Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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СКАЧАТЬ noch immer da, und wenn er auch dann und wann in ein düsteres Fernsein verfiel, so rettete sich sein Auge doch immer wieder in das blitzende Leuchten, und wie je schütterten seine Schritte über Flur und Stiege.

      Behaglich und gesammelt saß er nach leidenschaftlich-fleißigem Tagewerk in seiner Sofaecke und ließ, vom Sinnen zurückkehrend, sein Auge wohl über den Tisch wandern, der nun einsamer stand als sonst. Denn seit hinter jedem Schritte meines Vaters das Zischeln lief, waren so nach und nach all die Schwätzer und Stuhlwärmer ausgeblieben. Nur der Dorn-Schuster hatte sich fester auf seiner Bank eingenistet. Stets betrat er mit bekümmerter Miene unsere Stube, und stets kam doch die alte, kindhafte Aufgeräumtheit über ihn beim Anblick meines unberührten Vaters, der ruhig jeden Versuch seiner märigen Güte, dem »niederträchtigen Volke«, insbesondere aber dem Rinke-Tischler, eins zu versetzen, zurückwies, im übrigen aber geduldiger und aufmerksamer des Schusters komische Mutmaßungen über die große Wendung der Zeit ertrug. Ja, tauchte aus der Seele des Aufgeregten, der die ganze Welt nur durch seine Schusterkugel betrachtete, ein treffender Gedanke, so beteiligte sich mein Vater mit einem langen Blick, einer zustimmenden Geberde oder kurzen Bemerkung sichtbar an dessen Kummer. Verlor sich Dorn gar – und es geschah fast immer – in seine Familiensorge, dann blühte im Gesicht meines Vaters ein tiefes, ehrlich-schönes Mitleid, wenn er es auch vermeiden gelernt hatte, ihm Räte zu erteilen oder ein zu herzliches Erbarmen zu zeigen. Denn der gütige Mensch war zu keiner Strenge gegen seinen ungeratenen Jungen zu bringen, dessen Leichtsinn schon zu Veruntreuungen übergegangen war, sondern er drohte, beschwor, klagte, vertuschte und bezahlte, um am Ende in eine fast wirre Verstörtheit zu verfallen, während sein kleinmütiges Weib tagelang von sinnloser Angst durch die Finsternis der Dachkammern getrieben wurde und dann wie in Todesgier sich aus schwindelnd hohen Fenstern neigte. Erzählte das Dorn, so griff mein Vater herzlich nach dessen großen, mehligweißen Händen, die zuckend auf dem Tische lagen, und hielt sie, bis in dem Gesichte des Armen das Zittern vergangen war. Immer verließ uns dann der Schuster in halber Gebeugtheit, und mein Vater begleitete ihn, die Rechte wie schützend auf seine Schulter gelegt, bis an die Haustür. Dort wartete er, bis der Schatten des Davongehenden im schwarzen Torbogen des Wartturmes verschwunden war, und kehrte mit Schritten zurück, die wie Aufstampfen klangen, und einem Gesicht, in dem bittere Entschlossenheit wetterleuchtete.

      Zu bittere Entschlossenheit, so bitter, daß der Trotz dieses herrischen Antlitzes mir wie der Schmerz des eigenen jungen Herzens wehtat und eine Bekümmernis über mich kam, an der ich nach dem Zubettgehen stundenlang litt, weil mir nichts Rechtes einfiel, wie ihr abzuhelfen und meinem Vater die alte frohe Kühnheit wiederzugeben sei. Ich lag und blickte den blassen Strahl entlang, den der Mond durch das Dachfenster in die tiefe Finsternis der Kammer spielen ließ und baute ruhelos abenteuerliche Pläne zur Errettung meines Vaters, den in meiner leidenschaftlichen Phantasie ein Heer ekler Feinde umgab; oder kroch unter die Decke und verfiel in schmerzvolles Hinschummern, das in stummem Weinen endete.

