Название: Phantomschmerzen
Автор: Susan Hill
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783311701248
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Sam schaute auf seinen Rucksack. Er könnte ein paar Stunden auf der Couch schlafen und gegen Morgen aufstehen, wenn der Sturm vielleicht nachgelassen hätte. Aber als er das Angebot schon annehmen wollte, hörte er draußen durchdrehende Räder, und die Tür wurde dem Eintretenden aus der Hand gerissen. Draußen herrschte ein Chaos aus Sprühnebel, Regen und Wind.
Der Wirt brach in schallendes Gelächter aus. »Und hier haben wir die Einzige, die so bescheuert ist, bei dem Wetter vor die Tür zu gehen, ob mit oder ohne fahrbaren Untersatz.«
Die Frau, die hereinkam, trug eine grüne Regenjacke, Stiefel und einen Südwester, den sie in den Nacken schob, woraufhin sich Wasser auf die Matte ergoss.
Sie zögerte kurz, warf einen Blick durch den Raum und bemerkte Sam und den anderen Trinker am Tresen, der jetzt beschloss, schlafen zu gehen.
»Ich brauche eine neue Gasflasche, wenn du noch eine von der letzten Ladung übrig hast, Iain. Scheiß Teil. Bin mir sicher, dass sie voll war. Ich hab auf keinen Fall schon eine ganze verbraucht.«
Iain lachte. »Das behauptest du immer, Sandy. Ich sage es dir dauernd, und jetzt soll ich bei dem Wetter raus und deine Gasflasche schleppen.«
»Ich nehme ein Half-Pint, um den Schock abzumildern.«
Iain zapfte ihr Bier. »Ich hol dir dein Gas. Kümmer dich inzwischen um den jungen Mann hier.« Sie wechselten rasch einen Blick, den Sam als ›Behalt ihn im Auge und pass auf, dass er sich keinen Drink oder was anderes nimmt‹ auslegte.
Sandy drehte sich um. Sie musterte ihn, taxierte ihn regelrecht, dachte er. Das war ihm unangenehm. »Sandy Murdoch. Bist du mit der letzten Fähre gekommen?«
Sam nickte. »Ich dachte, ich könnte von hier aus mit jemandem mitfahren, hatte aber Pech.«
»In so einer Nacht fährt keiner rum. Wo willst du denn hin?«
Er zögerte. Woanders hätte er es niemals einer Fremden gesagt, aber auf der Insel war es wohl in Ordnung. Jeder kannte jeden und ging offen damit um, jeder Besucher wurde bemerkt und beurteilt.
»Zu meinem Onkel. Er wohnt in Stane.«
»Simon? Gut, jetzt, wo ich dich ansehe. Du hast seinen guten Knochenbau, wenn auch nicht seinen Teint – oder seine Augen.«
»Dann kennen Sie ihn.« Sam schaute die Frau aus den Augenwinkeln an. Sie hatte ein knochiges Gesicht, sprödes, strohblondes Haar.
»Du trinkst nicht«, sagte sie.
»Ich möchte nichts.«
»Na ja, ich würde nicht behaupten, dass ich nie alleine trinke, aber Gesellschaft ist mir lieber. Was nimmst du, wenn Iain wiederkommt?«
»Limonade?«
»Nicht dein Ernst.«
Sam antwortete nicht, und sie saßen schweigend herum, bis der Wirt zurückkam.
»Sie ist im Jeep, und jetzt schau dir an, wie ich aussehe.«
»Danke, Iain. Einen Dram für Sam, und dann nehm ich dir das andere Half-Pint ab.«
Sie ignorierte Sams Protest, brachte seinen Whisky an den Tisch, dazu ein Glas Limonade.
»So spült man den runter.« Sie lachte und hob ihr Glas.
Eine Viertelstunde später hatte sie Sams Lebensgeschichte aus ihm herausgekitzelt. Er trank einen weiteren Whisky, und die Kneipe bekam einen goldenen Schimmer. Er war angenehm müde und hatte plötzlich einen Bärenhunger.
