Название: Gesammelte Werke
Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Жанр: Философия
isbn: 4064066388829
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Noch immer gab es Klöster im Reiche, die die Wissenschaft pflegten, und solche, die die Wildnis kulturfähig machten, Klöster, in denen die unverheirateten Töchter des Adels sich in die Geheimnisse Gottes versenkten, kunstvolle Stickereien ausführten, fromme Betrachtungen niederschrieben. Andere Klöster erregten durch Ausgelassenheit oder Faulheit Ärgernis, und auch die besten waren nicht mehr die einzigen Sterne, von denen Licht und Wärme ausgingen. Der Wanderer, der im 12. und 13. Jahrhundert durch das Reich pilgerte, fand Schutz und Herberge in den Städten. Zu den alten Römerstädten am Rhein und an der Donau, zu den von den Ottonen gegründeten Städten am Rande des Harzes waren viele neue gekommen. Nachdem die großen Städtegründer, die Zähringer und Heinrich der Löwe, das Beispiel gegeben hatten, als die Fürsten gesehen hatten, welche Vorteile sich aus verkehrsreichen Plätzen ziehen ließen, beeiferten sich alle, in ihrem Gebiet schon bestehende Ansiedelungen zu Städten zu erheben oder neue anzulegen. Die Städte waren sehr klein, manche nicht viel größer als ein einzelnes großes Kloster. Sie hatten etwa 3000 bis 4000 Einwohner, die größten nicht mehr als 15 000 oder 20 000. Manche bestanden aus einem alten Dorf, mit dem ein Markt verbunden wurde, manche aus mehreren Siedelungen, die allmählich durch Mauern zu einem Ganzen verbunden wurden. Die Stadt Braunschweig zum Beispiel bestand aus fünf Städten: der ursprünglich dörflichen Alten Wiek, der Altstadt, dem von Heinrich dem Löwen gegründeten Hagen, der Neustadt und dem Sack. Jede von ihnen hatte ihren Bürgermeister, ihr Rathaus, ihre Kirchen. Den Mittelpunkt aller Städte, wenn auch nicht immer den topographischen, bildete der Markt, ihr Herz, wo die Verkehrsadern ausgingen und mündeten. Dort wurden Lebensmittel und andere Waren zum Verkauf ausgelegt. Er war umrahmt vom Rathaus, von den vornehmsten Gildehäusern und den Häusern der reichen Kaufleute; zuweilen gliederte auch das Rathaus, mehr oder weniger in der Mitte liegend, den Platz. Der Rechtsschutz, der vom König den Kaufleuten, die den Markt besuchen wollten, verliehen wurde, stellte den Markt unter Königsfrieden, machte ihn zu einer Stätte, wo ohne Verzug Recht gesucht und gefunden werden konnte. Der rechtliche Charakter des Marktes wurde durch ein Kreuz bezeichnet, wie sich ein solches noch auf dem Markt in Trier befindet; es ist von einer Granitsäule getragen und zeigt in der Mitte das Gotteslamm. Später symbolisierten den Rechtsgedanken im Norden des Reichs die seltsamen Rolandsfiguren, die, sollten sie auch mit anderer Bedeutung entstanden sein, im höheren Mittelalter als Sinnbild der Rechtshoheit der Stadt angesehen wurden. Wenn ein Fürst sich eine freie Stadt unterwarf, pflegte er wohl den Roland zu zerschlagen, zum Zeichen, daß nur er, nicht mehr die Stadt, Gerichtsherr sei. Die steinernen Riesen in Zerbst, Halberstadt, Bremen, Ritter mit edlem lockigem Haupt, die das Schwert gerade aufgerichtet in der Hand halten, stammen aus dem 15. Jahrhundert und sind Nachbildungen älterer Figuren aus Holz, die bei einem Brand oder sonst zugrunde gegangen waren. Zuweilen fanden Hinrichtungen vor dem Rolandsbilde statt. Die Gerichtssitzungen wurden anfangs unter freiem Himmel abgehalten, später, als es Rathäuser gab, unter den offenen Lauben derselben und noch später in einem Saal im Innern des Hauses. Das älteste erhaltene Rathaus soll das der Unterstadt von Gelnhausen sein; es ist ein schlichter romanischer Bau, von dem man annimmt, daß er im Jahre 1170 entstanden ist. Während die Marktplätze der alten gewachsenen Städte sehr verschiedenartig, malerisch gegliedert sind, hat die Regelmäßigkeit der östlichen Kolonialstädte, die alle nach dem gleichen Muster angelegt sind, zuweilen etwas Ödes. Wie schön auch diese sein können, beweisen die Märkte von