Buddhismus und kindliche Spiritualität. Alexander von Gontard
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Название: Buddhismus und kindliche Spiritualität

Автор: Alexander von Gontard

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783170351615

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СКАЧАТЬ streng von unseren Eltern verboten war. Eines Tages sah ich einen Begräbnisumzug in den Straßen, was in Indien ein öffentliches Ereignis darstellt. Ich sah zum ersten Mal einen toten Menschen nicht in einem Sarg, sondern offen in weißem Leinen eingehüllt auf einem Pferdewagen, gefolgt von trauernden Familienangehörigen. Es war die erste Begegnung mit einem Leichnam. Ich muss ca. sieben Jahre alt gewesen sein und war tief berührt durch die Erkenntnis, dass Menschen irgendwann aufhören zu leben und dass das Leben an sich nicht unendlich ist. Das Bild des Leichnams hinterließ einen intensiven Eindruck, der mich seitdem begleitet.

      Meine eigenen Ausflüge aus unserer beschützten Umgebung ereigneten sich zu einem viel früheren Alter als die von Siddhartha Gautama – und sie hatten eine viel geringere Auswirkung. Siddhartha Gautama war erschüttert und tief berührt über das, was er gesehen hatte, nämlich universelle und unausweichliche Bedingungen des Lebens, die alle Menschen erfahren, nämlich Alter, Krankheit und Tod sowie die Rolle des Mönches als Beispiel für die spirituelle Suche.

      Der große Aufbruch

      Es muss für Siddhartha Gautama extrem schwierig gewesen sein, seine junge Familie zu verlassen. Man kann sich seine inneren Konflikte und seinen Aufruhr gut vorstellen. Wie Schumann (2004) beschreibt, war es Siddhartha Gautama nicht möglich, seinen gerade neugeborenen Sohn anzuschauen oder zu berühren, aus Angst, dass er es dann nicht schaffen würde, zu gehen. Stattdessen floh er um Mitternacht auf seinem Pferd in Begleitung eines treuen Dieners. Seine Frau Yasodhara schlief mit seinem neugeborenen Sohn Rahula in ihren Armen, als er seine junge Familie für immer verließ.

      Heutzutage ist es schwer sich vorzustellen, dass Siddhartha Gautama seinen Sohn tatsächlich Rahula nannte, ein Name der wörtlich »Fessel«, »Zwang«, »Einschränkung«, »Kette« und »Beschränkung« bedeutet – kein schöner Name für ein junges Baby. Man begegnet solchen negativen Projektionen oft in der Psychotherapie oder Familienberatung, gerade wenn Eltern negative Gefühle der Missgunst und Ablehnung gegenüber ihrem eigenen Kind in sich tragen. Diese negativen Projektionen können so ausgeprägt sein, dass selbst junge Kinder mit Namen wie Monster, Tyrann oder Sargnagel benannt werden.

      Siddhartha Gautama muss intensiv gespürt haben, dass ein Familienleben seine spirituelle Berufung behindern würden. Andererseits war das Opfer seiner eigenen jungen Familie gewaltig. Diese Aufgabe wurde im Laufe der Zeit zu einem Ideal der spirituellen Entsagung stilisiert. Allerdings kann man diesen Schritt auch sehr kritisch sehen, wenn er wörtlich befolgt wird, wie Sasson es beschreibt: »Der zukünftige Buddha verlässt seinen neugeborenen Sohn einem abstrakten Ideal zuliebe« (Sasson 2013, S. 2) und schafft dabei ein Rollenmodell für das Verlassen von Kindern. Während Siddhartha Gautama anscheinend keine andere Möglichkeit sah für seinen spirituellen Weg, ist dieses Vorbild der Entsagung der Familie keine Voraussetzung für ein spirituelles Leben. Im Gegenteil, es ist sowohl eine Herausforderung als auch eine wirkliche spirituelle Aufgabe, Kinder aufzuziehen, ihr Wachstum zu begleiten und an dem Wunder ihrer Entwicklung teilzuhaben, wie das Paar Kabat-Zinn es in ihrem beeindruckenden Buch zur Elternschaft beschrieb:

      »Kindererziehung ist eine der anspruchsvollsten, herausforderndsten und belastendsten Aufgaben auf diesem Planeten. Sie ist auch eine der wichtigsten, denn so, wie sie umgesetzt wird, wird zum großen Teil das Herz und die Seele und das Bewusstsein der nächsten Generation beeinflusst …« (Kabat-Zinn und Kabat-Zinn 1997, S. 13).

      In seinem Essay mit dem Titel »Der Buddha und seine dysfunktionale Familie« analysierte Titmuss (2015a) kritisch die Familienbeziehungen von Siddhartha Gautama. Das Erleben von Verlassenwerden, der Verlust seiner Mutter und Konflikte mit seinem Vater können zu einer dysfunktionalen Familiendynamik beigetragen haben, kombiniert mit ambivalenten Gefühlen gegenüber längeren, verbindlichen Beziehungen. Es kann weiterhin spekuliert werden, dass die eigenen Kindheitserfahrungen von Siddhartha Gautama ein Grund für die Vernachlässigung der Themen zur Kindheit in seinem Leben und seinen Lehren sein könnte.

