68er Spätlese. Jost Baum
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Название: 68er Spätlese

Автор: Jost Baum

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783944369327

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СКАЧАТЬ Päckchen Gauloises aus der obersten Schreibtischschublade, steckte den Autoschlüssel ein und verließ eilig die Redaktion.

       »Ich denke immer, wenn ich einen Druckfehler sehe, es sei etwas Neues erfunden.«

      Johann Wolfgang von Goethe

      3.

      Jablonski hatte die weinrote Alfa Giuletta in der nahen Tiefgarage geparkt. Er konnte sich immer wieder an den barocken Formen der zwanzig Jahre alten Karosse erfreuen. An den hohen, geschwungenen, aggressiv wirkenden Kotflügeln, den verchromten Sportfelgen und an dem scharf abfallenden Heck, in das breite Rücklichter eingelassen waren.

      Der starke Sechszylinder der Giuletta sprang nach dem zweiten Startversuch an und blubberte leise im Leerlauf. Jablonski betrachtete in stiller Andacht das in Rosenholz gefaßte Armaturenbrett, wartete bis der Öldruckanzeiger das grüne Feld erreicht hatte, gab vorsichtig Gas und ließ den Alfa wie ein gebändigtes Raubtier aus der Parklücke gleiten.

      Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde zu sein, muß man vor allem ein Schaf sein, erinnerte sich Jablonski grinsend an einen Spruch von Einstein, den er einmal gelesen hatte und wunderte sich über sein ausgezeichnetes Gedächtnis, da er annahm, er habe die Hälfte seines Gehirns bereits durch den hohen Alkoholkonsum der letzten Jahre ruiniert.

      Die Betonung liegt auf tadellos, sinnierte Eddie weiter, als er sich in den träge fließenden Verkehr einreihte. Nein, ich bin weder ein Schaf noch tadellos, ich bin als Wolf in eine Schafherde geraten.

      Ja, ich bin ein Wolf in einem Schafspelz, schmunzelte Eddie, packte mit einer Hand das Speichenlenkrad fester, holte mit der anderen die Zigarettenpackung aus der Manteltasche, klopfte das Päckchen gegen das Armaturenbrett, zupfte eine filterlose Zigarette mit zusammengepreßten Lippen aus der Papierhülle und steckte den Glimmstengel mit dem elektrischen Anzünder in Brand, der mit einem lauten Klack aus seiner Halterung gesprungen war.

      Eddies Insel lag hinter einer Jugendstilfassade verborgen. ›Das Treibhaus‹ war im Schicki-Micki-Bauhausstil eingerichtet und zu jeder Tages- und Nachtzeit gerammelt voll wie bei einem Sommerschlußverkauf.

      Der Journalistenstammtisch stand wie ein Fels in der Brandung vor einem bleiverglasten Rundbogenfenster, dessen Scheibe mit bunten Ornamenten reich verziert war. Luigi, der Besitzer dieser Oase, ein kleiner rundlicher Italiener mit einem weit ausladenden Schnauzbart, hatte das Chaos fest im Griff. Jablonski begrüßte ihn mit einem kurzen Kopfnicken, als er sich auf eine Bank hockte, die dicht vor dem Fenster stand, hinter der ein Heizkörper angebracht war, der wohlige Wärme ausstrahlte.

      »Wie immer?« fragte Luigi und hielt ein Cognacglas hoch.

      »Einen Doppelten«, bestätigte Eddie, stand noch einmal auf, zog den Trenchcoat aus und hielt fröstelnd die Hände über die Rippen der Heizung.

      »Schon Feierabend?« grinste Luigi, als er Jablonski den Cognacschwenker brachte.

      »Setz dich«, antwortete Eddie, »oder besser, hol dir auch einen auf meine Rechnung«, ergänzte er.

      »Was ist, gab’s Ärger?« antwortete Luigi stattdessen, stemmte die kräftigen Arme auf den polierten Holztisch und blickte ihn fragend an.

      »Ach Quatsch, laß mich in Ruhe, wenn du keine Zeit hast«, antwortete Jablonski mürrisch, der damit gerechnet hatte, mit Luigi ein paar zu trinken, und den ganzen Ärger damit einfach zu vergessen.

      »Du siehst doch, der Laden quillt über, ich hab’ alle Hände voll zu tun und kann dann nicht schon am frühen Nachmittag saufen, das mußt du doch verstehen!« entschuldigte sich der Wirt und streckte hilfesuchend die Arme aus.

