«Das ist ungezogen», sagte Lucy, «Ihr werdet es mögen.»
Das Ding befreite sich selbst. Es lauerte schon länger. Lucy lächelte, als sei es hübsch anzusehen. Sie schloss drei Finger darum, behutsam und linkisch. Chrysander atmete auf. Dieses Bild war bekannt. Die dienstwillige Hand der Hure, das blödsinnig entzückte Ding. Die Hure beugte sich vor, einige rote Strähnen fielen ihr übers Gesicht.
«Möchte der Herr mein Haar bitte halten, bis die Pumpe Wasser gibt?»
Mit beiden Händen fasste Chrysander die Strähnen zusammen. Die Hure befeuchtete gewissenhaft ihre geschminkten Lippen. Sie holte tief Luft, als wolle sie tauchen, und sie lächelte dabei noch immer. «Lucy», sagte Chrysander. Er kannte seine Stimme nicht. Lucy neigte den Kopf. Dann zerbarst die Bretterwand, die den Raum vom nächsten trennte.
Chrysander fuhr zurück. Fast wäre er vom Stuhl gefallen. Lucy setzte sich auf die Fersen und drehte sich langsam um. Krach und Geschrei. Die jungen Stutzer aus dem Salon, zwei brachen durch den Verschlag, der dritte riss die Tür auf, sie johlten und lachten, ein Wirbel aus Haaren und Spitze. Auf der Treppe zeterte die Wirtin. Unten kreischten die Mädchen. Der Saphirblaue hatte Chrysander entwaffnet, bevor er sich überhaupt an seinen Dolch erinnerte. Er stieß Chrysander aufs Bett. Der in Maron gab ihm eine Kopfnuss. Der Saphirblaue schrie, «bei allen Teufeln, Herr Jesuit, sie wähnten sich wohl im heiligen Rom!» Chrysander fand keine Worte. Er wollte aufstehen, der Maronbraune stieß ihn zurück. Lucy saß noch immer auf dem Boden, die Röcke hochgerutscht, das Haar im Gesicht, die Miene schläfrig und leer. «Aufwachen, Mylady», rief der Mann in Lavendel. Lucy hob langsam den Kopf. Der Lavendelfarbene griff ihre Hand und zog sie auf die Füße. Er trug Kleider über dem Arm, eine lange Perücke, schweren goldenen Stoff. Chrysander sprang auf. Der Saphirblaue zog den Degen und hielt die Spitze unter sein Kinn. So stand Chrysander, schwankend, den Bettkasten in den Kniekehlen, halb aufrecht, halb sitzend, und sah zu, was mit Lucy geschah.
Zaghaft, mit unbestimmter Miene, zupfte sie an Stoff und Haar auf dem Arm des Lavendelfarbenen. Sie bekam einen Ärmel zu fassen, zog daran, es war ein Hemd, Lucy sah es an, es gefiel ihr nicht, sie ließ es fallen. Der Lavendelfarbene grinste und hielt artig die Garderobe, als sei er ihr Kammerdiener. Lucy befreite den Goldstoff aus dem Wust. Ein Gehrock, schwer brokatiert, eng an eng bedeckt mit Steinen und Perlen. Lucy zog ihn ungeschickt über. Er passte. Sie strich zweifelnd über die Hügel und Täler der glänzenden Stickerei.
Allmählich erwachte sie. Ihr Gesicht veränderte sich. Die Augen wurden schmäler, der Mund breiter, sie versuchte zu lachen, es misslang. «Prost», murmelte Lucy. Der Maronbraune trug eine Weinflasche. Lucy fingerte eine Weile am Korken, dann schlug sie den Hals an der Stuhllehne ab und trank. Der Wein lief ihr übers Kinn.
«Auf Leviticus 20», schrie der Lavendelfarbene, «wer beim Tiere schläft und beim Knaben, dem faule der Sack ab, spricht der Herr, par bonheur!»
Lucy fasste ihr Haar zusammen und drehte einen Knoten, dann nahm sie die Perücke, beugte sich vornüber, ein Griff in die Stirn, ein Griff in den Nacken, sie richtete sich auf und warf die Locken zurück. Sie fielen in Form. Braunes Haar à la mode, kostbar geölt und gekräuselt. Lucy straffte die Schultern. Ein schmaler Junge in fürstlichem Brokat, groß, sehr blass, voller Sommersprossen. «Ihr Wohl, Mylord», rief der Herr in Maron. «Was nun?», fragte der Lavendelfarbene. «Wein!», plärrte der Saphirblaue, der nicht an die Flasche kam, da er Chrysander vor dem Degen hatte. Man gab ihm den Wein. Er trank. Dann schrie er «vive la sodomie», und kippte Chrysander einen guten Schluck ins Gesicht.
