Münster - Was nicht im Stadtführer steht. Carsten Krystofiak
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Название: Münster - Was nicht im Stadtführer steht

Автор: Carsten Krystofiak

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783941895423

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СКАЧАТЬ Der Gewinner, ein Punk aus Greven, weiß nicht, wohin mit seinem Preis. Die Polizisten-Attrappe wird deshalb unter Gejohle auf die Straße geschlört und verursacht dort zur Belustigung der Punks einen Verkehrsstau. Autos hupen, Bierkrüge fliegen, der Pappkamerad wird mit Mofa-Benzin in Brand gesteckt. Die Kreuzung ist mittlerweile ein Scherbenmeer. Die anrückende Polizei wird mit einem Gläserhagel empfangen und setzt Reizgas ein. Weil fünf Punks verhaftet werden, unternehmen andere einen gewaltsamen Befreiungsversuch, den die Polizei abwehrt. Die Randale macht dicke Schlagzeilen in den WN, bringt Äni(x)Väx jedoch keinen Werbenutzen, weil der Bandname in den Zeitungsberichten nicht genannt wird.

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      Karnevalssonntag 1986 im Odeon: Wer hat das schönste Kostüm an? Zahlenmäßig gewannen die Narren auf dem Prinzipalmarkt; nach Lautstärke die Punks im »O«.

      Werbung für Punk machten dagegen die beiden Punk-Girls Gabi & Moni, die in einer Live-Diskussionsrunde der ZDF-Fernsehsendung »Kinder, Kinder« zu ihren Punk-Motiven befragt wurden. Dazu fiel den beiden jedoch nicht mehr ein, als keinen Bock zu gar nichts zu haben, alles Scheiße und überhaupt: Fuck off!! Wegen der eitlen Selbstdarstellung wurden die beiden hinterher wochenlang in den Szenekneipen als »arrogante Fernsehstars« geschnitten. Diese Szenekneipen sind rasch aufgezählt: neben dem Bunten Vogel, der damals auf der Rothenburg war, dem Neuen Krug und dem Odeon besuchten Münsters Punks vor allem die Kronenburg. Die »Hippies« des linksautonomen Kneipen-Kollektivs hatten alle Hände voll zu tun, die Kids in Schach zu halten, die den Laden als ihren speziellen Abenteuerspielplatz ansahen und die Gäste mit der »Haste-mal-ne-Mark«-Leier nervten, wenn das Taschengeld mal wieder nicht fürs nächste Bier reichte. Der Neue Krug wurde von den Punks Neuer Betrug geschimpft, weil die Inhaber die Unverschämtheit besaßen, gegen das Mitbringen von Karlsquell-Dosenbier (dank einer Ode der Hamburger Punkband Slime das Punk-Kultgetränk) konsequent einzuschreiten. Weil im Billardzimmer der Kneipe oft gegen das BtMG verstoßen wurde, waren auch immer einige Zivilbeamte vom Friesenring anwesend. Diese konnten schon von weitem an ihrer schlechten Kostümierung erkannt werden (Wildlederjacke mit Nina Hagen-Button und – kein Witz! – The Police-T-Shirt). Die bemühten sich dann ebenso verzweifelt wie vergeblich um Kontakt.

      Während viele Bürger vor Punks noch Respekt hatten oder hilflos herumschimpften (»Unter Adolf hätte man euch ...!!« – »Geht doch nach drüben in die DDR!!«), und die Studenten-Hippies grundsätzlich pazifistisch waren, hatten die Punks nur einen natürlichen Feind zu fürchten: den gemeinen Mofa-Assi. Die Hauptschul-Prolls von der berüchtigten Überwasserschule oder diverse Bunken-Clans aus Coerde machten Jagd auf »Punkerschweine«, und man hatte Glück, wenn man mit einem blauen Auge davonkam. Der Punk-Lifestyle selber forderte indes schwerere Opfer: Die, die dachten, sie könnten ewig so weitermachen, landeten in Psychiatrie und Knast, als Pflegefall oder auf dem Friedhof. Das alles ist jetzt so lange her, dass es zur Würde gereift ist, die Düsseldorfer Kunsthalle zu schmücken. Wenn einer den Penner-Punks am Bahnhof mal sagen könnte, dass ihre Attitüde museumsreif ist.

      (Erschienen 2002)

      Anmerkung:

      Der Regisseur eines Dokuspielfilms über die berüchtigten »Chaostage« sagte: »Heute wird man ja beim ZDF nicht mehr Programmdirektor, wenn man nicht mindestens sechs Wochen lang Punk gewesen ist.« Das trifft zu und darum ist Punk auch endgültig restlos tot. Das Komische daran: Damals dachte man wirklich (und beileibe nicht nur in Münster), dass nach Punk eigentlich keine innovative Jugendkultur mehr kommen könne! Der weitere Lebenslauf der damaligen Mitglieder von Münsters Punkszene lässt sich grob gesagt in zwei Alternativen teilen: Kulturbetrieb oder Tod.

      Im Kumpelnest.

      Das alte »Odeon« war Münsters Wohnzimmer für Waver, Punks & Nachtvögel.

