Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Название: Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203697

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СКАЧАТЬ meiner Sehnsucht voraus. Der Fluß trug seltsame Gegenstände vorbei. Am andern Ufer war eine Pferdeschwemme. Es war ein spannendes Schauspiel, wenn dort Rosse ins Wasser geritten oder geführt wurden. Einmal, zweimal trieben dort Leichen an. Noch unheimlicher waren die hohen alten Pappeln an unserem Ufer. Die hohen Pappeln mit ihrem zitternden und schillernden Blättermillionen-Gewoge. Im Sturme neigten sie sich so beängstigend tief hin und her, als drohten sie, jeden Moment auf uns hereinzubrechen. Sie rauschten unsagbar unheimlich in meine einsame Kinderphantasie.

      Wenn der kleine, verwachsene Brotmann zu meinen Eltern kam, erhielt er von uns die angesammelten Knochenreste für den mageren Hund, der sein Wägelchen ziehen half. Vom Fenster aus sahen wir dann zu, wie das Brotmännchen sich auf das Holzgeländer unter die Pappeln setzte und die für seinen Hund bestimmten Knochen erst selber noch einmal gründlich abnagte.

      Wo die Pappelallee endete, stand hinter einem verstachelten Zaun zwischen wucherndem Unkraut ein fahles, totes Haus. Unter uns Kindern war die Überzeugung verbreitet, daß dort Jack hauste. Der berüchtigte Jack, von dem wir sangen:

      Seht einmal, dort sitzt er,

      Jack, der Bauchaufschlitzer.

      Holte sich ein Weibchen,

      Schnitt ihm auf das Leibchen,

      Holt sich Lung' und Leber raus,

      Machte sich ein Frühstück draus.

      Ich habe ein Ölbild gemalt, dem ich den Titel »Am Fluß« gab. Und mein Rowohlt-Buch »Flugzeuggedanken« enthält ein Gedicht: »An der Alten Elster«:

      Wenn die Pappeln an dem Uferhange

      Schrecklich sich im Sturme bogen,

      Hu, wie war mir kleinem Kinde bange! –

      Drohend gelb ist unten Fluß gezogen.

      Jenseits, an der Pferdeschwemme,

      Zog einmal ein Mann mit einer Stange

      Eine Leiche an das Land.

      Meine Butterbemme

      Biß ein Hund mir aus der Hand. –

      O wie war mir bange,

      Als der große Hund plötzlich neben mir stand!

      Längs des steilen Abhangs waren

      Büsche, Höhlen, Übergangsgefahren. –

      Dumme abenteuerliche Spiele ließen

      Mich nach niemand anvertrauten Träumen

      Allzuoft und allzulange

      Schulzeit, Gunst und Förderndes versäumen. –

      Hulewind beugte die Pappelriesen.

      O wie war mir bange!

      Pappeln, Hang und Fluß, wo dieses Kind

      Soviel heimlichstes Erleben hatte,

      Sind nicht mehr. Mir spiegelt dort der glatte

      Asphalt Wolken, wie sie heute sind.

      Beide Arbeiten entstanden 1929, beide entkeimt aus den Erinnerungen an meine Kindheit an der Alten Elster, sechsunddreißig Jahre und länger zurück.

      Unsere Spiele daheim

       Inhaltsverzeichnis

      Man ließ uns viel ohne Aufsicht im Freien. Gott weiß, wo ich mich umhertrieb. Aber ich kam weit herum und sammelte verwundert kleine Erfahrungen.

