Die fünf Waldstädte. Paul Keller
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die fünf Waldstädte - Paul Keller страница 4

Название: Die fünf Waldstädte

Автор: Paul Keller

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711517338

isbn:

СКАЧАТЬ niemand ihrer denkt.

      Sie hatte ein so weisses Kleid,

      Doch einen schwarzen Fleck darauf;

      Da steht sie um die Sternenzeit

      Oft aus dem Modergrabe auf

      Und wäscht mit heisser Tränen Flut

      Sich aus dem Kleid den schwarzen Fleck;

      Passt auf, Ihr Leute, Gott ist gut:

      Das Kleid wird weiss, der Fleck geht weg!

      Das war das Gedicht, für das mir unsere gute Fee drüben in Eichenhofen den Kranz schenkte. —

      Es gab Zeiten, wo Heinrich und ich uns sehr vor dem Geistergrund fürchteten. Um die Dämmerzeit wären wir nicht hingegangen, und auch wenn die Nebelmänner zwischen den Erlen hin und herkrochen, wagten wir uns nicht in diese Gegend. Heinrich machte sogar einmal den Vorschlag, den Geistergrund abzusetzen. Was ihm nicht passte, wollte er immer „absetzen“: den Förster, den Geistergrund, die Kreuzottern und die lateinische Grammatik. Es ist aber leider alles bestehen geblieben.

      Unsere Fee hatte im allgemeinen nichts dagegen, wenn wir uns mal etwas fürchteten. Wenn wir sie fragten, ob es Räuber gebe, sagte sie „Ja!“, und wenn wir wissen wollten, ob wohl die Räuber je in unsere Gegend kommen könnten, sagte sie auch „Ja“! Dann bekamen wir allemal knallrote Backen, und unsere Stimmen wurden weniger krähend, als sie sonst waren. —

      Einmal, als wir mit dem Förster zufällig wieder auf freundschaftlichem Fusse lebten, hätten wir ihm gar zu gern eine zahme Dohle abgebettelt, die er in seinem Forsthause hielt. Er machte eine geheimnisvolle Miene und sagte:

      „Die kann ich euch nicht geben. Die ist ein ganz seltsamer Vogel. Ich habe sie auf der Judasweide gefangen. Dort hatte sie ihr Nest. Und sie ist eine verwunschene Prinzessin.“

      Wir Jungen versuchten, ein ungläubiges Gelächter anzuschlagen, aber es klang ganz meckrig, und wir sahen mit Unbehagen auf den Vogel, der plötzlich auf uns zukam, so dass wir einige Schritte zurückwichen. Die Dohle funkelte uns mit ihren Äuglein an, schlug mit den beschnittenen Flügeln und schrie: „Beatrice! „Beatrice!“

      Da sagten wir schnell: „Guten Abend“ und gingen davon. Der Förster kam uns nach.

      „Ich sehe es ja ein, dass ihr die Dohle durchaus haben wollt,“ sagte er; „aber es würde euch nichts nützen, wenn ich sie euch schenkte, denn sie würde euch trotz ihrer beschnittenen Flügel entwischen. Wollt ihr die Dohle haben und behalten, so müsst ihr in die Judasweide abends in der Dämmerung einen Nagel einschlagen. Einer muss den Nagel halten, der andere muss hämmern.“

      Darauf sagten wir, wir hätten es uns überlegt: eigentlich wüssten wir gar nicht recht, was wir mit einer Dohle anfangen sollten. Er, der Förster, brauche eigentlich einen solchen Vogel viel notwendiger als wir.

      Der Förster spuckte auf den Boden, uns gerade dicht vor die Zehen, und sagte: „Wenn ich nicht wüsste, was ihr für mutige und kluge Kerle seid, würde ich denken, ihr fürchtet euch. Aber damit habt ihr recht, dass ich den Vogel notwendig brauche.“

      „Wozu brauchst du ihn denn?“ fragte ich neugierig.

