Und die Titanic fährt doch. Ulrich Land
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Und die Titanic fährt doch - Ulrich Land страница 5

Название: Und die Titanic fährt doch

Автор: Ulrich Land

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Mord und Nachschlag

isbn: 9783941895447

isbn:

СКАЧАТЬ

      »Melde: Besatzung des Salons der einsamen Herzen vollzählig zum Mitternachtsappell angetreten: die brünett Gelockte, die auch nach diesen hundert Jahren anonym bleiben möchte; rechts davon Madame Angélique Godot; Heizer Manfred Hart; Mister Ronald Russell, schreibender Bestatter; Bruce Wayne alias Batman; Ernest Steel, Steward im dunklen Livree mit stets frisch gestärktem Kragen. Und meine Wenigkeit: Jonathan Phillips, Erster Funker auf der Titanic, Seiner Majestät King Georges treuester Diener im Endlosruhestand. All on board.«

      »Sehen Sie«, rasselt Russell und hustet, als wäre er auf dem besten Weg, sein eigener Kunde zu werden, »Ihr Mann ist nicht dabei, Mme Godot. Eine Tragödie sondergleichen! Aber ich drehe mich im Kreis. Die Worte, mir gehen die Worte aus.«

      »Schlecht, Rüssel, verdammt schlecht, für‘s Gedichtedichten. Un für‘s Verschaufeln erst recht!«, grinst Hart. »Aber gezz lass die gute alte Frau Godot doch Jenseitsgeflüster von ihrn Gatterich hören, so viel wie sie will. Macht do nix.«

      »So einfach ist das nun auch wieder nicht«, braust der sonst so bedächtige Phillips auf, »die treibt mich zur Weißglut, wissen Sie? Zur Weißglut! Ständig mit dieser scheppernden, klappernden Mokkatasse immer! Ich bin Funker, Himmel noch mal, und Funker haben nun mal ein sensibles Gehör.«

      Und damit herrscht erst mal Ruhe im Karton. Jeder hier unten weiß genau, mit dem Funker darf man sich‘s nicht verscherzen; Phillips ist der Einzige, der einem noch wenigstens halbwegs berechtigte Hoffnung machen kann, dass man hier aus diesem hundertjährigen U-Boot heraus jemals wieder Kontakt mit der Außenwelt bekommt. Aus rein dramaturgischen Gründen wäre es natürlich hervorragend gewesen, wenn jetzt, genau jetzt mitten in die Stille aus Anlass des einhundertsten Jubiläums eine Rekonstruktion des Rums geplatzt wäre. In diese Lücke, genau in diese vielsagende sprachlose Lücke hinein der Donnerschlag des Eisbergs, oder im Fall der unsterblichen Titanicbewohner hier, wohl besser: das Knirschen der Eismesser und -meißel, das Schnarren der Raspeln aus Eisgrus, das Kreischen der aufgeschlitzten Rumpfplatten. Quasi als akustisches Erinnerungsspektakel zur Feier des Tages.

      Aber wieso, zum Teufel, wieso interessiert mich eigentlich, was in hundert Jahren hier unten im Schiffsbauch los sein mag!? Wo doch verdammt noch mal mein Hier und Jetzt schon reichlich Sprengstoff zu bieten hat. Wahrscheinlich grade deshalb! Weil die Gegenwart, weil dieses Schmoren in der schwimmenden Zelle hier einfach nicht zu ertragen ist.

      - . -

       3

      Was ist das jetzt wieder? Ich schrecke aus traumlosem Schlaf.

      »Aah, besten Dank«, stammle ich. Die wirklich verdammt nicht schlecht aussehende Nurse von der Krankenstation hier – dass ich für so was schon wieder einen Blick habe! He he, warte mal, kommt mir so bekannt vor, die mit ihrem brünetten Haar, traumhaft weich fallende Locken rahmen das bildschöne Gesicht ein, kristallblauer Blick, der unter absolut grade gezogenen Augenbrauen hervor glitzert. Als hätte ich sie schon zigmal gesehen. Ich weiß es nicht, aber … die Nurse gibt mir einen klobigen Becher, und ich, durstig wie nach sieben Wochen Sahara, lege sofort die Lippen ans Porzellan und … und trete eilends den Rückzug an: Heiß! Glühend heiß, der Tee. »Bevor ich mir das Maul verbrenne, Miss, sagen Sie mir doch um Himmels Willen mal endlich, um wie viele Opfer es sich eigentlich handelt!«

      »Ich darf nicht mit Ihnen sprechen.«

      Ja! Die Stimme kenne ich. Nur viel jünger die hier, wie‘s scheint, mindestens hundert Jahre jünger. Seltsam. Aber egal jetzt.

      »Jetzt stellen Sie sich doch bitte mal vor, was sich in meinem Schädel für ein Rodeo abspielt. Ich will wissen, verdammt noch mal, was ich für eine Tragödie hinterlassen habe. Begreifen Sie das nicht?«

      »93.«

      »93 was?«

      »Tote. 93 Tote und 434 Verletzte«, flüstert sie und schleicht zur Tür hinaus.

