Das entfesselte Wien. Hugo Bettauer
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Название: Das entfesselte Wien

Автор: Hugo Bettauer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711503027

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СКАЧАТЬ ihm Symbol des Lasters zu sein, in ihren schimmernden Augen schlummerte entfesseltes Mänatentum, Männerhaß, verirrte Gier.

      Der Börsenkrach begann seine verheerende Wirkung auszuüben. Das Tabarin, in das Mautner einen Blick warf, war total leer, auch andere Luxuslokale spärlich besucht. Er brauchte aber Menschen um sich, viele, laute Menschen, die seine Einsamkeit betäuben würden.

      In der Weihburgbar fand er den Trubel, den er suchte. Mit Mühe nur ergatterte er einen kleinen Tisch in dem Lokal, in dem die Jazz-Band eben einen Höllenlärm machte und fast alle Gäste tanzten. Hier tanzten allnächtlich die alten und jungen Tanznarren, hier entschied sich das Schicksal schlanker, blasser, schöner Mädchen, die morgen entweder Kokotten werden oder den Rückweg ins bürgerliche Leben finden würden. Hier tobte sich im Tanz gefesselte Erotik aus, hier sah man Burschen, die schon Zuhältern glichen, alte Lebemänner, die nur mit den jüngsten, kleinsten Mädchen tanzen wollten, fette Bürgerfrauen, die den Tanz als Abmagerungskur betrieben, Damen der großen Gesellschaft, die mit ihren Männern gekommen waren, um einen neugierigen Blick in die halbe Welt da unten zu tun und, von der aufpeitschenden Musik gepackt, plötzlich mittanzten.

      Mautner saß allein da, vornübergebeugt, lauernd, wie ein Raubtier, das sich zum Sprung anschickt. Er wußte, daß er von hier nicht Weggehen durfte, ohne Beute gefunden zu haben. Das Abendessen im Herrenhof, hier die Bargetränke, die er in rascher Reihenfolge nahm, Garderobe, das Geld für die Musik, er würde um ein Uhr nachts wieder mit leeren Taschen auf der Straße stehen. Das durfte nicht sein, er mußte Geld haben, Geld um jeden Preis. Und alles das, was vor wenigen Tagen noch fern von seiner Welt gelegen war, Diebstahl, Raub, Mord, Einbruch, erschien ihm als erlaubt, selbstverständlich, Verteidigung in furchtbarem Kampf.

      Am Tisch nebenan saß eine größere Gesellschaft, Herren und Damen, die tschechisch miteinander sprachen. Ersichtlich Fremde, die Damen geschmacklos und überladen, die Herren klobig und provinziell. Aber sicher reiche Leute, die vielen geleerten Champagnerflaschen, der Schmuck der Damen, das breitspurige Gehaben der Männer ließ das erkennen. Immer, wenn die Jazz-Band zu spielen begann, sprangen die Damen und Herren auf, ließen ihre Täschchen und Zigarettendosen unbeaufsichtigt liegen, warfen sich in den tanzenden Knäuel.

      Stumm und lauernd beobachtete Mautner sie. Plötzlich war sein Entschluß gefaßt. Er rief den Kellner herbei, zahlte, blieb aber dann ruhig sitzen. Jetzt schien der günstige Moment gekommen. Der eine der tschechischen Herren winkte in einer Tanzpause einen Musiker herbei, überreichte ihm eine Banknote mit der Aufforderung, „Schön sind die Mädchen aus Prag“ zu spielen. Kaum intonierte die Musik, als die Gesellschaft auch schon lachend aufsprang und zu tanzen begann. Mautner stand auf, um zu gehen. Mit raschem Blick musterte er den verlassenen Tisch. Ein silbernes Täschchen, ein gestickter Pompadour und ein schmales Krokodilledertäschchen waren auf dem Tisch liegen geblieben. Der Pompadour gehörte der ältesten Dame am Tisch, wahrscheinlich der Gattin des dicken, großen Herrn, der eben dem Musiker die Banknote gegeben hatte. Mautner ging an dem Tisch vorbei, streifte mit dem Taschentuch über ihn, nahm unauffällig den Pompadour mit, stopfte ihn so weit es ging in die Hosentasche. Den heraushängenden Teil deckte das Sakko.

      Gemächlich behob er seine Garderobe, und als er auf der Straße stand, hörte er noch immer den Refrain „Schön sind die Mädeln…“

      Im nahegelegenen Domcafé ließ er sich einen Schwarzen geben, suchte die Toilette auf, prüfte den Inhalt des Pompadours.

      Ein Spitzentuch, Spiegel, Lippenstift, Puderdose aus Gold, ein kleiner Kamm, Handschuhe und eine Damenbrieftasche. Ein wenig nur zitterten ihm die Finger, als er sie öffnete. Auf der einen Seite drei österreichische Hunderttausender und zwei Fünfhunderttausender, auf der anderen Seite zehn tschechische Banknoten zu je hundert Kronen und ein Tausender. Alles in allem etwas über fünf Millionen österreichische Kronen.

      Mautner zuckte unwillkürlich mit den Schultern, verzerrte den Mund zu höhnischem Lächeln. Fünf Millionen — weniger als er vor einigen Wochen noch in einer lustigen Nacht ausgegeben hatte — ein Betrag, der damals für ihn nicht in Betracht kam. Jetzt immerhin genug, um zwei, drei Tage überlegen, vorbereiten zu können.

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