Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
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Die Gesetze seiner Väter waren die Gesetze seines Willens.
Er unterschied sich von ihnen wie ein jüngerer von einem älteren Balken. Behauen, zugerichtet, ausgetrocknet, haltbar, mit allen hergebrachten Kanten und Schnörkeln versehen, nur von hellerer, empfindsamerer Farbe, lag er an seinem Platze.
Der Tod seines Vaters hatte ihn dahingetragen mit hastigem, stürzendem Griff und ein paar erschütternden Schlägen seines Hammers.
Da war ein Stöhnen und Knirschen durch das feste Gefüge seines Wesens gegangen, und von den Hammerschlägen des Todes war ein langer, tiefer Ton in dem Holze seiner Seele erwacht. Durch alle Zellen seiner Vergangenheit pflanzte er sich fort und als er bis an den dünnen Markfaden seiner Jugend gelangt war, mit einem immer leiseren, aber innigeren Vibrieren, ward ein letztes Hauchen von Sehnsucht daraus. Der dünne Faden lebendigen Markes begann noch einmal mitzuschwingen mit dem wärmeren Pulsen schon müder Säfte.
Leise Bilder glommen durch einen weißen, zarten Schleier zu ihm her mit verblaßten, reinen Farben. Eine Flut leichter Töne lag in dem Duft, der von ihnen ausging.
Da sein Wesen noch von keinem Fehltritt mißtrauisch, von keiner Enttäuschung zweifelnd, von keiner seelischen Verwicklung verknorrt worden war, erhob er sich in seiner plumpstrotzenden Gesundheit und überließ sich rückhaltlos dem weichen, schönen Taumel. Unter dem Einfluß dieses letzten, frühlingswarmen Sonnenblickes nahm der würdige, fertige Balken noch einmal die Formen eines Menschen an.
Sein ganzes biedere, nützliche, nüchterne Leben kam ihm wie eine große, leblose Lücke vor. Nur das Zarte, Fremde, Leise hatte Gewicht für ihn. So mußte er Leonore finden.
Wie eine Frühlingsblume, die ein gnädiger November der kraftlosen Erde abgeschmeichelt hat, fand er sie.
Und er trug sie sich mit bebender Hand heim in die große, leblose Lücke seines Lebens. Das ernste Haus auf der Walkergasse nahm sie auf mit dem frohesten Dröhnen seiner vielkammerigen, weiten Brust.
————
IV.
Das Leben traf Leonore immer ganz ratlos. Sie schlug wohl mit den Flügeln ihres Wollens; aber das Schicksal kam dann und führte sie ganz wo anders hin, wie einen Vogel, den ein Wetter verschlägt. Dann pochte ihr das Herz in angstvoller Neugier, während sie den Wind des Geschickes in den Segeln ihres Wesens fühlte.
„Heiråta, Mutter?“ frug sie und schüttelte langsam den Kopf, denn sie begriff nichts.
Ein milder Abend lag in dem Bäckerladen, und die gelben Regale, die bis an die Decke reichten, glommen stumpf durch das lichte Dunkeln.
Die Mutter saß hinter dem Ladentisch. Das Mädchen lehnte mit aufgestützten Armen darauf.
„Heiråta . . . .“ wiederholte sie ganz zaghaft.
„Nu ja, du bist doch zwanzich.“
„Åber warum?“
Damit stand sie auf und ging durch den schmalen Raum von der Thür bis zu den Mehlballen an der gegenüberliegenden Wand, ein paar mal.
Die Mutter aber lachte überlegen und schwieg eine Weile.
„Bist du ihm nie gutt?“ frug sie dann.
Leonore stand still und sah sinnend zu Boden.
„Gutt? . . . gutt? . . . .“ und langsam zog sie ihre mageren Schultern in die Höhe: „Ja!“ zweifelnd, unwissend.
Das Abendläuten wachte sanft auf mit dem hohen Singen der kleinen Glocke und dehnte sich dann zu langsamen, feierlichen Atemzügen mit dem vollen Brausen schwerer Glocken.
Beide horchten auf mit gefalteten Händen. Endlich verschwand das Geläut mit einem schwachen Zittern in der Luft.
„Ich dächt’, der Mensch mißt auch Glocka hå’n ein sich,“ begann Leonore wieder.
„Wozu dn dås?“
„Åch, ich weeß eigentlich sälber nie warum; åber ‘s is mr halt aso . . . . . . . nischt thutt leita ein mr . . . .. un warum gråde mich?““
„Dås is halt aso eim Leben. — Håt dei Våter nie mich auch geheirat‘t?“
„Ja, du und dr Våter!“
„Nu, wie is dr denn Mädl?“
„Wenn denn?“
„Wenn er kommt.“
„Da kommt er eben.“
„Und wenn er geht?“
„Auch aso.“
„Nischt weiter? — Nischt? — Auch nischt vo Freede, dåß er gieht?“
„Warum sellde ich mich denn freen? – . . . nä . . . . nischt . . . es mag tomm sein: åber deswejen sagte ich eben vrhin, eim Menscha kennde ‚s doch auch Glocka hå’n“?“
„Nach, komm, Mädl; ich dächt, es thutt schon leita ein dir un . . .“ Die Ladenklingel rührte sich. Ein Käufer trat ein, und die Mutter mußte abbrechen.
Leonore ging durch die andere Thür hinaus.
* * *
Aber die Mutter irrte sich doch. Es waren in dem Mädchen eben wieder einmal jene rätselhaften Schwingungen wach geworden, die aus einer inneren Ferne herbeiwandelten und das Verlangen nach Düften mitbrachten, auf welche ein robustes Leben verzichten muß. Aber alles das hatte nichts zu thun mit dem Verhältnis zu Griebel, ja nicht einmal mit i h r e m Leben. Sie entstanden aus dem Wiederschein ihr selbst verborgener Ideenverbindungen und gingen dann störend durch ihr sichtbares Dasein, welches sie marionettenhaft lebte, ohne jeden Unterton.
Wenn sie sich erhoben, dann schrumpfte ihr alles zusammen, was sie kannte und durchgemacht hatte. Und eine Enge, ein Unfrieden erfüllten sie. Es kam ihr vor, als hänge sie in der Luft. Wie auf weichendem Grunde ging sie, verscheucht, zaghaft, ohne Zweck.
In solchen Stimmungen pflegte sie in die Kirche zu gehen. Das heilte sie wieder zur Ruhe.
Die hohen, dämmernden Bogen; das bunte, ungestört-feierliche Licht; dieser ganze unirdische, fremde Duft, der aus allem floß; diese Maßlosigkeit, nach der alles ausgriff: gab ihr den Glauben an sich zurück, das Gefühl einer großen Macht.
Dann that ihr das Leben nicht mehr weh. Denn ihr Inneres hatte äußeren Halt gewonnen. Nicht durch eine klare Formulierung ihres katholischen Bekenntnisses, sondern dadurch, daß ein breiter, schweigender Strom aus einer inneren Unräumlichkeit ungehemmt in eine äußere sich ergoß.
Zwischen diesen beiden verschimmernden Weiten ging sie mit ängstlicher Neugier und Scheu den unbegreiflichen СКАЧАТЬ