      »Okay, okay«, nölte Eddie enttäuscht und prostete Luigi zu, »ich dachte zwar, du wärst ein Kumpel … aber was soll’s.«

      »Der Cognac geht auf meine Rechnung«, tröstete Luigi und klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. Eddie nickte kurz und nahm einen kräftigen Schluck. Der Alkohol brannte in seiner Kehle und schon bald breitete sich ein angenehm wohliges Gefühl in seinem Magen aus. Die Tische rings um ihn herum waren mit Mittagsgästen besetzt. Kleine Angestellte wie er, die alle ein wenig ihre Pause überzogen hatten, um noch schnell einen Kaffee zu trinken und dabei von ihrem Urlaub oder dem letzten Kinobesuch zu plaudern. Er merkte ihnen ihr schlechtes Gewissen an ihren unruhigen Blicken an, die sie ab und zu zur Glastüre warfen, als warteten sie darauf, daß ihr Chef sie persönlich abholen und sie an ihren Schreibtisch führen würde.

      Jablonski stöhnte bei der Überlegung, wie er das neue Zeitungskonzept umsetzen sollte. Ihm wurde schon schlecht bei dem Gedanken, über die Eröffnung eines neuen Sonnenstudios oder über die Verleihung des goldenen Käsemessers schreiben zu müssen. Er wäre nichts weiter als eine männliche Klatschspaltenhure, die Zeile für Zeile Belanglosigkeiten aneinanderreihen müßte.

      Eine Stunde und zwei, drei Cognac später war sein Zorn ein wenig abgeklungen und einem leichten Rausch gewichen, der ihn die Dinge zwar klarer, aber auch von weiter weg betrachten ließen.

      Er war immer noch der schlecht bezahlte Lokalredakteur in einer zweitklassigen Tageszeitung, der stramm auf die Vierzig zueilte, ein Reihenhäuschen abbezahlte, dessen Gattin einer Halbtagsbeschäftigung als Lehrerin nachging, mit der er einmal die Woche die Ehe vollzog, dabei vor Jahren einen Sohn zeugte und ansonsten im Halbtran dem Leben ein paar positive Seiten abzutrotzen suchte.

      Jablonski merkte, daß ihn der Alkohol spitz wie eine Horde Hochseefischer kurz vor dem Landgang machte. Eddie wußte aber auch sehr gut, daß er mit dieser Cognacfahne nicht bei Uschi landen konnte. Sie hatte feste Regeln. Dazu gehörte der allwöchentliche Beischlaf am Mittwochabend nach ihrem Gymnastikkurs, von dem sie behauptete, daß diese Art von Bewegung ihre Verspannung lockern würde. Jablonski resignierte, sein Schniedelwutz würde sich vermutlich noch zwei Tage gedulden müssen.

      Er stand auf, holte tief Luft, kramte ein Pfefferminzbonbon aus seiner Manteltasche, um ein wenig die Alkoholfahne zu vertreiben, ging zum Tresen und ließ sich von Luigi das Telefon geben. Die Tagungsergebnisse der SPD-Ratsfraktion waren wie immer in drei Sätzen zusammenzufassen: ›Wir Genossen stehen fest zusammen.‹, ›Die Arbeitslosigkeit ist ein schlimmes Übel.‹, ›Der Individualverkehr hat Vorrang (schließlich wollen wir es uns nicht mit Opel verderben).

      Jablonski hatte nichts anderes erwartet. Er zahlte seine Zeche, atmete noch einmal kräftig durch, bevor er in den Alfa stieg und in gedrosseltem Tempo zur Redaktion zurückfuhr.

      Er hatte Glück, weder die toupierte Mittvierzigerin in der Portiersloge musterte ihn, wobei ihr sonst vermutlich seine hochroten Wangen aufgefallen wären, noch lief ihm ein Kollege über den Weg, bevor er seine Klosterzelle erreichte.

      Jablonski hackte zwanzig Zeilen über das Ergebnis der Fraktionssitzung in den Textcomputer und speicherte die Pressenotiz ab. In der untersten Schreibtischschublade fand er, wonach er suchte. Eine Flasche Courvoisier im Westentaschenformat. Eddie pfiff leise durch die Zähne. Flachmänner sind die geilste Sache seit Erfindung des Toastbrots, dachte er und steckte das Gesöff in die Innentasche seines Jackets.

      Er nahm die Diskette, beschriftete das Etikett und ließ das schwarze Plastikquadrat in eine Hülle gleiten. Dann trat er auf den Mittelgang, der die Klosterzellen der Redakteure miteinander verband.

      Drei Arbeitsplätze weiter fand er Kampmann in einem tiefsinnigen Gespräch über kommunale Theaterarbeit verwickelt.

      Die Frau, die dem Kulturredakteur gegenübersaß, trug halblange schwarze Haare, mit einem kräftigen Schuß Kupferrot. Ihre strengen Gesichtszüge СКАЧАТЬ