Название: Transformativer Realismus
Автор: Marc Saxer
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежная публицистика
isbn: 9783801270339
isbn:
Die digitale Automatisierung könnte diese Entwicklung weiter verschärfen. Kommt es tatsächlich zu technologischer Arbeitslosigkeit, wie das John Maynard Keynes befürchtet hatte, verschärft sich das Nachfrageproblem weiter. Ob der Welt tatsächlich die Arbeit ausgeht, oder ob die durch Roboter und Algorithmen ersetzten Arbeitsplätze an anderer Stelle neu entstehen, ist hoch umstritten. Die einen skizzieren düstere Zukunftsszenarien von einer Welt ohne Arbeit. Die anderen entgegnen, die Angst vor dem technologischen Fortschritt sei so alt wie dieser selbst. In der Vergangenheit hätten Automatisierungsschübe langfristig immer zu mehr Beschäftigung geführt. Ob weiter im großen Stil menschliche Arbeit durch Maschinen ersetzt wird, hänge weniger von den neuen technologischen Möglichkeiten ab, sondern eher von politischen und wirtschaftlichen Anreizstrukturen. Wo und wie viele neue Jobs entstehen, entscheide sich durch die Geld-, Steuer- Industrie-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik. Die entscheidenden Stellschrauben blieben demnach in menschlicher Hand. Die Wahrheit könnte in der Mitte liegen: Auch wenn die digitale Ökonomie auf lange Sicht neue Arbeit schaffen sollte, ist wohl kaum zu vermeiden, dass es in der Übergangszeit zu massiven Verwerfungen auf den Arbeitsmärkten kommen kann. Und schon die Befürchtung, den Arbeitsplatz zu verlieren, wirkt sich hemmend auf die Konsumnachfrage aus.
Aber werden diese Stellschrauben zur Linderung der Nachfragekrise überhaupt genutzt? Um die Volkswirtschaften auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu führen, müsste die Nachfrage durch Umverteilung stabilisiert werden. Bislang lassen die Multimilliardäre jedoch keinerlei Willen erkennen, die Volkswirtschaften durch Vermögenseinbußen zu stabilisieren. Sämtliche Versuche, die Finanzmärkte zu regulieren, die Staatsfinanzen durch Vermögenssteuern zu konsolidieren oder die Reallöhne zu steigern, scheitern daher regelmäßig am Veto der Reichen und Mächtigen. Und der Rückbau der Sozialsysteme, die Steuergeschenke für die Reichen und die Zerschlagung der Gewerkschaften gehen unvermindert weiter. Ob eine Biden-Regierung einen Kurswechsel gegen den Willen der Superreichen durchsetzen kann und will, ist offen. Die Chancen dafür stehen denkbar schlecht. Die jahrzehntelange Unterdrückung der Nachfrage zur Stärkung der Angebotsseite hat zu einer beispiellosen Konzentration von Vermögen und Macht an der Spitze der Gesellschaft geführt. Die digitale Automatisierung ersetzt nun Arbeiter durch Maschinen, also Kapital. In der politischen Ökonomie des digitalen Kapitalismus verschieben sich also die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit weiter zuungunsten der Lohnabhängigen. Auch in Deutschland legt ein nüchterner Blick auf diese gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nahe, dass die politischen Schalthebel zur Stabilisierung der Nachfrage ungenutzt bleiben dürften. Die strukturelle Nachfragekrise des Kapitalismus dürfte sich also weiter verschärfen.
Kapitel 3
Die Zugänge zu den neuen Märkten werden beschränkt
Wenn Staat und Bürger nicht genügend Einnahmen haben, bleiben nur drei Möglichkeiten, um die Konsummaschine am Laufen zu halten. Entweder der Staat oder seine Bürger verschulden sich bis über beide Ohren – den ersten Weg sind die Südeuropäer gegangen, den zweiten die Angelsachsen. Oder man zapft die Nachfrage anderer Volkswirtschaften an. Das ist die Strategie der Exportökonomien in Nordeuropa und Ostasien.
Die Suche nach neuen Märkten führt die Exporteure bis in die entlegensten Winkel der Erde. Neue kaufkräftige Kunden finden sich vor allem in den schnell wachsenden Mittelschichten Asiens. Die Attraktivität dieser Märkte hat die billigen Arbeitskosten längst als wichtigstes Motiv der Globalisierung abgelöst.
Aber auch die Strategie, neue Märkte rund um den Globus zu erschließen, stößt nun an ihre Grenzen. Schon seit Längerem deutet sich an, dass die Globalisierung ihren Höhepunkt überschritten haben könnte10. Seit der Finanzkrise 2008 geht es mit dem globalen Handel und grenzüberschreitenden Investitionen nicht mehr so richtig aufwärts. Hinter diesem Trend zur Deglobalisierung stehen handfeste geopolitische Gründe.
