Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte. Martin Luther
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      »Kann ich mit dir fahren, Harro, o bitte!«

      »Wenn man dich mir anvertraut. Ich glaube übrigens, Vater hat mir scharf genug auf die Hände gesehen.«

      Es wird genehmigt, nicht ohne daß man es dem Fürsten ansieht, daß er mit dieser Heimfahrt neben seiner Gemahlin ein Opfer bringt.

      Ach, wenn sie nur länger währte, die herrliche Fahrt. Durch den goldenen Abend, die feurigen Pferde vor sich, die Harro so sicher lenkt, geborgen, hoch über den Erdendingen, beschützt vor lauerndem Haß.

      »Fahren ist schön,« sagt Rosmarie. »Ich wußte es gar nicht. Aber nur, wenn man da oben frei sitzen kann.

      Sieh, wie der Himmel blüht mit Rosen, und dort der Fluß ein goldenes Band, und der sanfte Wälderschatten! Ach und sieh dort den Parkrand nach der Bergwiese zu, wie geheimnisvoll der Übergang zum Dunkel ...

      Oh, wie ist das Leben schön, Liebster. Und die Heimat. Und ich möchte nicht sterben. Ich möchte leben mit dir, bis wir ganz alt und weiß geworden sind!«

      »Wer redet vom Sterben, Holdseligste, das ist nur, weil du noch nicht recht an das Glück glauben kannst und meinst, es werde dir plötzlich wieder aus der Hand gerissen. Nein, da habe ich doch mehr Zuversicht. Sieh, wie das Fenster glänzt im roten Turm, wie ein kleines rotes Feuer!«

      »Es ist sein Auge. Er sieht so weit übers Land. Er hat schon so viele gesehen von uns, die da geritten und gefahren sind, und sieht sie nicht mehr. Wie Schatten sind sie vorüber gezogen.«

      »Wenn sie nur auch ihren goldenen Tag gehabt haben wie wir heute, Liebste.«

      Wer die Fürstin an jenem Abend sah, der mochte wohl erschrocken sein, so scharf und unnatürlich standen die Farben auf ihrem Gesicht. Das ewig gleiche umzirkelte Rot und das gefällige Weiß, und die unruhigen flackernden Augen.

      Dem Fürsten, der ja nicht Harros Maleraugen hat, fällt doch etwas auf und auch ihre seltsam sprunghafte Lebendigkeit.

      Rosmarie spricht fast kein Wort bei dem einsamen Mahl. Von Harro hatte man sich an der Schloßpforte verabschiedet. Rosmarie hatte ihm zugeflüstert: »Geh, Harro – auf morgen!«

      Und so war er fortgefahren, zum größten Erstaunen des Fürsten. Sollten die zwei schon etwas miteinander haben?

      Harro schien ihm selbst ja ein wenig verstimmt. Und hatte doch wahrhaftig keinen Grund. Nicht einmal die Fürstin war ungnädig gewesen. Aber Rosmarie zu fragen ging nicht an. Verliebte haben ja so häufig Differenzen, wenn alle Gefühle so gesteigert sind. Noch hätte er Rosmarie gerne allein gehabt, aber die Fürstin klebte förmlich an ihm, und Rosmarie sah mit einem Male so erschreckend müde aus, daß er sie schnell zu Bett schickte. Bis sie zum Zimmer hinaus war, sie hatte sich nur stumm von ihrer Mutter verabschiedet, hingen die Augen der Fürstin an ihr, und erst dann verlor der Diamantstern auf ihrer Brust sein siebenfaches Leuchten und Zittern.

      Rosmarie hatte geschwiegen. Hielt sie mit ihrer Rache zurück, oder wollte sie diesen geheimen Vorteil über sie behalten? Aber dann hätte sie wenigstens gestehen können, daß sie verletzt war.

      Die Fürstin ist plötzlich auch müde und erklärt, daß es eine große Befriedigung sei, daß wenigstens dieser Tag vorüber. Das Langweiligste auf Erden, ein Brautpaar!

      Dann geht auch sie. Dort, wo früher die Tür zum Gang war, steht jetzt ein hohes Zierschränkchen von Messing und Kristall. Die Fürstin trat vor den dreifachen Spiegel, eigentlich drei Spiegelwände, die ihre Gestalt von vorne und im Profil zeigten, und erschrak.