Breslau, imponierende saalartige Plätze, deren einer durch die fabelhafte Pracht des Rathauses belebt wird. Eine unerschöpfliche Erfindung hat im Norden, Süden, Osten und Westen des Reichs Rathäuser von verschiedenartigem Reiz aufgerichtet. Wie ein wohllautender Reim der Pfarrkirche Sankt Martin gegenüber umrandet das Braunschweiger Altstadt-Rathaus die Ecke des Platzes, zierlich und schnurrig ist das von Osterode am Harz, das von Michelstadt im Odenwalde, phantastisch prächtig sind die nordischen Ziegelbauten von Stralsund, von Tangermünde, bäuerlich behäbig die schwäbischen und fränkischen Fachwerkhäuser. Im Inneren führen schöngeschwungene Holztreppen zu den Sälen, wo die Ratsmänner tagen, wo bald die Täfelung der Wände wohnliche Stimmung, bald Malerei das Gefühl erhabener Feierlichkeit verbreitet. Die Rathäuser, deren Schönheit wir jetzt bewundern, sind ebenso wie fast alle die Wohnhäuser, die erhalten sind, erst um die Wende des 15. Jahrhunderts oder später errichtet. Im heroischen Zeitalter der Städte waren die meisten Häuser niedrig, eng, mit Stroh gedeckt, nur einige Reiche und Mächtige bauten sich steinerne, turmartige Häuser, in denen sie das Recht hatten, sich mit den Waffen zu verteidigen, so daß das Wort galt: mein Haus ist meine Burg. Kunst und kostbare Ausstattung wurden verschwenderisch auf die Kirche verwendet, das Haus Gottes und das Haus aller Bürger. Die Pfarrkirche lag gewöhnlich etwas abseits vom Markte, aber so, daß die Türme den Platz beherrschen; der Lärm des Verkehrs soll die Andacht nicht verwirren. Schauerliches Schweigen, kühle Dämmerung, in die es glühend tropft aus den bunten Fenstern, umfängt den Beter. Von den Pfeilern blicken die großen Heiligen, die kämpften und litten und nun in ewiger Glorie wohnen, ringsherum liegen die Toten, Söhne der Stadt, ruhend von ihrer Arbeit. Hier beginnt das Drüben, wo alle Rätsel gelöst, alle Sünden getilgt, alle Tränen getrocknet werden. Vom Turm läutet die Glocke, die der städtische Meister gegossen hat; jeder Bürger kennt ihre Stimme wie die Stimme einer Mutter. Weiter entlegen vom Markt steht in den größeren Städten der Dom, die Kirche des Bischofs, und stehen in fast allen die Kirchen der Franziskaner und Dominikaner.
Wenn der Kaiser seine Reichsstadt besucht, wird er zuerst in die Kirche geführt, abends vielleicht in ein Gildehaus oder in das Hochzeitshaus, wo er mit den schönen Bürgersfrauen tanzt und mit den Ratsmännern trinkt. Bei einem besonders angesehenen und wohlhabenden Bürger stieg er ab; Ludwig der Bayer wohnte in Nürnberg bei Heinrich Weigel auf dem Milchmarkt oder bei Albrecht Ebner auf dem Salzmarkt.
Einen großen Raum bedeckte das Spital mit den dazugehörigen Gebäulichkeiten. Es war fast immer dem Heiligen Geist geweiht; die Leitung stand entweder bei der Geistlichkeit und der Stadt zusammen oder bei der Stadt allein. Es nahm Kranke, Arme, Wöchnerinnen, alte Leute, Pilger, Wanderer auf und beherbergte sie je nach den Umständen für einige Nächte oder für Lebenszeit. Gewöhnlich war das Spital sehr reich; es besaß Dörfer, die regelmäßige Abgaben leisteten, aber auch einzelne Höfe und Gerechtsame, und es verfügte über Stiftungen, infolge welcher die Insassen an gewissen Tagen weißes Brot oder Wein und Bier oder Bäder erhielten. Einige Herren aus dem Rat hatten die Verwaltung des Spitals zu überwachen. Das Leprosenhaus, das dem heiligen Georg geweiht war, pflegte der Ansteckung wegen vor den Toren zu liegen; mit ihm war wie mit dem Spital eine besondere Kirche oder Kapelle verbunden.
Nicht nur die Krankenpflege nahm die Stadt der Kirche ab, sondern auch die Armenpflege, wenn auch die der Kirche weder ganz ausgeschaltet noch entbehrt werden konnte. Obwohl die Zünfte ihre Mitglieder nicht verelenden ließen, so gab es doch in den Städten sehr viel Arme; denn nicht alle Handwerker waren in Zünfte zusammengefaßt, und außerdem gab es Tagelöhner und eine Menge anderer Leute ohne bestimmten Beruf und regelmäßige Einnahme. Manche wurden in den Spitälern СКАЧАТЬ