Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Название: Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203697

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СКАЧАТЬ wie eine Kanone.

      Zum schriftlichen Examen trug ich in den Taschen, in der Unterhose und im Strumpf geheime Zettel zum Abschielen. Ich hatte mir Vokabeln und Zahlen auf die Manschetten und unter den Manschetten auf die nackte Haut geschrieben. Aber ich konnte alles das dann nicht verwerten. Man legte mir ganz andere Fragen vor. Meine Aussichten standen schlecht.

      Das mündliche Examen vollzog sich feierlich im Gehrock und Beisein des Schulrats. Der von Toller begünstigte Primus wurde gefragt: »Wer war Iphigenie auf Tauris?« Er antwortete – eingepaukt und verwechselt – –: »Iphigenie war ein echtes deutsches Biederweib.« – Aber auch ich war höchst aufgeregt und gab die unsinnigsten Antworten, sprach dabei zag und stockend. So daß Oberlehrer Bartels einmal scheinbar sarkastisch, in Wirklichkeit aber in bester Absicht sagte: »Nun, was ist denn Ihnen? Sie sind ja so blaß. Sie pflegen doch sonst so lebendig zu sein.«

      Ich bestand das Examen. Im März 1901. Der Primus fiel durch, was ich als eine Genugtuung empfand. Ich erhielt das Reifezeugnis mit der Berechtigung zum Einjährig-Freiwilligen-Militärdienst. Zu Hause wurde ich strahlend empfangen und gefeiert. Ich muß wohl selbst sehr glücklich gewesen sein und gefeiert haben. Und doch wohl nicht so glücklich, wie man meinen sollte. Denn ich weiß gar nicht mehr, wie sich das äußerte. Und von manchem anderen, ehrlicheren Glücklichsein blieben mir kleinste Details in Erinnerung.

      Mein Schiffsjungentagebuch

       Inhaltsverzeichnis

      Es stand lange bei mir fest: Ich wollte Seemann werden. Mein Vater sträubte sich keinesweg dagegen, sondern holte nur den Rat kluger und sachverständiger Leute ein, ließ mich aber selbst entscheiden. Alle Befragten rieten mir dringend ab, sogar und besonders der Kapitän Onkel Martin. Aber was besagte das einem beseelten Kinderwillen gegenüber.

      Zu dem erfahrenen Weltreisenden Baron Schrenk schickte mich mein verschämter Vater nur, um mich über Sexualgefahren unterrichten zu lassen, worüber Vater nicht zu sprechen wagte. Auch ich nahm Schrenks Ermahnungen überschüchtern entgegen. – Vaters Zeit, meine Jugend.

      Und ich ging zur See.

      Während meiner ersten Reise als Schiffsjunge habe ich täglich Tagebuch geführt. Das Aufgeschriebene veröffentlichte ich später (1911) als Buch in einem Münchner Verlag. Der Verlag ist längst erloschen, das Buch nicht mehr im Handel. Deshalb schreibe ich es nachfolgend ab, wobei ich den Stil meiner Schriftstellerei von 1911 absichtlich beibehalten habe. Dagegen habe ich einiges fortgelassen und einiges hinzugefügt. Nur weniges änderte ich im Ausdruck. Es bleibt mein Tagebuch von 1911, gewidmet »Dem Kapitän Martin Engelhart«.

      1. Kapitel: »Elli« ahoi!

       Inhaltsverzeichnis

      Ich will da anfangen, wo ich meinem Vater noch einmal gute Nacht wünschte und wir beide uns über den Bettrand bogen, um einen Händedruck auszutauschen, der von Seiten meines Vaters wohl bedeutete: werde ein tüchtiger und glücklicher Mensch, und bei dem ich ihm ohne Worte die Versicherung gab, daß er sich nicht um mich zu sorgen brauche. Das war am Abend des 3. April 1901 in einem Hotelzimmer am Hamburger Hafen. Der Heuerbas Kerner, der mir für 400 Mark eine seemännische Ausrüstung geliefert und sich verpflichtet hatte, mich am nächsten Tage auf einem großen eisernen Segelschiff als Schiffsjungen unterzubringen, hatte uns im besagten Hotel einquartiert, und wir schienen gut dort aufgehoben. Wir waren morgens aus Leipzig angekommen und hatten gleich den Heuerbas aufgesucht.