      War sie denn das wirklich? Die Farbe saß ja falsch, entsetzlich falsch. – Warum hatte sie das nicht zuvor gesehen? Hat Denise es wirklich gewagt, sie so lächerlich zu machen? Ihre Hand, die schon nach der Klingel gegriffen, sank zurück.

      Nein, nicht diese Person mehr sehen heute!

      Schrecklich, wie das Spiegelbild die Bewegung ihr zeigte –

      War sie denn das, – die Unheimliche dort? –

      »War ich denn immer so: war ich nicht einmal schön und weich...

      Alles, was ich nur ersehnt hätte, das trägt sie vor meinen Augen davon. Und nun habe ich mich, nur weil sie mich reizte, so unsäglich reizte, in einer Sekunde in ihre Hand gegeben...

      Daß ich schwieg, das sieht nicht gut aus. Ich hätte eine große Szene machen müssen, abstreiten...

      O Gott, was habe ich in diesem Haus schon alles ausgestanden! Es muß ein verfluchtes Haus sein. Und es wird immer fürchterlicher, das Haus. Es verändert die Menschen und macht sie schrecklich. Oh, hätte ich's nie gesehen!

      Und diese Rosmarie ist mein böser Dämon.«

      Die Fürstin zerrt mit ungeduldigen Händen an ihrer Spitzentaille, sie muß dieser Kammerfrau doch läuten.

      »Wenn sie nur mit den Augen lächelt, so schicke ich sie fort.«

      Aber die Französin mit den kunstvoll aufgetürmten Haaren, der Wespentaille und den hohen Stöckelschuhen kam so unschuldig, das heißt, so unschuldig wie die Denise Dubourg eben aussehen kann, herein.

      Und die Fürstin, die sich eigentlich vor diesem Faktotum fast ein wenig fürchtet, läßt sie gewähren.

      Bald haben die geschickten Hände sie ihrer Pracht entledigt, sie läßt sich ein weites Négligé überwerfen und alle Flammen bis auf die neben ihrem Bett ausdrehen. Dann versinkt sie in den tiefen Stuhl neben ihrem Bett.

      Läuft da nicht ein ferner Lichtschimmer am Horizont? Es wetterleuchtet. Nun, dann kann sie sich auf eine schlaflose Nacht gefaßt machen. Die Braunecker Gewitter! Wie sie die haßt! All der böse Braunecker Zauber faßt sich darin zusammen. An Schlafen ist nun nicht zu denken. Sie starrt vor sich hin und zuckt zusammen. Zwei schneeweiße Arme, über die ein dunkelrotes Band läuft, sieht sie vor sich.

      Sie geht im Zimmer auf und ab. Die Spiegelwände zeigen ihre Gestalt ... ihre gehetzten Augen, ihre zuckenden Lippen. Ruhelos wie ein Geist geht sie und ihr Bild wandert mit ihr. Nie wieder wird die blanke Fläche das verlorene Antlitz wieder spiegeln.

      »Ich muß mich fürchten ... Vor dieser Rosmarie fürchten! Hat sie es dem Thorsteiner gesagt? Nein, sie tat es nicht. Er küßte mir die Hand, als er ging ... Er hätte es doch nicht getan, er hat einen steifen Nacken.

      Sie wird es morgen tun. Ich muß sie fürchten, die Rosmarie. Ich werde es an seinen Augen sehen.

      Wie er sie ansieht! Nie hat mich ein Mensch so angesehen. Wenn er gewollt hätte ... Habe ich nicht auch das Recht auf Liebe und Genuß wie all die andern? Ewig eingeschnürt in alte, steife Formen, in Geisterhäusern, zwischen Wänden, die sich plötzlich öffnen, leben müssen ... Einen Skandal. Oh, sie hätten schon gesorgt, daß es keinen gibt – diese Braunecker mit ihrem Familiengötzen. Einmal hätte ich doch gelebt ... Und nun das mit ansehen müssen ... Tag für Tag. Daß ich so unglücklich werden mußte! Und dabei gibt's Menschen, die einen beneiden! Soll ich allein zum Leiden auf der Welt sein? Und für die andern alle Freuden?

      Wir wollen teilen, Rosmarie, wir wollen teilen!«

      Und der Spiegel, an dem sie eben vorüber eilt, zeigt ein Bild so schlimm, wie es die Räume noch nicht oft gesehen haben. Sie ständen sonst nicht mehr. СКАЧАТЬ