Lucys fadenscheinige gelbe Pantoffeln. Das Kleidchen, ein wenig zu klein, schlichtes Leinentuch unter dem Goldstoff. Chrysander blinzelte. Er saß wieder auf dem Bett. Bin ich schwer zu bestimmen.? Oh nein, es ist einfach. Der Wein brannte in Chrysanders Augen.
«Lasst sein», sagte Lucy, «lasst ihn sein, lasst ihn gehen.»
Die Herren lachten. Lucy hielt ein Paar Hosen und Strümpfe in den Händen, drehte und knautschte sie ratlos. Er sah aus, als wolle er weinen. Er machte einen Schritt zum Bett und hielt inne.
«Ich sagte, Sie sollten fort. Ich will unschuldig sein an allem. Ich bin ...» Lucy verstummte. Dann zerrte er heftig an seinen Strümpfen und flüsterte «Hilfe».
Der Lavendelfarbene ging in die Knie und kleidete ihn an. Knopf um Knopf, Schnalle um Schnalle, Strumpfbänder und Hosenbänder, Schleifen in Ocker und Karmin und doppelte Spangen unter den Knien. Hemd und Weste wollte Lucy nicht haben. Er raffte über den Hosen das Kleid. Der in Maron legte ihm den Degen um. Lucy stopfte weißen Stoff unter das Gehänge. Der Lavendelfarbene half ihm in die Schuhe. Schwarzes Maroquin, Rheinkiesel am Spann, hohe Absätze, korallenrot.
Chrysander auf dem Bett. Lucy neben der Tür. Ihre Blicke trafen sich. Lucys Rock fing das Licht. Sein Hals war nackt und getupft, das Lippenrot verschmiert bis zum Kinn. Die Rosette an seiner Degenscheide schimmerte von Perlen. Über der Wange eine feine Strähne rotes Haar. Unter dem Goldbrokat ein Zipfel vom Hurenkleid. Ein junger Falter, dem noch das Weißzeug des Kokons anhängt, eine stockende, mühsame Verwandlung. Lucy senkte den Kopf. «Un badinage», murmelte er, «bloß badinage, ein dummer Streich, guter Herr ...»
Chrysander sprang auf und ging mit den Fäusten auf die lachenden Herren los, als gelte es, eine zerborstene Welt wieder in Form zu schlagen.
Es bekam ihm nicht. Die Herren zerrten ihn aus dem Zimmer und warfen ihn die Treppe hinab, er fiel über die Wirtin und die Huren. Eine kreischte, ein Zahn war ihr abgebrochen, ein paar Münzen brachten sie zum Schweigen. Die Herren schleppten Chrysander in den Hühnerstall. Sie prügelten und traten ihn, dazu sangen sie, dreistimmig und falsch und französisch. Die Hühner flatterten. Die Herren schlugen zu. Chrysanders Nase blutete, aves, gallinae, rostrum conicum, Federn überall, Gestank und Gegacker, Blut an den Federn und Federn im Blut, dann schleppten sie ihn auf die Straße. Die Nachbarn hingen aus den Fenstern und lachten. Chrysander kämpfte. Es war töricht. Sie stießen ihn hin und her. An der Hauswand, ein wenig abseits, stand Lucy. Sein Rock funkelte im Licht aus den Häusern. Bisweilen sagte er etwas. Das Geschrei war zu laut, es zu hören, und Lucy erhob nicht die Stimme. Er nestelte an seiner Degenschleife. Er zupfte an seinem Ärmel. Dann hielt er sich mit beiden Händen die Augen zu.
«Verflucht sollst du sein», sagte Chrysander. Blut lief ihm übers Kinn und ins Hemd. Der Saphirblaue puffte ihn in den Rücken, immer wieder, erst leicht, dann härter.
«Eine Missgeburt.» Chrysander sprach leise, wie zu sich selbst. «Ein Wechselbalg. Ein Monstrum. Nicht wert das Terpentin, in dem man seine Haut gerbt. Nicht wert eines einzigen Wortes. Es ist ohne Nutzen, es soll sterben und verrotten, wie es hätte verrotten sollen im Mutterleib.»
«Oho!», flötete der Saphirblaue.
«Quel petit insolent!», zirpte der im Lavendelrock.
«Ist dies das rechte Kompliment, Hochwürden», fragte der in Maron, «für unseren Freund Lucius Lawes, den ehrenwerten Earl of Fearnall?»
«So heiße ich.» Das Geschöpf im Goldrock blickte scheu durch seine Finger. «Ich heiße Lucy. Sie hörten nicht, Sir. Ich sagte, ich käme. Ich sagte, Sie sollten fort.»
«Kein Getändel, Mylady», lachte der Herr in Saphir.
«A votre santé», sang der Herr in Lavendel und schlug mit der Weinflasche zu. Chrysanders Kopf traf die Wand. Lucy schrie auf. Chrysander verlor die Besinnung.
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