      Wenn dieser Tage der letzte Applaus nach dem Konzert von Dr. Ring Ding verklungen ist, wird im Odeon an der Frauenstraße für immer das Licht ausgemacht. Die »Grande Dame der münsterschen Clubs« nimmt ihre letzte Huldigung entgegen. Die Institution Odeon hat mindestens drei Generationen von Teenagern sozialisiert und deren Jugend entscheidend geprägt. Deshalb ist uns die anekdotenreiche Geschichte des Odeons einen Rückblick wert. Bitte einsteigen zur Zeitreise ...

      Die 70er Jahre sind soeben vorbei und der Zeitgeist diktiert Coolness. New Wave und NDW sind angesagt; die Frauen tragen Neonschmuck. Helmut Kohl steht kurz vor seiner Machtergreifung. In Münster provozieren sich samstags am Lambertibrunnen Punks und Popper; die Kronenburg und der Bunte Vogel auf der Rothenburg sind die aktuellen Szenekneipen. Am 8.10.1982 übernehmen vier befreundete junge Leute das wenige Jahre zuvor (vom heutigen GoGo-Betreiber Jürgen Köhn) eröffnete Odeon in der ehemaligen »Gaststätte Freitag« im Schatten der Überwasserkirche. Zunächst wird der Laden vom neuen Team auf die Höhe der Zeit gebracht: Die Flipperautomaten fliegen raus, und von der Bühnenrückwand grüßt frisch gesprayt eine Mickymaus mit zackiger Elektrogitarre aus einem pinkroten Amischlitten. Ein gewisser Maximilian Lenz darf im »O« Platten auflegen und nennt sich »DJ Westfalia Bambaata«. Später verkürzt er den umständlichen Künstlernamen (eine Hommage an sein Vorbild, den Hip-Hop-Pionier Afrika Bambaata) schmissig zu Westbam und zieht nach Berlin.

      Viele erfolgreiche Künstler haben am Beginn ihrer Karriere als No-Name-Bands im Odeon gespielt (und sind später gerne wiedergekommen). Etwa die Toten Hosen. Christine Rosenthal: »Die standen 1983 eines Nachmittags vor der Tür und klopften an die Scheibe. Ich war gerade am Aufräumen. Ich sag: Wer seid ihr denn? Die: Wir sind ’ne Punkband und wollten fragen, ob wir hier mal spielen können. Ich sag: Habt ihr denn schon ’ne Platte? Die: Äh ... nee, aber wir haben ne Cassette dabei ...« Oder die Red Hot Chili Peppers, die damals wenigstens schon ein bisschen bekannt waren, aber noch als Geheimtipp galten. Veronika Fischer: »Für die hatte ich Abendessen gekocht. Musiker kriegen ja sonst meist nur Junkfood. Ehrlich – die wollten, dass ich für den Rest der Tour als Köchin mitfahre und ließen gar nicht locker.« Die hühnerknochenbehängten Gothicrocker von Christian Death fanden ihre eigene Musik offenbar so genial, dass sie nach vier Stunden (!) Nonstop-Konzert selbst noch weiterspielten, als das Publikum längst entnervt verschwunden und das Saallicht eingeschaltet war. Nur das Abschalten des Stroms bewegte sie schließlich aufzuhören. Ganz anders die Lausejungs von den Bollock Brothers – die englischen Punkrüpel erklärten den sprachlosen Zuschauern nach nur 20 Minuten, sie müssten jetzt dringend zurück ins Hotel, um den Übertragungsbeginn irgendeines hochwichtigen Fußballspiels nicht zu verpassen. Weil ihre Musik nicht im Gedächtnis blieb, lieferten King Kurt eine Bühnenshow, die niemand vergessen sollte. Eimerweise Eier, Mehl, Farbgelee und Wasser flogen von der Bühne ins Publikum und zurück. Ein Gast erinnert sich: »Alles hat in einer knietiefen Pampe gewogt – es war fantastisch!« Auch die anrückende Polizei – wegen der Lebensmittelschlacht vor der Tür gerufen – wurde mit Eiern und Mehltüten empfangen. So manch einer hat nach diesem Abend Jacke und Schuhe nur noch in die Mülltonne werfen können. Aus den Haaren bekam man den zementartigen Brei sowieso nicht mehr heraus.

      Die MS-Punks Potpourri Boys folgten dem Beispiel von King Kurt und warfen von der Bühne rohe Hühner, die durch eingeführte Silvesterböller über den Köpfen der Zuschauer explodierten. Später wunderte man sich im Odeon wochenlang über widerlichen Verwesungsgeruch, bevor endlich jemand die Reste des Hühnchens fand, das auf dem Videobeamer unter der Saaldecke gelandet war. »Münsters letzte Punkband« (Selbstbezeichnung) Äni(x)Väx verabschiedete sich 1986 ebenfalls mit fliegender Nahrung (Pizza) in einer wilden Show für immer von den Fans.

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      In den legendären Katakomben des Odeons verewigten sich Stars an den Wänden – und indem sie ins Waschbecken pinkelten, sehr zum Ärger von Wirt Möppel ...

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