Lange hing der Westen der Hoffnung an, Handel werde zu Wandel in Peking führen. China hat jedoch sein Versprechen, den eigenen Markt für Wettbewerber zu öffnen, nicht eingelöst. Pekings merkantilistische Industriepolitik zielt ganz offen auf die Dominanz Chinas in den Hochtechnologien der Zukunft.
Der Technologiewettbewerb verschärft den Hegemoniekonflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China. In Washington besteht ein parteiübergreifender Konsens, die amerikanische von der chinesischen Volkswirtschaft zu entkoppeln, um den Konkurrenten um die globale Vorherrschaft nicht noch weiter zu stärken.
Die Trump-Regierung versuchte daher mit Zöllen, Exportverboten, akademischen Kooperationssperren, Chinas Entwicklung zu verlangsamen. Um die unwilligen Europäer auf Linie zu bringen, wurden sämtliche Machthebel, von Exportkontrollen für Spitzentechnologien bis zur Drohung mit der Aussetzung von Geheimdienstkooperationen, in Bewegung gesetzt. Einen Vorgeschmack darauf, wie groß der amerikanische Druck auf die Verbündeten sein kann, haben die Europäer in der Auseinandersetzung um den Ausschluss des chinesischen Technologiekonzerns Huawei vom Aufbau der 5G-Infrastruktur bekommen. Eine Biden-Regierung dürfte zwar versuchen, das Verhältnis zu den Verbündeten zu reparieren. In der Substanz wird sich aber an dem mit harten Bandagen geführten Konkurrenzkampf mit China wenig ändern.
Die Coronakrise hat nun auch in Europa das Bewusstsein für die Verwundbarkeit globaler Lieferketten geschärft. Auch wenn die Europäer bisher nicht bereit sind, sich von China zu entkoppeln, dürften sie dennoch ihre Lieferketten weiter diversifizieren und Pufferkapazitäten schaffen, um einseitige Abhängigkeiten zu reduzieren und die Volkswirtschaften krisenfester zu machen11.
Die Welt, die aus den Trümmern der Hyperglobalisierung entsteht, könnte in rivalisierende Blöcke zerfallen. Damit ist nicht der Rückfall in die Mentalität des Kalten Krieges mit seinen Eisernen Vorhängen zwischen ideologischen Systemrivalen gemeint. Die Weltwirtschaft wird weiter vernetzt bleiben. Wohl aber könnten sich Volkswirtschaften unter der Führung eines regionalen Hegemons zusammenschließen, um sich unliebsame Konkurrenten durch inkompatible Normen und Standards, Technologieplattformen und Kommunikationssysteme, Marktzugangsschranken und Infrastruktursysteme vom Hals zu halten. Wahrscheinlichstes Ergebnis der Deglobalisierungstendenzen ist nicht der Rückfall in nationalstaatliche Autarkie, sondern die Regionalisierung von Lieferketten und Märkten.
Aber auch geoökonomische Gründe sprechen dafür, dass sich die neuen Absatzmärkte wieder verschließen. In den Schwellenländern führt die Automatisierung zu beschäftigungslosem Wachstum. In den Fabriken, in denen vor einigen Jahrzehnten noch Zehntausende Arbeiter schufteten, stehen heute nur noch Roboter. Bevölkerungsgiganten wie Indien, Bangladesch, Indonesien oder Vietnam sehen sich daher mit der Mammutaufgabe konfrontiert, Millionen neue Jobs für den auf die Arbeitsmärkte strömenden Nachwuchs zu schaffen. Die digitalen Plattformen der Gig Economy, über die Aufträge an unabhängige Freiberufler vergeben werden, verschaffen den gut Ausgebildeten zwar Zugang zu den globalen Dienstleistungsmärkten, doch die Bedingungen dieser Jobs sind schlecht, und in der Summe sind sie bei Weitem nicht genug, um mit dem Bevölkerungswachstum Schritt zu halten.
Die Automatisierung der Produktion in den alten Industrieländern untergräbt zudem rasch den komparativen Kostenvorteil der späten Industrialisierer. Entnervt von langen Lieferketten, lokaler Korruption, politischer Einmischung, Industriespionage und schlechten Produktionsbedingungen haben bereits die ersten Hersteller damit begonnen, ihre Fertigung näher an ihre Heimatmärkte zu verlegen. In den großen Schwellenländern mag die Notwendigkeit, im Markt präsent zu sein, diesen Rückverlagerungstendenzen zwar entgegenstehen. In den kleineren Ländern verliert jedoch die Arbeitskostenersparnis, immerhin das zentrale Motiv des ersten Globalisierungsschubes, im Kalkül der Investoren an Bedeutung.
Umgekehrt verschließen sich die westlichen Absatzmärkte für die exportstarken Schwellenländer. Mit der Aufgabe des Transpazifischen СКАЧАТЬ