Solange das Herz noch schlägt - Ein Schweden-Krimi. Aino Trosell
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Название: Solange das Herz noch schlägt - Ein Schweden-Krimi

Автор: Aino Trosell

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Siv Dahlin-Reihe

isbn: 9788726344189

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      Ich war so unwissend zu jener Zeit. Blätterte zerstreut in der Morgenzeitung, während ich darauf wartete, dass der Kaffee fertig wurde.

      Jan gefiel diese Sache nicht, er fand, ich sollte die wichtigen Dinge verfolgen, meinte sogar, es sei meine Pflicht. Aber zu dieser frühen Morgenstunde schlief er meist noch, ins Büro ging man ja erst später, und deshalb war ich allein mit den Brautpaaren und konnte mich ungestört meinen Fantasien hingeben.

      Manchmal dachte ich an unsere eigene Hochzeit vor vierundzwanzig Jahren. Wie jung und dumm man damals gewesen war. Heute war man nur noch dumm. Hässlicher, aber genauso dumm. Die Fantasie allerdings trieb immer üppigere Blüten.

      Dort in der Frühe am Küchentisch schrieb ich meine eigenen Romane, genauso wie ich sie mir wünschte, mit viel Liebe, Sehnsucht und Hindernissen, einer Prise Erotik und einem zehn Kilo leichteren Ich. In den Vorstellungen dieser zeitigen Stunden gab es keine Speckwülste, keine Reiterhosen, keine schlaffe oder gar Orangenhaut, keine Krähenfüße oder blaue Schenkelmarmorierung. In der morgendlichen Geborgenheit der Familienanzeigen hat die Hauptperson, also ich, im Lotto gewonnen und für das Geld eine zweimonatige Schönheitskur in irgendeinem Spa absolviert, und im Gedränge eines Busses oder einer Straßenbahn sieht sie zum ersten Mal den Mann, den sie liebt, – er ist Jan erstaunlich ähnlich, obwohl, was die Figur angeht, deutlich dünner, mit mehr Haaren auf dem Kopf und kleineren Tränensäcken unter den Augen.

      Wie unschuldig all das war. Ich verglich mich nicht mit diesen Leuten, ich bin ohnehin nie sonderlich neidisch gewesen. Jan und ich hatten standesamtlich und unter größter Geheimhaltung geheiratet, denn ich war damals schon ziemlich weit mit Åsa, und Jans Familie war wohl nicht sehr erfreut. Meine eigene Familie lag bereits im Pflegeheim, und ein paar Jahre später starb meine Mutter, ohne mir gesagt zu haben, wer mein Vater war. Oder ist. Sie wurde senil, und dann starb sie. Man kann sich für diese Senilität auch entscheiden, jedenfalls glaube ich das. Sie hat mich um meinen Papa geprellt.

      Trotzdem ist schließlich was aus mir geworden. Und Åsa war neunundvierzig Zentimeter lang, als sie geboren wurde. Wog drei Komma zwei Kilo. Willkommen liebste Åsa! Siv und Jan Dahlin. Wir hatten in der Zwischenzeit ja geheiratet. Ich erwog, geb. Johansson zu schreiben, ließ es dann aber. Ich hatte keine Vorfahren in Göteborg, und selbst wenn es so gewesen wäre, hätte es deren Nachkommen wohl kaum interessiert.

      Unser Leben war gut verlaufen. Mühen und Plagen gab es natürlich, aber am Ende wurde alles gut. Åsa war jetzt bereits aus dem Haus und mit Lars verlobt, einem soliden Techniker beim Lokalradio in Jönköping. Sie würde nur ein paar Jahre in der Pflege arbeiten, um die finanzielle Lage zu stabilisieren, und dann mit dem Studium beginnen.

      Ich war zufrieden. Wir waren zufrieden. Jan schnarchte im Bett vor sich hin, draußen klatschte der kohlschwarze, nasse und windige Göteborg-Winter gegen die Scheiben, und drinnen, hinter dem Küchenfenster eines Mietshauses, brannte zu dieser frühen Morgenstunde Licht, und dort saß ich und nippte vorsichtig am heißen Kaffee, träumte vor mich hin und las Begräbnispoesie und alles Gute meinem geliebten Mann zum Vierzigsten!, ja auch Geburtstagsgratulationen lieferten Stoff für Fantasien. Es war nicht mehr lange bis zu Jans Ehrentag, und ich hatte einen Plan. Er schlief dort drinnen den Schlaf des Gerechten. Ich lächelte still vor mich hin, wenn er nur wüsste.

      Zu dieser frühen Stunde war in dem ganzen großen Mietshaus vielleicht nur mein Fenster erleuchtet, kein Rauschen war in den Wasserleitungen zu hören. Heutzutage war es morgens immer völlig still, und das lag nicht etwa daran, dass die Leute aufgrund verschiedener Beförderungen später zur Arbeit gingen.

