Wachtmeister Studer. Friedrich Glauser
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Читать онлайн книгу Wachtmeister Studer - Friedrich Glauser страница 6

Название: Wachtmeister Studer

Автор: Friedrich Glauser

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783843800075

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      Und Liechti grinste unverschämt. Es war nicht schwer zu erraten, was das Grinsen zu bedeuten hatte. Ein Fahnder hatte seine Kompetenzen überschritten und wurde eingeladen, den fälligen Rüffel in Empfang zu nehmen …

      »Leb wohl, Schlumpfli!« sagte Studer. »Mach keine Dummheiten mehr. Soll ich die Sonja grüßen, wenn ich sie seh’? Ja? Also; ich komm dich dann vielleicht einmal besuchen. Leb wohl!«

      Und während Studer durch die langen Gänge des Schlosses schritt, konnte er den Blick nicht los werden und den Blick nicht deuten, mit dem ihm Schlumpf nachgeblickt hatte. Erstaunen lag darin, jawohl, aber hockte nicht auch eine trostlose Verzweiflung auf dem Grunde?

      »Ihr seid …« (Räuspern.) »Ihr seid der Wachtmeister Studer?«

      »Ja.«

      »Nehmt Platz.«

      Der Untersuchungsrichter war klein, mager, gelb. Sein Rock war über den Achseln gepolstert und von lilabrauner Farbe. Zu einem weißen, seidenen Hemd trug er eine kornblumenblaue Krawatte. In den dicken Siegelring war ein Wappen eingraviert – der Ring schien übrigens alt.

      »Wachtmeister Studer, ich möchte Euch sehr höflich fragen, was Ihr Euch eigentlich vorstellt. Wie kommt Ihr dazu, Euch eigenmächtig – ich wiederhole: eigenmächtig! in einen Fall einzumischen, der …«

      Der Untersuchungsrichter stockte und wusste selbst nicht weshalb. Da saß vor ihm ein einfacher Fahnder, ein älterer Mann, an dem nichts Auffälliges war: Hemd mit weichem Kragen, grauer Anzug, der ein wenig aus der Form geraten war, weil der Körper, der darin steckte, dick war. Der Mann hatte ein bleiches, mageres Gesicht, der Schnurrbart bedeckte den Mund, so dass man nicht recht wusste, lächelte der Mann oder war er ernst. Dieser Fahnder also hockte auf seinem Stuhl, die Schenkel gespreizt, die Unterarme auf den Schenkeln und die Hände gefaltet … Der Untersuchungsrichter wusste selbst nicht, warum er plötzlich vom ›Ihr‹ zum ›Sie‹ überging.

      »Sie müssen begreifen, Wachtmeister, es scheint mir, als hätten Sie Ihre Kompetenzen überschritten …« Studer nickte und nickte: natürlich, die Kompetenzen! … »Was hatten Sie für einen Grund, den Eingelieferten, den ordnungsmäßig eingelieferten Schlumpf Erwin noch einmal zu besuchen? Ich will ja gerne zugeben, dass Ihr Besuch höchst opportun gewesen ist – das will aber noch nicht sagen, dass er sich mit dem Kompetenzbereich der Fahndungspolizei gedeckt hat. Denn, Herr Wachtmeister, Sie sind schon lange genug im Dienste, um zu wissen, dass ein fruchtbares Zusammenarbeiten der diversen Instanzen nur dann möglich ist, wenn jede darauf sieht, dass sie sich streng in den Grenzen ihres Kompetenzbereiches hält …«

      Nicht einmal, nein, dreimal das Wort Kompetenz … Studer war im Bild. Das trifft sich günstig, dachte er, das sind die Bösesten nicht, die immer mit der Kompetenz aufrücken. Man muss nur freundlich zu ihnen sein und sie recht ernst nehmen, dann fressen sie einem aus der Hand …

      »Natürlich, Herr Untersuchungsrichter«, sagte Studer, und seine Stimme drückte Sanftmut und Respekt aus, »ich bin mir bewusst, dass ich wahr- und wahrhaftig meine Kompetenzen überschritten habe. Sie stellten ganz richtig fest, dass ich es bei der Einlieferung des Häftlings Schlumpf Erwin hätte bewenden lassen sollen. Und dann – ja, Herr Untersuchungsrichter, der Mensch ist schwach – dann dachte ich, dass der Fall vielleicht doch nicht so klar liege, wie ich es anfangs angenommen hatte. Es könnte möglich sein, dachte ich, dass eine weitere Untersuchung des Falles sich als nötig erweisen würde und dass ich vielleicht mit deren Verfolgung betraut werden könnte, und da wollte ich im Bilde sein …«

      Der Untersuchungsrichter war sichtlich schon versöhnt.