      Wie verlief Siddhartha Gautamas Leben nachdem er sein Zuhause und seine luxuriöse Umgebung als Prinz verlassen hatte? Nach den Berichten von Schumann (2016) schnitt er seine Haare ab und verbrachte die ersten Tage als Wandermönch im Freien, auf der Suche nach einem Lehrer. Sein erster Lehrer war ein Mann namens Alara Kalama, aber er war mit seinen traditionellen Lehren zur Meditation nicht zufrieden. Sein zweiter Lehrer war ein Mann namens Uddaka Ramapotta, aber wieder konnte er die Fragen seiner Suche mit diesem Lehrer nicht zufriedenstellend beantworten. Nach Schumann (2004) dauerten seine Studien mit diesen zwei Lehrern nicht länger als ein Jahr.

      Der nächste Schritt von Siddhartha Gautama war es, sich ganz in den Wald zurückzuziehen. Im Alter von 30 Jahren begann er seine asketischen Übungen. Unter anderem versuchte er das Denken zu verhindern, seinen Atem so lange wie möglich anzuhalten, selbst zur kalten Jahreszeit auf Kleidung zu verzichten, so lange wie möglich aufrecht zu stehen und natürlich nicht zu essen. Seine Hungerversuche waren so extrem, dass er dem Tod nahe war. In dieser Zeit gewann er fünf Anhänger, die seine Askese, seine Disziplin und Härte bewunderten.

      Im Zustand der extremen Kachexie erkannte er, dass Abmagerung, Peinigung und Marterung nicht hilfreich waren, um wirkliche Weisheit zu erlangen. Zu diesem Zeitpunkt begann er wieder zu essen. Es ist interessant, dass er sich gerade dann an seine erste wichtige Kindheitserfahrung der tiefen Absorption erinnerte, als er unter dem Rosenapfelbaum saß, während sein Vater pflügte. Diese Erinnerung war zum Zeitpunkt seiner höchsten körperlichen Auszehrung der Wendepunkt, der ihn zum Leben zurückführte, wie Schumann es erläuterte:

      »Sollte etwa diese Art Kontemplation der Weg zur Erleuchtung sein? Da ein ausgemergelter, sich durch Mangelerscheinungen ständig meldender Körper schlecht zum Träger geistiger Suche taugt, hatte Siddhartha kurz nach der Erinnerung an jenes Jugenderlebnis Askese und Fasten verworfen und war zu einer ausgeglichenen Lebensweise zurückgekehrt« (Schumann 2004, S. 70).

Images

      Abb. 3: Der Buddha in einem ausgemergelten, kachektischen Hungerzustand (British Museum, London). Die Augenhöhlen sind tief eingesunken, die Wangen faltig und Venen treten an der Stirn hervor. Siddharta Gautama war kurz vor seinem Tod, als er sich an sich an die tiefe Versenkung als Kind unter dem Rosenapfelbaum erinnerte und erkannte, dass die Lösung nicht in der Askese liegt, sondern nur im mittleren Weg.

      Kinder spielen nicht nur in Bezug auf die Erinnerung an seine Kindheitserfahrung unter dem Rosenapfelbaum, die von tiefer Ruhe und Meditation geprägt war, eine wichtige Rolle. Nach der Lebensgeschichte des Buddha, wie Thich Nhat Hanh sie so poetisch nacacherzählte, erhielt Siddharta Gautama seine erste Nahrung nach seiner extremen Askese von einem 13-jährigen Mädchen namens Sujata, die ihm eine Schale mit Reismilch reichte und ihn so vor dem Tod rettete. Er war körperlich so geschwächt, dass er bewusstlos zusammengebrochen war:

      »Eine Zeit lang lag er bewusstlos da. Mit einem Mal erschien ein junges Mädchen aus dem Dorf. Die 13-jährige Sujata war von ihrer Mutter mit Reismilch, Kuchen und Lotus-Samen ausgeschickt worden, den Waldgöttern zu opfern. Als sie den Mönch bewusstlos auf der Straße liegen sah und beim Nähertreten bemerkte, dass er kaum noch atmete, kniete sie nieder und führte eine Schale Milch an seine Lippen. Sie wusste, dies war ein Asket, der aus Schwäche in Ohnmacht gefallen war.

      Als die Milchtropfen seine Zunge und seine Kehle befeuchteten, reagierte Siddharta sofort. Er spürte, wie erfrischend die Milch war, und langsam trank er die ganze Schale leer. Nach einigen Atemzügen war er soweit erholt, dass er sich aufsetzen konnte, und er winkte Sujata, ihm noch eine Schale Milch zu reichen. Es war erstaunlich, wie schnell die Milch seine Kräfte wiederherstellte! An diesem Tag entschloss er sich endgültig, seine strenge Askese aufzugeben; in dem kühlen Wald jenseits des Flusses wollte er bleiben und dort üben« (Hanh 1992, S. 102–103).

      So hat ein 13-jähriges Mädchen verhindert, dass Siddharta СКАЧАТЬ