      Dann kam die Nacht, die über meines Vaters Schicksal entschied. Sie stand in mitternächtiger Bläue draußen und sah mit einem gelben, blinzelnden Stern durch die Dachluke auf mich. Da knisterte es in der Kammertür, und bald darnach wurde der hölzerne Riegel weggezogen, fiel herunter und baumelte einigemal an seiner Schnur hin und wieder. Ich streifte erschrocken das Deckbett ein wenig von der Brust und richtete mich halb auf, um den späten Eindringling zu erkennen. Aber es war plötzlich wieder ganz still, und ich sah nichts als schwere Ballen, die auf mich zurollten und dahinter ein Etwas, das, hochaufgerichtet, stutzte und mit unsichtbaren, zwingenden Augen mich betrachtete. In lähmendem Schrecken rief ich nach meiner Mutter und sank dann zurück. Und wahrend ich in Angst alle mir bekannten Gebete durcheinanderwirbelte, näherte es sich mit streichenden Schritten meinem Bette, blieb stehen, schob die Decke von meinem Leibe, ergriff die kraftlos herunterhängende Hand, drückte sie gebietend und entfernte sich mit denselben über die Diele wehenden Schritten. Die Tür ging knisternd, der Riegel klappte gegen das Holz. Darauf war wieder nichts als die stille Finsternis um mich, aus der eine Erwartung auf mich einfloß, der stürmisch atmend auf seinem Lager lauerte und beklommen grübelte, was das zu bedeuten habe. Auf einmal fiel eine Hülle in mir nieder, ein Schatten, und ich wußte, daß ich hinunter müsse, um unser Haus zu bewachen. Jede Angst war in diesem Augenblicke aus meiner Seele geblasen. Ruhig stieg ich aus dem Bett, kleidete mich an, tastete nach den Streichhölzern und schlich auf den Socken durch die Tür, die durch den Riegel verwahrt war, wie immer. Es fiel mir gar nicht ein, darin einen Widerspruch gegen die Tatsächlichkeit des geheimnisvollen Vorganges zu finden, so sehr wirkte er in meinem Innern schon gleich einem lange gefaßten Entschluß. Mit einer Überlegenheit, die mir noch heut unbegreiflich ist, überzeugte ich mich davon, daß die große Stube, deren Fenster nach dem Burgberg zu gingen, unverschlossen sei und huschte dann über die zweite Stiege in den unteren Flur, um vorsichtig die Haustür aufzuschließen. Es kostete mich einige Mühe, mit dem ungefügen Schlüssel das verrostete Schloß zu bewegen, und ich mußte wegen des Kreischens einigemal absetzen, weil ich meine Eltern nicht stören wollte, die, nur durch den kurzen Flur von mir getrennt, in dem kleinen Alkoven neben unserer Wohnstube schliefen. Endlich war alles vorbereitet, die schwere Tür nur angelehnt und die Klingel abgestellt. In einem Anflug von Furchtsamkeit tastete ich ohne bestimmte Absicht in die Ecken und kam an ein handliches, nicht zu schweres Kummetholz, das ich als einzige Waffe mit mir nahm. Und nun sah ich droben in der Stube, die auch als Vorratsraum diente und spähte durch das geöffnete Fenster auf die Straße. Die einzige Laterne an Mahn-Fleischers Hausecke hatte längst ihr rotes Auge geschlossen, und es war, als blicke ich in eine finstere Schlucht hinunter, vollgesackt von lautlos dumpfer Enge. Nur der Adler auf dem Wartturm knarrte dann und wann über die Dächer, daß es wie verhaltenes Schnarchen klang. Da pfiff der Nachtwächter eins und ging dann den Berg hinauf durch den Torbogen. Seine großen Stiefeln knallten wie Schüsse gegen das Pflaster. Danach mummelte wieder nur die schwarze Stille in der Schlucht. Ich sah auf die wenigen Sterne am tiefdunklen Himmel. Sie blinzelten müde wie die Augen schläfriger Tiere. Nur manchmal kam ein gieriges, wildes Aufflackern, wie traumhafte Raublust, in sie. Eine zähe, beklommene Schlaffheit spann sich daraus über mich, daß ich die Stirn in die Hand stützen muhte. Dann hatte ich ein Gefühl, als sinke ich hinaus in den leeren Raum. Da ging es ganz leise: klapp, klapp, stand still und wieder klapp, klapp, klapp; und ich dachte, es seien die Sterne, die aufeinander Jagd machten. Dann horte ich unterdrücktes, schleimiges Husten. Wie weggehauen war der Schlaf. Wenige vorsichtige Sätze brachten mich an die Tür, die ich lautlos öffnete und hinausschlüpfte. Neben dem Hauseingange stand auf dem Bürgersteig eine kurze Leiter. Dies sehen und mit ganzer Wucht gegen den Leiterbaum rennen, war eins. Mit einem leisen Fluch stürzte ein Mensch herunter, wie ein Sack dem Lastträger von dem Rücken fällt und blieb lautlos liegen. In meiner Bestürzung griff ich um mich, wühlte in meinen Hosentaschen, erwischte die Streichhölzer und leuchtete über den Gefallenen hin, ihm ins Gesicht. Es war Rinke. Er lag, anscheinend leblos, mit offenem Munde da, und aus einer Stirnwunde quoll dunkles Blut. Da verließ mich die Beherrschung. Entsetzt floh ich ins Haus, rüttelte wie wahnsinnig an der Schlafstube meiner Eltern und schrie: Vater, mach' auf! Ich hab' ihn. Um Gottes willen. Vater! In den Unterhosen stürzte der Gerufene zu mir heraus. Ich stotterte: Rinke liegt draußen auf dem Pflaster; ich hab' ihn tot gerannt! Schon erschien auch meine Mutter auf der Schwelle, totenblaß, die Laterne hochhaltend, daß ihr Schein über uns floß. Mein Vater nahm sie ihr aus der Hand und gebot mir: Komm mit, aber sprich kein Wort mehr!

      Mit großer Anstrengung folgte ich dem Voranschreitenden; aber an der Tür begannen mir die Knie zu zittern, und erschöpft sank ich auf die dort stehende Hausbank. Nach einer Weile trat mein Vater vor mich, in der einen Hand die Laterne, in der anderen ein zerbrochenes Töpfchen, aus dem schwarze Farbe floß und eine Schablone. Er fragte mich etwas und rüttelte an mir, weil ich nicht antworten konnte. Dann fühlte ich mich noch hilflos lächeln, mir schwand die Besinnung nicht im Rauch der Ohnmacht, sondern die wohligen Schatten des Schlafes fielen so schnell über mich, daß ich nur noch bemerkte, wie meine Mutter aus einer grenzenlos tiefen Nacht sich zu mir niederbeugte. Ich schlang meine Arme um ihren Nacken und ward davongetragen.

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      Am andern Morgen fand ich mich in dem Schlafzimmer meiner Eltern. Das Fenster stand auf, und die frohe Sonne СКАЧАТЬ