Название: Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte
Автор: Martin Luther
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9788027223305
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»Und auch ein Bekannter von dir – hm?«
»Ein alter Freund von mir,« versetzte der Enkel, »kein so alter wie Mr. Hobbs, aber wir kennen uns auch schon sehr lange. Gerade ehe das Schiff abgefahren ist, brachte er mir ein Geschenk,« dabei zog er einen sorgfältig zusammengelegten Gegenstand aus der Tasche und entfaltete mit zärtlichem Stolze das pompöse rotseidene Tuch mit den geschmackvollen Hufeisen.
»Das hat er mir gegeben, das soll ich immer tragen. Man kann's als Halstuch benutzen oder auch als Taschentuch. Er hat's von dem ersten Gelde gekauft, das er verdient hat, nachdem Jack ausbezahlt war und er die neuen Bürsten von mir bekommen hatte – 's ist ein Andenken. In die Uhr für Mr. Hobbs hab ich einen Vers schreiben lassen: ›Die Uhr, sie spricht: Vergiß mich nicht,‹ und ich werde Dick auch nicht vergessen; so oft ich das Tuch sehe, werde ich an ihn denken.«
Die Empfindungen Seiner Herrlichkeit des Grafen Dorincourt waren nicht leicht zu schildern. Ein gut Stück Welt und Menschen aller Art hatte er gesehen und war eben nicht leicht zu verblüffen; aber hier trat ihm etwas so Neues und Unerhörtes entgegen, daß es ihm fast den Atem benahm und die merkwürdigste Erregung in dem alten Edelmanne hervorrief. Er hatte sich nie mit Kindern beschäftigt; seine Passionen und Vergnügungen hatten ihm dazu nie Muße gelassen, und seine eignen Jungen waren ihm nie sehr interessant gewesen – höchstens erinnerte er sich dunkel, daß Cedriks Vater ein hübscher, kräftiger Knabe gewesen war. Im allgemeinen war ihm ein Kind immer wie ein höchst lästiges kleines Tier vorgekommen, gefräßig, egoistisch und lärmend, wenn man es nicht in strenger Zucht hielt. Seine beiden Aeltesten hatten ihren Erziehern und Lehrern stets Grund zu Klagen und Verdruß gegeben, und von dem Jüngsten glaubte er nur deswegen weniger Schlimmes gehört zu haben, weil derselbe als solcher für keinen Menschen von Bedeutung war. Daß er seinen Enkel lieb gewinnen könnte, war ihm nie in den Sinn gekommen – er hatte ihn in sein Haus bringen lassen, weil er seinen Namen dereinst nicht durch einen unerzogenen Lümmel wollte lächerlich machen lassen und er überzeugt war, daß der Junge in Amerika nur ein Halbnarr oder ein clownartiges Geschöpf werden konnte. Er hatte an seinen Söhnen so viel Demütigungen erlebt und war über Kapitän Errols amerikanische Heirat so entrüstet, daß er etwas Erfreuliches bei seiner Nachkommenschaft nicht mehr vermutete, und als der Diener ihm Lord Fauntleroy gemeldet, hatte er sich fast gefürchtet, den Jungen anzusehen. Das war auch der Grund, weshalb er ihn hatte allein sehen wollen; seinem Stolz war der Gedanke eines Zeugen seiner Enttäuschung unerträglich. Aber selbst in den Stunden, wo er mit mehr Hoffnung in die Zukunft geblickt, hatte er sich nie träumen lassen, daß sein Enkel so aussehen könnte, wie die entzückende Kindergestalt, die, das Händchen auf dem Kopfe seines etwas gefährlichen Lieblings, so zuversichtlich und vertrauensvoll vor ihn trat. Diese Ueberraschung brachte den harten alten Mann schier um seine Fassung.
Und dann begann ihre Unterhaltung, in deren Verlauf sein Erstaunen sich mehr und mehr steigerte. Erstens einmal war er seiner Lebtage gewöhnt, die Leute in seiner Gegenwart scheu und verlegen zu sehen, und hatte deshalb von seinem Enkel auch nichts andres erwartet; statt dessen sah der kleine Junge in ihm offenbar nichts als einen Freund, dessen Liebe ihm von Gott und Rechts wegen gehörte, und behandelte ihn als solchen. Wie der kleine Bursche so dasaß in dem großen Stuhle und mit seiner weichen Stimme herzlich und fröhlich plauderte, ward es ihm ganz klar, daß der Gedanke, der große, grimmig dreinschauende alte Mann könnte ihn nicht lieb haben oder sich nicht freuen, ihn bei sich zu sehen, nie in des Kindes Sinn gekommen war, und daß Cedrik seinerseits ebenso kindlich und zuversichtlich bestrebt war, dem Großvater zu gefallen. Hart, grausam und hochfahrend, wie der alte Graf war, konnte er sich doch einer heimlichen Freude bei dieser neuen Empfindung nicht entschlagen und fand es, bei Lichte besehen, recht angenehm, einmal jemand zu begegnen, der ihm nicht mißtraute, nicht vor ihm zurückschreckte und die schlimmen Seiten seiner Natur nicht ahnte, jemand, der ihn mit hellen Augen vertrauensvoll ansah – und wär's auch nur ein kleiner Junge in einem schwarzen Samtanzuge!