      Grauenhaft. Doch so viele Tote. Und über 400 Verletzte. Und da reservieren Smith und meine wackeren Offizierskollegen auch noch eine von den paar wenigen Krankenstationskabinen, um mich aus dem Verkehr zu ziehen! Muss man sich mal vorstellen.

      Lag ich also mit meiner Vermutung deutlich drunter: fast hundert Tote! Ich meine, sicher, war schon gewaltig, der Schlag. Oben auf der Brücke, obwohl wir es da oben ja haben auf uns zukommen sehn, genau wussten, woher der Stoß kam – trotzdem hat uns die Wucht umgehauen. Wie mag‘s da erst in den Salons drunter und drüber gegangen sein! War ja noch vor Mitternacht, da wird noch so einiges an Betrieb gewesen sein. Am wenigsten Opfer wahrscheinlich in den Kabinen. Vor allem in der dritten Klasse, wo ja um 22:00 Uhr das Licht gelöscht wird und die allermeisten wahrscheinlich brav in den Betten liegen. Trotzdem, es wird natürlich schon einige aus den Betten geholt haben: nicht schnell genug aus dem Schlaf geschreckt, über die Kojenbegrenzung gerollt, dem Sturz auf den Kabinenboden nichts entgegenzusetzen. Wohl dem, der in den Etagenbetten nicht oben liegt. In erster Linie natürlich wird es, Nachtruhe hin, Nachtruhe her, die Passagiere in den Kabinen ganz vorne im Bug erwischt haben; da also dann doch die dritte Klasse. Und eine Menge Besatzungsmitglieder, die noch weiter vorn, in der zweiten Rumpfkammer ihre Kojen haben, oder sagen wir: hatten. Aber, Moment mal – Schnitt durchs Gestern, zurück ins Heute: ein Geräusch … was ist das für ein Geräusch?

      Hört sich an, als ob … ein Motorengeräusch. Aber nicht unseres. Definitiv nicht. Das kommt von draußen – da ist ein anderes Schiff im Anmarsch! Ohne Zweifel. Mein Gott, wie haben wir uns das gestern Nacht herbeigesehnt! Vor allem für die Verletzten. Und für all die Leute, die, ein Schleudertrauma im Nacken und von Irrsinnspanik ergriffen, keinen Meter mehr, auf den Tod keinen Meter mehr an Bord der angeschlagenen Titanic weiterfahren wollten. Letztlich blieb ihnen ja nichts anderes übrig, aber wahrscheinlich gibt es unter den Passagieren kaum einen, der nicht von dieser Angst besessen ist, dass der Kahn im Bug noch mehr vollläuft, schließlich den Schnabel unter Wasser steckt und dann irgendwann denn doch noch absäuft. Da kann man noch so oft predigen, das Schiff sei unsinkbar. Das glaubt den Herrn Offizieren jetzt eh keiner mehr, und dem Ismay, unserm White Star-Zeus, und seinem Chefkonstrukteur Andrews noch viel weniger. Aber Letzterer bramarbasiert auch schon längst nicht mehr mit der grandiosen Technik, hat das Wort Unsinkbarkeit vom ersten Rums an schon nicht mehr in den Mund genommen. Der Ruf der Titanic ist ruiniert. Den hab‘ ich auf dem Gewissen. Obwohl ich ja eigentlich genau das Gegenteil bewiesen hab, dass nämlich der Pott noch schwimmfähig bleibt, selbst wenn er einen ordentlichen Schlag abgekriegt hat! Auf alle Fälle müssen die zu Tode erschreckten Passagiere ja auch irgendwie wieder aufgerichtet werden, und da wäre letzte Nacht ein zu Hilfe eilendes Schiff wahrhaftig ein Segen gewesen.

      Sicher, hab‘ ich ja nicht mitbekommen, die Panik nach dem Eisbergschlag, da war ich ja schon hier unten weggesperrt. Aber was sich auf dem Flur vor meiner Haftkabine abspielt, das hab‘ ich natürlich registriert. Das Hin- und Hergerenne, das Heulen, das Schreien. Das sind nicht alles nur Schmerzensschreie. Da sind nicht wenige, die schreien gegen ihre Alpträume an! Mein Gott, wie gut wäre es gewesen, wenn wir wenigstens die schwersten Fälle a tempo einem anderen Schiff hätten überantworten können! Aber nichts. Hatte nicht wer anderthalb Stunden nach dem Crash durch den Gang gerufen, man habe am Horizont die Californian ausgemacht?! Aber auch Stunden später, Stunden nach Phillips Havarie-Funksprüchen kreuzt sie nicht auf. Im Gegenteil, ich hab‘ von meinem Bullauge aus mit eigenen Augen gesehn, wie ihre Lichter hinterm Horizont verschwanden. Nicht zu begreifen. Partout nicht zu begreifen, aber genauso passiert.

      Aber jetzt das da vorne, das kann nicht mehr einfach abdrehen, das ist auch nicht nur ein Lichtschimmer am Horizont, das ist ein Schiff mit Schloten und Planken, mit Steven und Gösch, mit nicht zu überhörendem Typhon und vor allem mit Ladekränen und mit Gangways, die man nach dem Andocken rüberschieben kann. Das hier ist die Rettung nach sechzehn СКАЧАТЬ