Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte. Martin Luther
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СКАЧАТЬ bin ich immer am glücklichsten gewesen, fast am glücklichsten, und ich hoffe, Sie besuchen mich einmal. Mein Großpapa würde sich ganz gewiß furchtbar freuen; vielleicht schreibt er Ihnen selbst und ladet Sie ein, wenn ich ihm alles erzähle. Und – und nicht wahr, Sie würden dann nicht daran denken, daß er ein Graf ist? Ich meine, Sie würden deshalb doch kommen, wenn er Ihnen schreibt?«

      »Ich würde dir zuliebe kommen,« erklärte Mr. Hobbs huldvoll, und damit war zugestanden, daß er im Falle einer dringenden Einladung von seiten des Grafen seine republikanischen Vorurteile überwinden, sein Bündel schnüren und ein paar Monate auf Schloß Dorincourt zubringen würde.

      Endlich waren alle Vorbereitungen abgethan. Der Tag erschien, an dem die Koffer an Bord geschafft wurden, und die Stunde, da der Wagen vor der Hausthür hielt. Ein seltsames Gefühl von Einsamkeit und Verlassenheit überkam dann den kleinen Jungen. Die Mutter hatte sich ein paar Stunden in ihrem Zimmer eingeschlossen gehabt, und als sie nachher die Treppe herabkam, waren ihre Augen naß und ihr lieblicher Mund bebte seltsam. Cedrik eilte ihr entgegen, sie beugte sich zu ihm nieder, und er schlang seine Aermchen um ihren Hals und küßte sie. Was es war, wußte er nicht recht, aber er fühlte, daß sie beide traurig waren, und unwillkürlich kam's ihm auf die Lippen: »Gelt, Herzlieb, wir haben unser kleines Haus lieb gehabt? Und wir werden's immer lieb behalten?«

      »Ja, ja,« versetzte sie mit leiser Stimme. »Ja, mein Herzenskind.«

      Und dann stiegen sie in den Wagen und Ceddie setzte sich ganz nahe zu seiner Mama, sah sie unverwandt an, hielt ihre Hand fest und streichelte sie ganz leise, indes sie nach dem verödeten Hause zurückblickte.

      Unglaublich kurze Zeit darauf befanden sie sich auf dem Dampfer, mitten im wildesten Lärm und Getriebe. Wagen fuhren an und setzten Passagiere ab, Reisende gerieten in Verzweiflung über ihr Gepäck, das noch nicht da war und möglicherweise zu spät kam, Reisekoffer und Kisten wurden hin und her gezerrt und geschleppt, Matrosen rollten Taue auf und eilten ab und zu, Befehle wurden erteilt, Damen und Herren, Kinder und Kinderfrauen kamen an Bord, die einen lachend und fröhlich, die andern still und gedrückt, einzelne mit Thränen in den Augen. Ueberall entdeckte Cedrik etwas Interessantes; die Berge von Tauen, die aufgerollten Segel, die in den blauen Himmel hineinragenden Masten, alles fesselte seine Aufmerksamkeit, und er nahm sich fest vor, mit den Matrosen Freundschaft zu schließen und womöglich Näheres über Seeräuber zu erfahren.

      Gerade im allerletzten Augenblicke – Cedrik stand am Geländer des oberen Deckes, beobachtete die Zeichen zur Abfahrt und erfreute sich an den Zurufen der Matrosen und der Leute auf dem Damme – bemerkte er in einer wenige Schritte von ihm entfernten Gruppe einen kleinen Kampf. Jemand drängte sich mit Gewalt durch und zwar in seiner Richtung, es war ein Junge, der etwas Rotes in der Hand hielt – Dick! Ganz atemlos gelangte er endlich in Cedriks Nähe.

      »Bin ich gelaufen,« keuchte er, »wollte dich doch abfahren sehen. Geschäft ist prima. Von dem, was ich gestern gemacht, hab' ich das für dich gekauft, kannst's brauchen, wenn du unter die feinen Leute kommst. Das Papier habe ich verloren im Gedränge, die Kerls wollten mich nicht 'rauf lassen, 's ist ein Taschentuch.«

      In einem Atemzuge stieß er den Satz heraus, und ehe Cedrik Zeit hatte, etwas zu erwidern, erklang das letzte Zeichen, und mit einem gewaltigen Satze flog Dick davon.

      »Leb wohl!« rief er noch. »Trag's, wenn du zu den Vornehmen kommst!« und damit war er verschwunden.

      Ein paar Sekunden darauf sah man ihn sich auf dem unteren Decke durch die Leute drängen und in dem Augenblicke, ehe die Planke weggezogen ward, sprang er ans Ufer und schwenkte seine Mütze.