      Dieser Mann, der mir den Weg in die weite Welt zeigen sollte, war von kleiner, untersetzter Gestalt, hatte ein rundbackiges Gesicht, unstete Augen und kleine fette Hände. Er trug eine blaue Schirmmütze und hielt beständig eine Zigarre zwischen den Lippen, und zwar immer in der Mitte des Mundes, was ihm einen gewissen Ausdruck von Dummheit verlieh. Herr Kerner hatte einen kleinen Laden direkt am Hafen in einer Straße, die sich Stubbenhuk nannte. Er verkaufte Herrenkonfektionssachen vom Kragenknopf an bis zu ganzen Anzügen, aber weniger für gentlemen als für Arbeiter und besonders Seeleute; blaue Hemden und Blusen, blaue Mützen und blaue Tücher. Blau war die dort herrschende Farbe. In einer Ecke standen übereinander fünf oder sechs längliche gelbe Kisten, die wie Särge aussahen und die Kerner Seekisten nannte. Drei Stufen führten ins Hinterzimmer, einen kleinen Raum, der, wie ein dort stehender Schreibtisch verriet, als Kontor diente. Da oben wie unten hohe Regale mit aufgestapelten Kartons an den Wänden angebracht waren und unten auch noch ein langer Ladentisch stand, blieb nur noch ein schmaler Gang übrig, in dem sich beständig blaugekleidete Menschen herumdrückten.

      Kerner empfing uns mit großem Eifer und erklärte gleich meinem Vater, daß mein Schiff leider in Le Havre bliebe und er mich nun erst mit anderen erfahrenen Seeleuten zusammen nach dort bringen ließe, wodurch er den vereinbarten Preis von 400 auf 450 Mark erhöhen müsse und dabei doch noch etwas einbüße. Er wußte meinem Vater jede Besorgnis auszureden und begann nun die für mich bestimmten Ausrüstungsgegenstände aufzuzählen, indem er sie, der Reihenfolge seines Prospektes entsprechend, auf dem Ladentisch ausbreitete. Ich sah mit großem Interesse zu. Da war zunächst ein Monkey-Jackett, eine dicke blaue Jacke mit Sammetkragen, die bei Seeleuten den Überzieher ersetzt, ferner ein Anzug mit zwei Reihen Knöpfen und eine Schirmmütze, wie sie Kerner selbst trug. Dann kamen in viertel oder halben Dutzenden wollene und leichtere Hemden, Unterzeug, bunte Taschentücher, Strümpfe und die mich hierauf am meisten interessierenden seemännischen Sachen, als ein Ölzeug mit Südwester, ein Paar Fausthandschuhe im Winter am Ruder zu tragen, ein paar Arbeitsjumper, ein Paket Tabak, Tabakspfeife, Streichhölzer, Soda, Seife und zuletzt ein dolchartiges Messer mit Scheide und Riemen. Das schien mir das Wertvollste an der ganzen Ausrüstung. Meine achtzehnjährige Phantasie malte sich dabei abenteuerliche, wilde Szenen an fernen Küsten aus, wo dieses Messer eine Hauptrolle spielte. Zum Schluß schleppte Kerner einen der gelben Särge herbei, packte alle diese Sachen hinein und deutete auf eine blau-weiß gestreifte Matratze, welche, um ein gleichfarbiges Keilkissen gewickelt, einer Riesenroulade gleich in einer Ecke stand. »Das ist deine Ausrüstung«, sagte er durch eine Handbewegung.

      Sie schien in der Tat sowohl mir als auch meinem Vater eine sehr willkommene und preiswerte zu sein.

      Es wurde nun verabredet, daß mein Vater noch einen Tag in Hamburg bleiben würde. Nach seiner Abreise sollte ich unter Kerners Aufsicht und auf seine Kosten so lange im Hotel wohnen, bis der Dampfer nach Le Havre abginge, der mich und einige meiner zukünftigen Kollegen bzw. Vorgesetzten zu dem großen eisernen Vollschiff »Elli« bringen würde.

      Der letzte Tag des Zusammenseins mit meinem Papa war überaus freundlich verlaufen. Mein Vater hatte mir viel herzliche Wünsche und gute Ratschläge ans Herz gelegt, die am Abend in dem Moment, mit dem meine Erzählung begann, durch jenen Händedruck nochmals bekräftigt wurden. Wir schliefen gleich darauf ein oder waren wenigstens still. Es mag sein, daß mein rührend guter Vater in Gedanken an die Zukunft seines Jüngsten nicht gleich Schlaf fand. Ich jedenfalls konnte noch lange nicht einschlafen.

      Die bald dumpfen, bald kreischenden Stimmen der Nebelhörner und Pfeifensignale, welche die Nacht durchzogen, waren eine neue, reizvolle Musik für mich, die in meinem unerfahrenen Gemüt ein berauschendes Gefühl, ein Ahnen von dem großen Treiben der Welt erzeugte.

      Am andern Morgen brachte ich meinen Vater zur Bahn.

      Das Schwere des Abschieds, das ich empfand, machte – wie gewöhnlich in solchem Alter – bald dem glücklichen Empfinden Platz, zum erstenmal ganz frei und auf sich selbst angewiesen zu sein.

      Als ich bei Kerner vorsprach, empfing СКАЧАТЬ