      »Aber, Wachtmeister«, sagte er, »der Fall ist doch ganz klar. Und schließlich, wenn dieser Schlumpf sich auch erhängt hätte, das Malheur wäre nicht groß gewesen – ich wäre eine unangenehme Sache los geworden, und der Staat hätte keine Gerichtskosten zu tragen brauchen …«

      »Gewiss, Herr Untersuchungsrichter. Aber wäre mit dem Tode des Schlumpf wirklich der ganze Fall erledigt gewesen? Denn dass der Schlumpf unschuldig ist, werden auch Sie bald herausfinden.«

      Eigentlich war eine derartige Behauptung eine Frechheit. Aber so ehrerbietig war Studers Stimme, so zwingend heischte sie Bejahung, dass dem Herrn mit dem wappengeschmückten Siegelring nichts anderes übrig blieb, als zustimmend zu nicken.

      Mit braunem Holz waren die Wände des Raumes getäfelt, und da die Läden vor den Fenstern geschlossen waren, schimmerte die Luft wie dunkles Gold.

      »Die Akten des Falles«, sagte der Untersuchungsrichter ein wenig unsicher. »Die Akten des Falles … Ich habe noch nicht recht Zeit gehabt, mich mit ihnen zu beschäftigen … Warten Sie …«

      Rechts von ihm waren fünf Aktenbündel übereinander geschichtet. Das unterste, das dünnste, war das richtige. Auf dem blauen Kartondeckel stand:

      SCHLUMPF ERWIN

       MORD

      »Leider«, sagte Studer und machte ein unschuldiges Gesicht. »Leider hat man in letzter Zeit ziemlich viel von mangelhaft geführten Untersuchungen gehört. Und da wäre es vielleicht besser, wenn man sich auch bei einem so klaren Fall mit den notwendigen Kautelen umgeben würde …«

      Innerlich grinste er: Kommst du mir mit Kompetenz, komm ich dir mit Kautelen.

      Der Untersuchungsrichter nickte. Er hatte eine Hornbrille aus einem Futteral gezogen, sie auf die Nase gesetzt. Jetzt sah er aus wie ein trauriger Filmkomiker.

      »Gewiss, gewiss, Wachtmeister. Sie müssen nur bedenken, es ist meine erste schwere Untersuchung, und da wird mir natürlich Ihre Kompetenz in diesen Angelegenheiten …«

      Weiter kam er nicht. Studer hob abwehrend die Hand.

      Aber der Untersuchungsrichter beachtete die Bewegung nicht. Er hatte zwei Fotografien in der Hand und reichte sie über den Tisch:

      »Aufnahmen des Tatortes …«, sagte er.

      Studer betrachtete die Bilder. Sie waren nicht schlecht, obwohl sie von keinem kriminologisch geschulten Fachmann aufgenommen worden waren. Auf beiden sah man das Unterholz eines Tannenwaldes und auf dem Boden, der mit dürren Nadeln übersät war – die Bilder waren sehr scharf –, lag eine dunkle Gestalt auf dem Bauch. Rechts am kahlen Hinterkopf, schätzungsweise drei Finger breit von der Ohrmuschel, gerade über einem dünnen Haarkranz, der zum Teil den Rockkragen bedeckte, war ein dunkles Loch zu sehen. Es sah ziemlich abstoßend aus. Aber Studer war an solche Bilder gewöhnt. Er fragte nur:

      »Taschen leer?«

      »Warten Sie, ich habe hier den Rapport vom Landjägerkorporal Murmann …«

      »Ah«, unterbrach Studer, »der Murmann ist in Gerzenstein. So, so!«

      »Kennen Sie ihn?«

      »Doch, doch. Ein Kollege. Hab ihn aber schon viele Jahre nicht gesehen. Was schreibt der Murmann?«

      Der Untersuchungsrichter drehte das Blatt um, dann murmelte er halbe Sätze vor sich hin. Studer verstand:

      »… männliche Leiche auf dem Bauche liegend … Einschuss hinter dem rechten Ohr … Kugel СКАЧАТЬ