      Cedrik hielt sein hochrotes, seidenes Tuch, das mit ungeheuern dunkelblauen Hufeisen und Pferdeköpfen geschmückt war, in der Hand. Allgemeines Durcheinanderrennen und großer Tumult entstand. Vom Dampfer hinüber und herüber von den am Ufer Stehenden klangen die Rufe: »Leb wohl, altes Haus! Leb wohl! Leb wohl! Vergiß uns nicht. Nicht wahr, du schreibst von Liverpool? Gute Fahrt! Leb wohl!«

      Der kleine Lord Fauntleroy beugte sich weit hinaus und ließ sein rotes Tuch flattern.

      »Leb wohl, Dick!« rief er, so laut er konnte. »Ich danke dir! Leb wohl, Dick.«

      Und das mächtige Schiff setzte sich langsam in Bewegung, die Leute riefen Hurra, Cedriks Mutter zog den Schleier vors Gesicht, auf dem Damme herrschte große Bewegung, Dick aber sah von alledem nichts, als das liebliche Kindergesicht mit seinem blonden Heiligenschein, auf den die Sonne fiel, und hörte nichts, als die herzliebe, frische Stimme, die immer wieder: »Leb wohl, Dick!« rief. So segelte der kleine Lord Fauntleroy von seinem Heimatlande weg in die ihm fremde Welt seiner Ahnen.

      Viertes Kapitel.

       In England

       Inhaltsverzeichnis

      Unterwegs teilte die Mutter ihrem Lieblinge mit, daß sie in Zukunft nicht mehr zusammenleben würden. Es kostete Mühe, bis er sich von einer solchen Möglichkeit überzeugen ließ, und sein Jammer darüber war so grenzenlos, daß Mr. Havisham im stillen nur den glücklichen Gedanken des Grafen, die Mutter in der Nähe wohnen zu lassen, pries, denn ohne diesen Trost hätte das Kind die Trennung schwerlich ertragen. Die Mutter that alles, um ihm die Vorstellung freundlicher zu machen, und tröstete ihn so herzlich und erzählte ihm immer wieder, wie nah sie ihm sein werde, daß ihm der Gedanke allmählich weniger schrecklich erschien.

      »Mein Haus ist gar nicht weit vom Schlosse, Ceddie,« sagte sie, so oft die Rede darauf kam, »ganz nahe sogar, und du kannst immer herüberlaufen und nach mir sehen. Und denke dir nur, wieviel du mir dann zu erzählen haben wirst, und wie glücklich wir miteinander sein werden. Ach, es muß ja so schön dort sein! Wie oft hat mir dein Papa alles beschrieben. Ihm war das Schloß ganz ans Herz gewachsen, und du wirst es auch bald lieb gewinnen.«

      »Wenn du auch dort wärst, dann wohl,« versetzte der betrübte kleine Lord mit einem tiefen Seufzer.

      Es war ja ganz natürlich, daß ihm eine Einrichtung, die ihn von »Herzlieb« trennte, als etwas sehr Widersinniges und Unbegreifliches erschien. Mrs. Errol hielt es zudem für richtig, ihn über die Gründe dieser Trennung nicht aufzuklären.

      »Verstehen könnte er es doch nicht,« sagte sie zu Mr. Havisham, »es würde ihn also nur alterieren und beängstigen, und ich bin überzeugt, daß er sich weit eher an seinen Großvater anschließt, wenn er nicht weiß, daß dieser einen Widerwillen gegen mich hat. Haß und Bitterkeit sind ihm ganz fremd, und ich glaube, der Gedanke, daß jemand mich haßt, würde ihn unglücklich machen! Sein Herz ist voll Liebe! Es ist viel besser, wenn er das alles erst später erfährt – viel besser im Interesse des Grafen namentlich, denn dies Bewußtsein würde eine Scheidewand zwischen ihm und dem Großvater bilden, wenn Ceddie auch noch ein Kind ist.«

      Cedrik erfuhr also nur, daß diese Trennung aus Gründen, die er noch nicht verstehen könne, beschlossen sei, und daß er später einmal alles erfahren und begreifen werde. Das machte ihn wohl nachdenklich, allein schließlich war es ihm ja weniger um die Gründe, als um die Sache zu thun, und nachdem ihm sein Mütterchen wieder und wieder die Zukunft im rosigsten Lichte ausgemalt hatte, fingen seine Bedenken an schwächer zu werden, obgleich Mr. Havisham ihn noch mehr als einmal in einer seiner wunderlich altväterischen Stellungen dasitzen und aufs Meer hinausstarren sah, wobei sich mancher Seufzer aus seiner Brust stahl, der viel zu ernsthaft klang für ein Kind.

      »Es gefällt mir gar nicht,« sagte er in einem seiner ehrbaren Gespräche mit dem Advokaten. »Sie glauben nicht, wie wenig mir die Sache gefällt, aber es gibt ja viel Kummer auf der Welt, den man СКАЧАТЬ