      „Zum Geschichtenerzählen.“

      „Zum Geschichtenerzählen? Ei, wieso?“

      „Hm. Wenn ich abends müde aus dem Walde komme, ziehe ich mir die Stiefel aus, sperre die Hunde aus der Stube hinaus, setze mich in den Lehnstuhl und dann sag’ ich zu der Dohle: Beatrice, leg’ los!“

      „Und — und dann legt sie los?“

      „Legt sie los! Jawohl! Sie erzählt famos. Aber leider bloss lauter Räuber-, Gespenster- und Indianergeschichten. Andere weiss sie nicht. Alles zum Gruseln.“

      Räuber-, Gespenster- und Indianergeschichten! Das hielten Heinrich und ich damals für das Schönste auf der ganzen Welt. Wir hatten uns heimlich solche Bücher geliehen und einige davon gelesen, bis es die Fee erfuhr und uns sagte: sie hätte uns nicht mehr lieb, wenn wir so etwas wieder täten, denn solche Geschichten seien schlecht und dumm und erlogen. Da hatten wir es aus Liebe zur Fee unterlassen. Aber wenn wir nun eine Dohle hätten, die so etwas erzählen könnte, das wäre doch etwas anderes, denn eine Dohle ist doch kein Buch. Und man käme dann auf ehrliche Weise zu interessanten Geschichten.

      „Ja,“ sagte der Förster, „meine Grossmutter hört auch mit zu.“ Des Försters Grossmutter war 92 Jahre alt.

      „Borg’uns einen Hammer und einen Nagel!“ rief Heinrich; „wir gehen jetzt gleich zur Judasweide! Nimm deine Büchse und deinen Hirschfänger und geh mit.“

      „Wäre noch besser,“ meinte der Förster; allein müsst ihr gehen, und morgen abend ist die richtige Zeit; morgen ist Neumond.“ —

      Der nächste Abend war trübe und regnerisch. Den ganzen Tag hatten Heinrich und ich in schrecklicher Aufregung zugebracht. Kein Essen hatte uns geschmeckt, kein Spiel hatte uns gefallen und die Fee hatte uns ein paarmal ganz eigentümlich forschend angesehen. Schwache Augenblicke kamen, wo uns die ganze Sache leid wurde; aber dann dachten wir an die verzauberte Dohle, die Räubergeschichten erzählen konnte, und ein Fieberschauer von Glück, einen solch wundersamen Vogel besitzen, packte uns.

      Am späten Nachmittag holten wir aus dem Handwerkskasten einen Hammer und einen starken Nagel heraus und verbargen beides unter dem welken, abgefallenen Laub eines Kastanienbaumes.

      Als die ersten Lichter angezündet wurden, schauten wir uns starr in die Augen. Unter Heinrichs Wimpern blitzte eine Träne. Aber ich — ich hätte für schöne Geschichten mein Leben hingegeben und fasste ihn an der Hand.

      „Soll ich allein gehen?“ fragte ich.

      „Nein, ich lass’ dich nicht allein gehen,“ sagte er.

      Er war immer ein treuer Freund. Er borgte mir sogar seine Flinte.

      So schlichen wir uns aus dem Hof hinaus und gingen über die Felder. Der Wind jagte grauweisse Wolkenfetzen über den Himmel, und es regnete sacht. Wir kamen nach Ameisenfeld. Die ganze Stadt schlief. Wir gingen an der Wotanseiche vorbei. Sie stöhnte leise im Winde. Durch die Brombeerhecken brachen wir. Heinrich trug den Hammer; ich hatte den Nagel in der Hand wie einen spitzen Dolch. Manchmal war es mir, als ob er glühend heiss sei.

      Wir sprachen beide kein Wort, denn das hatte uns der Förster eingeschärft. Aber das Schweigen machte unsere Herzen noch beklommener.

      Nun tauchte der Geistergrund auf. Die niederen Erlen und Weiden zogen sich am schwarzen Graben entlang, eine hohe Ulme ragte über sie hinweg. Unter ihr sollten der Pilz und die Schlange gesehen worden sein. Und links von ihr, ein Stückchen vom Bachrande weg, war die Judasweide.

      Ich schloss die Augen. Wie ein Wirbel war es in meinem Kopf. Rote Ringe sah ich tanzen, ein brennendes Dorf sah ich, durch das auf schwarzem Ross der tolle Müller ritt. Dicker Schweiss rann mir unterm Hut hervor. Aber vorwärts ging es, immer vorwärts, zuletzt im Trab. Fest hielt ich den Nagel in der Hand. Heinrich strauchelte und fiel hin. Der Hammer entglitt ihm. Er hob ihn auf und packte mich fest am Arm. Unsere Herzen schlugen in rasender Schnelligkeit. Wir gingen immer noch vorwärts.

      Da СКАЧАТЬ