»Gut«, sagte Sandy, knallte ihr Glas auf den Tisch und stand auf. »Ich bring dich zu deinem Onkel, bevor ich dich hier raustragen muss. Und das könnte ich glatt.«
Sam war leicht unsicher auf den Beinen, ging aber zielbewusst zur Tür. Als er sie öffnete, riss der Wind sie ihm aus der Hand und schlug sie nach hinten.
»Moment noch – hab was vergessen.« Sandy ging rasch in die Kneipe zurück. Sam beobachtete sie. Sie machte einen ganz netten Eindruck, ein Mensch, für den ihn plötzliche Zuneigung überkam. Whisky brachte wohl von allem das Beste zur Geltung.
Im Jeep war es warm, sobald der Heizlüfter blies und über das Platschen des Regens auf dem Dach und das Pfeifen des Windes durch die undichten Fenster hinweg ein Geräusch wie eine Turbine von sich gab. Sam dachte, so könnte er ruhig noch tausend Meilen weiterfahren. Sein Kopf sang.
»Worum ging’s da bei dem ganzen Zeug?«
»Was für ein Zeug?«
Sam versuchte, mit schwerer Zunge die Frage zu formulieren, die er ihr stellen wollte, aber als es ihm gelang, hatte er sie vergessen.
Die Scheibenwischer hatten Schwierigkeiten mit der Bewältigung des strömenden Regens und kratzten nur schwach hin und her, Pause, hin und her, Pause.
»Wie können Sie rauskucken?«
»Da gewöhnt man sich dran. Ich kenne die Straße.«
»Sind Sie hier geboren, Sandy?«
»Nein. Aber mir gefällt es hier, Sam. Die Leute kommen im Juni, Juli her, und alles ist Friede, Freude, Eierkuchen, und sie sehen es überhaupt nicht. Simon mag es, meinst du nicht? Mist.«
Der Jeep rutschte seitwärts über die nasse Straße. Sandy fing ihn geschickt ab, und sie waren auf der letzten Geraden. Sam schaute aus dem Fenster, konnte aber nichts erkennen.
»Ist das ein großer Umweg für Sie?«
»Kein großer.«
Sie bogen ab.
»Da sind wir … zu Hause. Und jetzt gib acht auf dich – es gießt in Strömen, und der Boden ist glitschiger Schlamm.«
»Vielen, vielen Dank. Wirklich nett von Ihnen. Ich bin Ihnen echt dankbar. Danke. Vielen Dank.«
»Gern geschehen, Sam.« Er sah, dass Sandy lachte. Über ihn? Das ärgerte ihn, und er war kurz davor, ihr Paroli zu bieten, wie er da in Regen und Wind stand, aber dann setzte sie zurück, die Räder warfen Schlamm und Wasser auf, und noch bevor er Simons Haustür erreichte, hatte er vergessen, was er hatte sagen wollen.
Eine halbe Stunde später, nachdem er ein heißes Bad genommen, frische Kleidung von Simon angezogen hatte und der Inhalt seines Rucksacks in der Waschmaschine war, saß Sam vor einem Becher Tee und sah zu, wie Eier, Speck und Bratkartoffeln auf dem Herd brutzelten. Simon hatte nicht viel gesagt, bis auf »Ach, du Scheiße!« ganz zu Anfang, als er die durchnässte, schwankende Gestalt vor seiner Tür hereingeholt hatte. Jetzt hörte er sich den oberflächlichen, aber etwas nüchterneren Reisebericht seines Neffen an. Er fragte nicht, was er getrunken hatte, denn er ging davon aus, dass es nicht so viel gewesen war.
»Was ist mit deinen Haaren passiert?«, fragte Sam plötzlich und starrte ihn an, als hätte er ihn erst jetzt gesehen.
»Bisschen heftig?« Simon fuhr sich mit СКАЧАТЬ