So lehnte sich der alte Mann behaglich in seinen Stuhl zurück und ermunterte seinen jungen Gefährten zum Plaudern, wobei es immer seltsam um seine Mundwinkel zuckte. Lord Fauntleroy entfaltete sein ganzes Konversationstalent und schwatzte unbefangen und vertraulich; die ganze Geschichte von Dick und Jack, die Verhältnisse der Apfelfrau aus altem Geschlecht und seine Freundschaft mit Mr. Hobbs wurden dem Großvater anvertraut, woran sich dann eine begeisterte Schilderung des republikanischen Wahltriumphes in all seiner Pracht und Herrlichkeit samt Bannern, Transparenten, Fackeln und Raketen anschloß. Schließlich kam er auch auf den 4. Juli zu sprechen und geriet in große Ekstase, bis ihm plötzlich etwas in den Sinn kam und er unvermittelt abbrach.
»Nun, was gibt's?« fragte der Großvater. »Weshalb sprichst du nicht weiter?«
Lord Fauntleroy rückte verlegen auf seinem Stuhle hin und her.
»Es fiel mir eben ein, daß du das vielleicht nicht gerne hörst,« erwiderte er. »Vielleicht ist einer von deinen Angehörigen dabei gewesen. Ich habe gar nicht daran gedacht, daß du ein Engländer bist.«
»Sprich nur ruhig weiter,« sagte Mylord. »Ich habe keine persönlichen Beziehungen zu der Sache. Du hast wohl auch vergessen, daß du ein Engländer bist.«
»O nein,« fiel ihm Cedrik rasch ins Wort, »ich bin ein Amerikaner.«
»Du bist ein Engländer,« erklärte der alte Herr kurz. »Dein Vater war ein Engländer.«
Die Sache war ihm ziemlich spaßhaft. Cedrik dagegen nahm es sehr ernst. Auf eine solche Auffassung der Dinge war er nicht vorbereitet gewesen, und sein Gesichtchen ward dunkelrot.
»Ich bin in Amerika geboren,« protestierte er, »und wenn man in Amerika geboren ist, muß man ein Amerikaner sein. Es thut mir leid, daß ich dir widersprechen muß,« setzte er artig und rücksichtsvoll hinzu. »Mr. Hobbs hat mir gesagt, daß, wenn wieder einmal ein Krieg käme, ich ein Amerikaner sein müßte.«
Der Graf stieß ein kurzes Lachen aus, es klang hart und grimmig, aber es war doch ein Lachen.
»Und das würdest du thun?« sagte er.
Er haßte Amerika und die Amerikaner, aber der ernsthafte eifrige Patriotismus des kleinen Mannes ergötzte ihn, und er sagte sich, daß aus diesem guten Amerikaner seiner Zeit ein guter Engländer werden könne.
Weitere Vertiefung in die Politik ward durch die Meldung, daß aufgetragen sei, abgeschnitten. Cedrik erhob sich sofort und ging zum Großvater hin, mit einem bedenklichen Blick auf dessen gichtisches Bein.
»Soll ich dir helfen?« fragte er freundlich. »Du kannst dich auf mich stützen, weißt du. Einmal hat Mr. Hobbs einen schlimmen Fuß gehabt, weil ihm ein Kartoffelsack darauf gefallen war, da hab' ich ihn immer geführt.«
Der feierliche Diener hätte fast seine Stellung und seinen Ruf durch ein unziemliches Lächeln aufs Spiel gesetzt. Es war ein sehr vornehmer Diener, der immer nur in aristokratischen Diensten gestanden hatte und sich vollständig entwürdigt und entehrt gefühlt haben würde, wenn er sich etwas so Unverzeihliches gestattet hätte, wie ein Lächeln in Gegenwart der Herrschaft. Diesmal aber war die Gefahr groß gewesen, und er konnte sich nur dadurch retten, daß er über seines Herrn Schulter hinweg unverwandt auf ein besonders häßliches Bild hinstarrte.
Der Graf maß den ritterlichen kleinen Knirps von Enkel vom Kopf bis zu den Füßen.
»Meinst du, daß du das könntest?« fragte er rauh.
»Ich glaube ja,« erwiderte Cedrik. »Ich bin sehr stark, weißt du, bin auch schon sieben. Du kannst dich auf einer Seite auf deinen Stock stützen und auf der andern auf mich. Dick sagt, daß ich gute Muskeln habe für einen Jungen von sieben.«
Er СКАЧАТЬ