Halbierte Wirklichkeit. Hans-Dieter Mutschler
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Название: Halbierte Wirklichkeit

Автор: Hans-Dieter Mutschler

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783766642271

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СКАЧАТЬ Welt wird in dieser Sicht auf eine verhängnisvolle Weise eins, indem nämlich alle Unterschiede eingeebnet werden. Aber gerade das macht die Attraktivität des materialistischen Monismus aus, besonders für diejenigen, die die Religion aufgegeben haben und die nun statt Gott einen neuen Einheitspunkt in der Flucht der Erscheinungen suchen, letztlich einen existentiellen Halt, der sie psychisch stabilisieren soll. Es sieht fast so aus, als sei die Suche nach der Einheit aller Dinge eine Art anthropologischer Konstante. Plato hat sie mit der Sexualität verglichen und das gibt uns einen Hinweis auf ihren irrationalen Charakter. So wie Sexualität die Menschen oft in die unwirtlichsten Verhältnisse hintreibt, indem sie sich spielend über alle Vernunftprinzipien hinwegsetzt, so scheint auch der metaphysische Trieb zur Einheit von der Art, dass er die Vernunft spielend hinter sich lässt, um eine oberflächliche Ideologie an ihre Stelle zu setzen.

      Der Intellektuelle wird diese unangenehm dunkle Seite – das gebietet ihm die Selbstachtung – rational verbrämen. Er wird also seine monistische, aus blindem Trieb hervorgehende Weltanschauung theoretisch überhöhen mit Hilfe von Prinzipien, die sich wissenschaftlich anhören sollen. Man spricht dann von kausaler Geschlossenheit der Welt, vom Supervenienzprinzip, von den letzten Bestandteilen der Materie und was solcher ad-hoc-Prinzipien mehr sind. Sie halten jedoch keiner ernsthaften Überprüfung stand, wie sich noch zeigen wird. Aus diesem Grunde werden sie gewöhnlich nicht überprüft, sondern einfach nur als gültig vorausgesetzt. Auch die Materialisten haben ihre Dogmen, an die sie oft fester glauben als die Christen an die ihren. Man kann auch an die Nichtexistenz Gottes glauben.

      In diesem Buch werden solche Dogmen als Kompensation eines metaphysischen Einheitsbestrebens interpretiert. Der Theologe Karl Rahner hat dafür schon vor langer Zeit den Begriff der „gnoseologischen Konkupiszenz“ geprägt, der aber leider nicht die verdiente Beachtung gefunden hat.4 Rahner bezieht sich gerade auf solche Phänomene der Unterfütterung echter Wissenschaft durch eine desolate Einheitsmetaphysik, die dem irrationalen Bedürfnis, nicht aber der Vernunft, entspringt. Was Konkupiszenz im Fleisch ist, wissen wir – niemand, den sein Trieb nicht schon in die unsäglichsten Verhältnisse verwickelt hätte. Aber „gnoseologische Konkupiszenz“ ist uns fremd, weil sie sich auf unser Erkenntnisvermögen bezieht, das wir seit der Aufklärung aus der Sphäre der Korruption herausgenommen haben. Daher Kants Rede von der „reinen Vernunft“. Kant lässt natürlich zu, dass unsere Vernunft empirisch relativiert ist, ständig der Gefahr des Irrtums ausgesetzt. Aber unser Entschluss zur Rationalität („sapere aude“) erhebt uns mit einem Schlag über die Relativität der empirisch codierten Vernunft empor ins Reich des reinen Apriori, wo eine höhere Notwendigkeit den Sockel der Wahrheit bildet, auf dem das imponierende Gebäude der Wissenschaft steht.

      In dieser Sichtweise gibt es kein Unbewusstes, das durch unsere Rationalität verfälschend hindurchgreifen könnte. Vergessen ist Leibniz’ Lehre, dass menschliche Vernunft kontinuierlich ins clair-obscure des Unbewussten hinabreicht, wo die Dämonen zu Hause sind, wie dann später Schopenhauer, Freud und Jung verdeutlicht haben. Man kann also sagen, Rahners Misserfolg mit dem Begriff der „gnoseologischen Konkupiszenz“ verdankt sich diesem verbreiteten aufklärerischen Selbstmissverständnis, wonach wir uns nur zur Vernunft entschließen müssen, um vernünftig zu sein. Man hätte aber besser seinem Hinweis folgen sollen. Gerade im Zusammenhang mit fundamentalen Entdeckungen der Naturwissenschaft bemächtigt sich unserer Vernunft leicht ein vorschneller Trieb, die Lösung aller Probleme in einem monistischen Konzept zu suchen, das weit über alles hinausgeht, was wissenschaftliche Vernunft jemals zu begründen in der Lage ist.