      Wenn aber das Wetter oder ein Machtwort der Eltern uns zwang, zu Hause zu bleiben, dann waren wir schon selbständig genug, uns miteinander oder einzeln zu beschäftigen. Es gab glücklicherweise damals in solchen Bürgerkreisen noch nicht viel und nicht so vollkommenes Kinderspielzeug wie heute. Das wenige, was der Weihnachtsmann vereint mit Großmama und einem wohlhabenden Onkel uns brachten – etwa ein Tivoli-Spiel, eine Gliederpuppe oder ein Brummkreisel aus Blech – das ging heiter schnell entzwei. Erst das Experimentieren mit den Trümmern schuf wahres, weil schöpferisches Vergnügen. Das Wrack des Tivoli-Spieles fuhr noch herrlich in der Badewanne zur See. Die Gliederpuppe (das ist jetzt pure Lüge von mir, aber es hätte so sein können), also die Gliederpuppe wurde, weil das meiste davon abhanden gekommen war, immer wieder von neuem begraben; mit Zeremonien, die nicht auf Erlebnis basieren konnten. Begräbnisspiel.

      Und in dem Kreisel (das ist nun wieder wirklich wahr), in dem Kreisel, den ich neugierig und mit großer Anstrengung oben geöffnet hatte und der seitdem nicht mehr brummte, kochte ich über einem Spiritusflämmchen: – Petroleum. Wollte wissen, was daraus entstünde. In mir steckte ein alchimistisches Genie, vielleicht von einer weitverzweigten Verwandschaft mit dem Porzellanmacher Böttger her. Der Kreisel erhitzte sich. Ich war im Begriff – – Leider kam meine Mutter hinzu, sah, daß ich dieses chemische Experiment auf dem Fensterbrett unter schön gebauschten Tüllgardinen vornahm. Und verdarb mir die ganze Überraschung.

      Meine Bleisoldaten liebte ich heiß. Besonders die schlichten und die im Kampfe beschädigten, nie die prunkvollen. In den großen Schlachten, die ich aufstellte und aufführte, war ich ernsthaft darauf bedacht, gerecht zu entscheiden. Ich stellte die Parteien im Handgemenge durcheinander. Leicht explodierende Bomben (gebogene Korsettstäbchen aus Fischbein, mit einem Fädchen haardünn gesichert) verteilte ich unter sie, und dann warf ich meine Geschosse (Stanniolkapseln) blindlings von weitem hinein. Derart gerecht war auch meine Kampfübung, in der ich mich persönlich einsetzte. Auf meinem Spieltisch türmte ich hoch und kipplig mehrere Stühle übereinander. Dann stürmte ich mit geschlossenen Augen, wild um mich schlagend und aufheulend, in diesen gefährlichen Aufbau hinein, der über mir zusammenbrach. Aus diesem Feld der Ehre ging ich zwar stets als Sieger hervor, aber ich war stolz, wenn ich eine Beule oder gar eine Schramme davontrug. Und ich wußte, daß ich zum Beispiel mir ein Auge hätte einstoßen können. Ich schien zum Kriegsmann geboren.

      Wie harmlos dagegen waren die Spiele mit Ottilie.

      »Klavierstunde.« Das Klavier war die abgeräumte Marmorplatte eines Waschtisches. Darauf hämmerten wir vierhändig mit unseren Fingern und schmetterten Melodien dazu. Aber das war nur Nebensache. Das Wichtige dabei war die Treppe, die zum Waschtisch führte: alle Stühle, Tisch, Bank, Fußbänkchen in geschwungener Linie dahinführend aufgestellt. Diesen Weg zu beschreiten, war etwas, was uns ergötzte. Warum wohl? Wo lag der Schlüssel zu dieser verrückten Idee?

      Ganz durchsichtig dagegen folgendes, oft stundenlang wiederholtes Spiel:

      Ottilie kauerte unter dem kleinen Tisch. Ich ging auf dem Tisch mit lauten Trampelschritten hin und her. Ottilie klopfte an.

      Ich: »Herein!«

      Ottilie krabbelte unterm Tisch hervor: »Guten Tag, Herr Müller!«

      Ich: »Guten Tag, Frau Meier!«

      Ottilie: »Verzeihen Sie, ich muß mich beschweren über den furchtbaren Lärm.«

      Ich: »Verzeihen Sie, es soll nicht wieder vorkommen.«

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