      Die Geburtsanzeigen streckten einem die zarten Babys entgegen und forderten dazu auf, sich mitzufreuen, die Hochzeitsfotos mit all ihrem Lachen, dem Strahlen und den Küssen luden die Leser zu diesem Riesenglück ein, und in den Todesanzeigen schließlich erklang ein gedämpfter trauriger Orgelton, nachdem Alvar Nilsson, geb. 1924, von uns gegangen war, Ehefrau Hedvig zurücklassend sowie Tochter Solveig nebst Gatten Knut, Tochter Sylva nebst Gatten Esbjörn, Tochter Susanne nebst Gatten Bengt und Tochter Siv (guck an, sie heißt genau wie ich!), Letztere anscheinend unverheiratet. Also Enkelin. Aber keine Urenkel, noch nicht. Vier Töchter. Das war bestimmt lustig. Vielleicht war es aber auch die reinste Hölle. Aber bei vier Mädchen musste doch eine dabei gewesen sein, mit der man sich gut verstanden hat, und es war doch bestimmt das reinste Vergnügen, sich später, im Erwachsenenalter wieder zu treffen, oder? Außer direkt nach dem Tod des Vaters, natürlich.

      Ich war neidisch auf Leute mit Geschwistern, obwohl ich kein neidischer Typ bin. Dafür hast du meine ungeteilte Aufmerksamkeit, hatte Mama gesagt. Ja, denkste! Ungeteilte Aufmerksamkeit, klar, aber nicht von der wärmeren Sorte. Später allerdings fiel es mir leichter, über ihre Kälte hinwegzusehen. Sie hatte schließlich eine Menge um die Ohren. Allein erziehende Mutter, gerade aus der Provinz im Norden in die große Stadt gezogen. Arbeit, Arbeit und ein ständig schlechtes Gewissen meinetwegen. Das Einfachste war es natürlich, sich zu verhärten. Sonst hätte sie sich bestimmt totgeheult, wo ich doch zwischen den verschiedensten Tagesmüttern herumgereicht wurde, bei denen eins auf alle Fälle klar war: Sie betreuten mich nicht um meinetwillen, nicht weil sie mich gern hatten. Sondern um es sich leisten zu können, bei den eigenen Kindern zu Hause zu bleiben. Ich spürte das. Mama spürte es auch. Kannst du nicht auch Tagesmutter werden, bat ich, aber sie sagte, dazu müsse man verheiratet sein. Es sei so schlecht bezahlt, dass sie uns nicht versorgen könnte, und man dürfe ja auch nicht beliebig viele Kinder nehmen. Außerdem wäre das barbarisch.

      Das war damals, bevor man die kommunale Kinderbetreuung ausgebaut hat. Ich war eine Art Pionierin des Weggegebenwerdens. Heute ist das sicher anders. Anders und besser, dachte ich.

      Ich hatte keine Ahnung. Saß da und dachte private Gedanken und las Familienanzeigen. Mein Mann lag noch im Bett und schlief, und ich konnte schon das Tempo des bevorstehenden Tages im Rückenmark spüren. In zwölf Minuten musste ich unten an der Straße stehen, um auf den Bus zu warten, dann würde ich am Bahnhof in die Straßenbahn umsteigen und acht Minuten vor sieben wie gewöhnlich in den Wohnbereich stiefeln. Bereits das erste sekundenrasche Geruchserlebnis würde mich umfassend darüber informieren, wie es um unsere fünfunddreißig Alten stand, an diesem leicht nasskalten, unauffälligen Morgen, von denen es so viele gab.

      Ich bin die Fliege an der Wand, das Muster der Tapete, bin jemand, den man kaum bemerkt, und obwohl ich mich selber für viel zu voluminös halte, kann ich mitten im Geschehen stehen, ohne dass man sonderlich Notiz von mir nimmt.

      Als sich die damalige Leiterin nach einem halben Jahr noch immer nicht an meinen Namen erinnerte, begriff ich – die Fliege an der Wand, das bin ich. Vorsicht vor der Tapete, denn dort sitze ich.

      Meine Gedanken sind oft so skandalös, dass ich das Gefühl habe, sie füllen das ganze Zimmer aus und rauben den anderen jede Energie, doch dem ist nicht so. Ich rede nicht sehr viel. Auch mein Aussehen ist nicht besonders. Ich nehme bloß einen bescheidenen Platz ein und existiere eigentlich nur dem Prinzip nach. Aber ich habe in dieser Eigenschaft nie etwas Positives gesehen, wirklich nicht. Ich will präsent sein, will gesehen werden, will Aufmerksamkeit und Bestätigung, ich habe dieselben Bedürfnisse wie alle anderen, genau wie die Promis im Fernsehen. Hingegen hatte ich nie den Wunsch, mich selbst hervorzuheben. Vielleicht hält man mich für dumm. Wenn dem so ist, dann ist es von mir so gewollt. Schon in der Schule habe ich mir alle Mühe gegeben, nicht allzu gescheit zu wirken, ich war verliebt in einen hübschen, aber nicht sonderlich begabten Jungen, und es kam darauf an, ihm den Vortritt zu lassen, nur dann gab es überhaupt eine Chance für mich. Dennoch schien er der Sache nicht richtig zu trauen, argwöhnisch registrierte er meine bescheidenen Fortschritte, und meine Liebe wurde nie erwidert. Erst als ich als Erwachsene Jan begegnet war, hatte ich es gewagt, mich zu der Person zu bekennen, die ich bin.

      Aber ich blieb unsichtbar. Auch meine Tätigkeiten blieben unsichtbar. Sie wurden nur im negativen Fall bemerkt. Wenn nicht geputzt worden war. Wenn das Essen СКАЧАТЬ