      Der Inhalt der folgenden Untersuchung bezieht sich zunächst einmal hauptsächlich auf die Leib-Seele-Debatte, die für den Materialismus die stärkste Herausforderung darstellt, denn wir Menschen verstehen uns selbst gerne als psychosomatische Wesen, die also neben ihren materiellen auch eigenständige geistige Eigenschaften haben. Diese geistigen Eigenschaften kann der Materialist nicht als etwas Autonomes stehen lassen. Er muss sie auf die Dynamik der Materie zurückbiegen, um seinen Monismus zu retten. Der Mensch ist dann mit all seinen Qualitäten ein Objekt der Naturwissenschaft, wie andere Objekte auch. Darüber wird natürlich viel gestritten und man fragt sich, wozu dann noch ein weiteres Buch über diesen kontroversen Sachverhalt geschrieben werden muss, wo es doch der kritischen Bücher genug gibt, manche davon ganz ausgezeichnet.5 Der Grund ist der, dass dieser strittige Sachverhalt wohl noch nie von dieser Perspektive der „gnoseologischen Konkupiszenz“ her beleuchtet wurde, wodurch sich eine zwanglose Anbindung an die Theologie ergibt, die ebenfalls in diesem Zusammenhang keine große Beachtung findet.

      Natürlich ist die Frage nach dem Materialismus zunächst eine philosophische Frage und sollte auch auf diesem Niveau behandelt werden. Wenn es aber um Monismus und um Weltanschauung geht, dann spielt die Fragestellung ins Theologische hinein und es wäre wohl wert, die Sache einmal von diesem Blickwinkel aus zu beleuchten. Zu diesem Zweck soll hier ein Vergleich gewagt werden, der zunächst einmal weit hergeholt erscheinen wird: Es soll nämlich der heute herrschende materialistische Monismus mit dem Geistmonismus Hegels verglichen werden. Wer sowohl mit der heutigen Diskussion und mit Hegel einigermaßen vertraut ist, wird verblüfft sein über die Parallelen zwischen diesen beiden völlig verschiedenen Weltanschauungen, die aber eine kryptische Verwandtschaft aufweisen. Beide sind der Substanz nach monistisch.

      Natürlich ist dem Gegensatz materialistischer versus spiritualistischer Monismus nichts abzuhandeln, sie sind zunächst einmal strenge Gegensätze, kommen aber darin überein, dass sie jeweils im Grenzbereich ihrer Paradigmen radikal versagen. Der materialistische Monist setzt bei der Natur an und kommt nie mehr zum Geist. Der spiritualistische Monist setzt beim Geist an und verfehlt die Natur. Es ist eben so, dass unsere endliche Vernunft an distinkte Perspektiven gebunden ist. Wir verfügen nicht über das Auge Gottes, das in ursprünglicher Selbigkeit Einheit und Vielheit zugleich überschauen würde. Endliche Vernunft ist vielmehr an solche distinkte Perspektiven gebunden, die sich nicht in eine metaphysische oder physikalische Weltformel hinein verrechnen lassen. Versucht man es dennoch, dann erzeugt man eine monistische Ideologie, die ihren ideologischen Charakter durch krasse Widersprüche, ungerechtfertigte Extrapolationen oder bloße Wissenschaftsrhetorik bemerkbar macht, die noch nicht einmal gut klingt. Aber – und das ist jetzt hier der entscheidende Punkt – dies hindert nicht, dass die zu kritisierenden Monisten zugleich sehr klug sind und dass sie wesentliche Einsichten zutage gefördert haben, von denen wir uns belehren lassen sollten.

      Wir möchten hier nicht die einseitige Strategie verfolgen, die konservative Theologen vor 50 Jahren gegen die Marxisten bevorzugten. Damals hat z. B. der Jesuit Gustav Wetter den Marxismus einseitig und nur als Ideologie hingestellt. Er ging eben auch irrigerweise davon aus, dass die Vernunft nur entweder stimmig oder ganz verdorben ist. Aber das war weder damals noch heute so, weil es ganz selten so ist. Jedenfalls kann man von den hier zu behandelnden Monisten sehr viel lernen, nicht nur von den zahlreichen analytischen Philosophen, die den materialistischen Szientismus halten, sondern auch von Hegel, der inzwischen eine persona non grata geworden zu sein scheint. Hegels geistphilosophischer Pomp ist freilich abgetan, aber dahinter verbirgt sich eine gigantische Denkleistung, die man nicht ohne Schaden ignoriert. Sinn und Unsinn verteilen sich eben nicht glatt auf verschiedene Personen oder Denkrichtungen, sondern sie verschränken sich auf verwirrende Art aufgrund der fundamentalen Sehnsucht des Menschen nach Einheit, die sich nach Meinung des Verfassers nur als riskanter Glaube, nicht jedoch als ein in sich geschlossener Wissensbestand artikulieren lässt. Wenn sich die Einheit des Seins überhaupt unserer Vernunft mitteilt, dann höchstens auf die diskrete Art der Aristotelischen Metaphysik. Ihr Grundsatz lautet: „To on pollachos legetai“ – das Seiende wird im mehrfachen Sinn ausgesagt. Dies bedeutet: Der Seinsbegriff ist nur formal zu fassen und er hat die Differenzen, die Vielheit der Bezüge außerhalb seiner selbst. Das heißt im Klartext, dass wir die Kategorien unseres Weltverständnisses aus der Erfahrung gewinnen müssen, ohne sie auf eine einzige zu reduzieren, für die dann die Wissenschaft (im Singular) zuständig wäre. Es bedeutet, dass wir die Spannung zwischen Theorie und Praxis aushalten müssen, ohne sie vorschnell aus einem spirituellen Einheitsprinzip abzuleiten oder, was heute beliebter ist, Praxis derart an die Theorie anzugleichen, dass ihre СКАЧАТЬ