Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
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Erschüttert stand der Sohn am Bette und vergaß, dem Toten die Augen zuzudrücken, die stier, wie im gebrochenen Schrei eines Vorwurfes auf ihn blickten. Dann aber strich er behutsam die Lider über die leeren, angstvollen Augen und ging zitternd hinaus.
„Er wollt mir wås1 sän“, sann er. „Åber wås wårsch? Klang’s nicht wie hei . . . ., wie: Suhn . . . du . . . åch . . .? Wås hots, dåß er mich ei der Angst ånsåh met sen’n tuta Auja?“
Und er brachte es nicht vor seinen Ohren weg, das qualvolle Lallen des Sterbenden, und sah fortwährend den Schreck der gebrochenen Augen.
Auch als der Tote von seinen Innungsgenossen hinausgetragen worden war; als jeder Geruch der Beerdigung in der weiten Stille des großen Hauses untergegangen war, änderte es sich nicht.
Oft huschte neben ihm ein Schatten an der Wand entlang, wenn er durch den dämmrigen Flur schritt; oder er fuhr abends, vor dem Einschlafen zusammen; denn er erwachte irgendwo im Hause ein rasselndes Geräusch, ganz leise, als ob es schon lange seinem tauben Ohr gerufen habe und nun in zuckender Enttäuschung stoßweise verhauchte, da er seine Aufmerksamkeit darauf richtete.
Schon ergriff ihn öfter eine Furcht, wenn er, aus der Werkstätte zurückkehrend, die draußen vor der Stadt lag, sein Haus erblickte.
Einmal aber ereignete sich etwas ganz absonderliches. Er schritt, über seine Arbeit nachsinnend, die blaue Schürze umgebunden, die Treppe hinab und fühlte plötzlich den blinden Drang in sich, aufzusehen. Aber, was war denn das im Hausflur?! — — Das konnte doch von den beiden runden Fenstern im Hausthore nicht sein: zwei müde Augen lagen auf den ausgetretenen Flurquadern. Über ihrem halberloschenen Blau zitterte ein stumpfglasiger Schimmer, glitzernde Ringe stiegen aus ihrer Tiefe und verliefen leise an der Oberfläche wie zögernde Thränen.
Daß kaum seine Bluse knisterte, drehte sich der Tuchmacher um, winkte die fast taube Wirtschafterin aus der Küche und wies ihr die Erscheinung mit bebendem Arm.
Aber diese begriff nicht, schüttelte den Kopf und wischte sich dabei mit zwei Fingern ihre magere Nase.
„Dat!“ hauchte er.
„Wås?“ schrie sie endlich aus Leibeskräften nach Art der Tauben.
Von dem groben Laut aber begann das erlöschende Blau leise fortzugleiten, und als er noch einmal dringender darauf hinwies: „Dat!“ waren es schon wieder die zwei Lichtflecken geworden, die immer in dem feuchten Hausflur lagen.
„Dås?“ schrie sie, „dås sein de zwee ronda Fensterfleckla. Weiter nischt. – Und Sie, Herr Joseph, Sie warn åm besta thun, Sie heiråta.“
Damit wandte sein sich um und indem sie langsam hinaufschlürfte, lachte sie dünn und schüttelte wackelnd mir dem Kopf.
Es aber schritt dem Ausgange zu und wich dabei den Flecken sorgsam aus. Aber es war trotzdem vorhin ein müdes, weinendes Auge gewesen, jeder der beiden Flecken.
„Fensterfleckla,“ redete er in sich hinein, „heiråta . . . ., haha! . . . . und wenn de Weiber Pulverholz warn, wessa se nischt andersch. — — Ich? — nu ja, ja, amal schon; — åber warum a so bale? Bin ich achtunddreißig gewor’n, kån ich auch neununddreißig war’n. — — Åber ’s is egal, wås is nich richtig, seit dr Våter tut is.“
Und er widersetzte sich der Forderung, die die Tradition seines Geschlechtes verlangte, deren Unabweislichkeit er nur die Bequemlichkeit seines zunehmenden Alters entgegenstellte, so lange es ging. Auch sein Vater hatte vielleicht dasselbe von ihm gewollt unter den Qualen seiner letzten unruhigen Tage.
