mutter? Na, guck mal einer an. Das habe ich allerdings nicht gewusst. Und dann sieht er mich wieder an, so ganz verträumt irgendwie, und grinst über beide pausigen Backen, die jetzt sogar eine gewisse Röte zeigen.
„Dattich dich nomma seh’, woll“, sagt er dann und holt ganz tief Luft, um sie dann lange und schnaufend durch die Nase wieder rauszulassen. Aber dann reißt er sich zusammen und sagt: „Weiße, dat mit der Hilde … ach … ich kann da nich zur Beäärdigung heute. Dat is zu traurich für mich. Ich chlaub, da krichich ’n Herzkasper un fall mit ins Chrab, woll.“
Ich nicke nachdenklich, ja, das ist zu riskant, das leuchtet mir ein.
„Getz wird et abba höchste Zeit für dich, mein Gunge, sons kommsse noch zu spät.“
Oh, СКАЧАТЬ