Zuletzt kam auch der alten Wirtschafterin derselbe Gedanke.
Unverzüglich nahm sie den Zauderer deswegen ins Gebet: „A sel‘ga Herrn Våter hab ich noch gekannt, wie er ein junger Femfbiehmer wår, of deitsch gesät. Un wie der ale Herr, Joseph hieß er wie Sie, Ihr Grußvåter, ich weß noch åls wenns heite wär, un wie er un er låg auf m Sterbebette, s wår verz‘ Taje vir Ållerheilijen – acht Taje drnåch brannte der Ruffert-Gerber åb – wie’s mit’m Odm immer genauer wur, då kåm dr selje Herr Våter mit seim Schåtze, wås drnoch Ihre Mutter worn is, zu n’m åns Bette.
Då hätten Se sehn sollen, wie er glecklich fläschelte! Er reckte de hand zum Betteraus, åls wenn er sagte: Jetz sterb ich gerne, Kinder! fläschelte noch a mol un starbe. –
Warum kunnde dr selje Herr Våter nich sterba? — Weil er Sie nich versorgt wußte. Un ein Mån ohne Weib – då steckt immer wås Bieses dahinder; da trau ich nie.“
„Nu ich kån mirsch woll denka – hm – haha!“ lachte Joseph malitiös.
„Åch nu - - ich håb halt ken’n gekriejt, - Nee, ohne zu spaßa: Dås Haus ohne Wieb is zum sterba. – Ån mich håts jå ken’n Fug. Mir is Bichla vertreijt. Åber sehn Sie sich vor – Herr!“ –
So sagte sie ihm, was ihre einsame Seele lange gesonnen hatte.
In der That schien es, als ob das alte Haus seine tiefe Einsamkeit wieder einmal satt habe und darnach verlange, daß ein Menschenfrühling durch seine Gemächer hinhüpfe auf kleinen Kinderfüßchen; so wehe Stimmen wurden laut, so redete es brummend mit seinen hohen Thüren, so schreckte es mit seinen langen, unerträglichen Schatten, so rief es sehnsüchtig mit der Totenstille seiner großen, kalten Stuben. Endlich mundete dem Tuchmacher seine Verlassenheit selbst nicht mehr. Die Sehnsucht nach seiner Jugend erwachte in ihm. In diesem Verlangen heiratete er.
Die alte Wirtschafterin, die so tapfer dafür gestritten hatte, erlebte es nicht mehr.
Kurz vor der Hochzeit starb sie.
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1å = a mit einer leichten Verdunkelung durch o
II.
Sein junges Weib hieß mit ihrem Mädchennamen Leonore Marsel.
Ihr längst verstorbener Vater war der letzte Sprosse eines seit Geschlechtern verarmten freiherrlichen Hauses gewesen, Karl August Theodor von Marsal, seines Zeichens Bäcker.
Er hatte in einem der kleinen Häuser auf der Walkergasse geräuschlos seine Semmeln und sein Brot verkauft; mit einem scheuen, betretenen Gesicht.
Eine Reihe seiner Vorväter war durch den Glanz der großen Vergangenheit wild und toll geworden. Allmählich hatten die engen Räume der Armut den Trägern des großen Namens die stolzen Flügel gebrochen; und die Sehnsucht lag in ihnen wie ein unabwendbarer Kummer, eine zwecklose, stets neugeborene Qual.
Sie verkümmerten nach und nach an den kleinen Fenstern und dem dürftigen Hausgerät. Das kärgliche Essen sog ihnen die Kraft aus, und die Gesundheit und Fülle ihrer Leiber schrumpfte zusammen unter dem unbarmherzigen Drucke schlichter Gewänder.
Der Wohlklang ihrer kraftvollen Glieder artete zu krankhafter Zierlichkeit aus. Der lange, freie СКАЧАТЬ