Название: Schwarzes Echo
Автор: Michael Connelly
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Kampa Pocket
isbn: 9783311702269
isbn:
Schwarzes Echo
Der erste Fall für Harry Bosch
Aus dem amerikanischen Englisch von Jörn Ingwersen
Kampa
Für W. Michael Connelly
und Mary McEvoy Connelly
Erster Teil Sonntag, 20. Mai
Der Junge konnte im Dunkeln nichts sehen, aber das war auch nicht nötig. Erfahrung und langjährige Praxis sagten ihm, dass es gut kam. Schön gleichmäßig. Mit weichem Schwung. Er bewegte den ganzen Arm, sanft das Handgelenk. Lass die Kugel rollen. Keine Nasen. Wunderbar.
Er hörte das Zischen der ausströmenden Luft und spürte das Rollen der Kugel. Es waren beruhigende Empfindungen. Der Geruch erinnerte ihn an die Tüte in seiner Tasche, und er überlegte, ob er sich anknallen sollte. Vielleicht hinterher, beschloss er. Er wollte jetzt nicht aufhören, nicht bevor er den Schriftzug vollendet hatte.
Dann hörte er auf – als außer dem Zischen der Spraydose ein Motor zu hören war. Er drehte sich um, sah aber nirgendwo Licht, nur das silbrig weiße Spiegelbild des Mondes auf dem Wasserbecken und die matte Birne über der Tür zur Pumpstation, die auf halbem Weg zum Damm lag.
Aber er ließ sich nicht täuschen. Es war ein Motor. Hörte sich an wie ein Laster. Und dann meinte der Junge, das Knirschen von Reifen auf dem Kiesweg zu hören, der um das Wasserbecken führte. Es kam näher. Fast drei Uhr morgens, und jemand kam. Weshalb? Der Junge stand auf und warf die Sprühdose über den Zaun zum Wasser hin. Er hörte, wie sie im Unterholz aufschlug, kurz vor der Stelle, die er angepeilt hatte. Er zog die Tüte aus seiner Tasche und beschloss, einen kleinen Zug zu nehmen, um sich etwas Mut zu machen. Er vergrub seine Nase in der Tüte und atmete die Farbdämpfe tief ein. Auf den Absätzen torkelte er rückwärts, und seine Augenlider zuckten unkontrolliert. Die Tüte warf er über den Zaun.
Der Junge nahm sein Motorrad und schob es über die Straße, rüber ins hohe Gras zwischen die Kiefern am Fuße des Hügels. Das ist eine gute Deckung, dachte er, und sehen konnte er von hier auch, wer kam. Der Motor wurde immer lauter. In wenigen Augenblicken musste jemand da sein, aber Scheinwerfer konnte er keine sehen. Das verblüffte ihn. Aber es war zu spät, um zu fliehen. Er legte das Motorrad in das hohe, braune Gras und hielt das freilaufende Vorderrad mit der Hand fest. Dann drückte er sich an den Boden und wartete, wer oder was da kommen mochte.
Harry Bosch konnte den Hubschrauber da oben hören. Irgendwo über der Finsternis kreiste er im Licht. Wieso landete er nicht? Wieso brachte er keine Hilfe? Harry kroch durch einen verräucherten, dunklen Tunnel, und die Batterien seiner Taschenlampe ließen nach. Mit jedem Meter, den er zurücklegte, wurde das Licht schwächer. Er brauchte Hilfe. Er musste sich beeilen. Er musste das Ende des Tunnels erreichen, bevor er kein Licht mehr hatte und allein in der Finsternis hockte. Er hörte, wie der Helikopter ein letztes Mal über ihn hinwegflog. Warum landete er nicht? Wo blieb die Hilfe, die er brauchte? Als das Dröhnen der Rotoren verklang, spürte er, wie seine Panik wuchs, und er bewegte sich schneller, kroch auf zerschrammten und blutigen Knien, hielt mit einer Hand das trübe Licht, stützte sich mit der anderen ab, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er drehte sich nicht um, denn er wusste, dass hinter ihm im schwarzen Dunst der Feind lauerte. Unsichtbar, aber da. Und er kam näher.
Als das Telefon in der Küche klingelte, war Bosch augenblicklich wach. Er zählte das Läuten, fragte sich, ob er die ersten ein, zwei Male überhört hatte, fragte sich, ob der Anrufbeantworter angestellt war.
War er nicht. Der Anruf wurde nicht entgegengenommen, und erst nach dem achten Mal hörte das Läuten wie üblich auf. Geistesabwesend überlegte er, woher diese Vorschrift stammen mochte. Wieso nicht sechsmal? Wieso nicht zehn? Er rieb seine Augen und sah sich um. Wieder lag er in seinem Wohnzimmersessel, dem weichen Lehnstuhl, dem Herzstück seiner dürftigen Möblierung. Er betrachtete ihn als seinen Bereitschaftssessel. Was allerdings eine nicht ganz zutreffende Bezeichnung war, denn in diesem Sessel schlief er oft, sogar wenn er dienstfrei hatte.
Morgenlicht drang durch einen Spalt in den Vorhängen und lag grell auf dem abgebeizten Kiefernholzboden. Er sah Staubteilchen vor der gläsernen Schiebetür träge im Licht taumeln. Die Lampe auf dem Tisch neben ihm war an, und im Fernseher lief ohne Ton eine Sonntagmorgen-Jesus-Show. Auf dem Tisch neben dem Stuhl die Gefährten seiner Schlaflosigkeit: Kartenspiel, Illustrierte und Krimis. Letztere kaum durchgeblättert, dann weggelegt. Er sah eine zerknüllte Zigarettenschachtel und drei leere Bierflaschen – verschiedene Sorten aus verschiedenen Sixpacks. Bosch war vollständig bekleidet, einschließlich einer zerknitterten Krawatte, die mit einem silbernen 187er Krawattenclip an sein weißes Hemd geklemmt war.
Er fasste an seinen Gürtel und dann nach hinten in die Nierengegend. Er wartete. Als sich der elektronische Pieper meldete, stellte er das entnervende Geräusch augenblicklich ab. Er nahm das Gerät von seinem Gürtel und sah sich die Nummer an. Er war nicht überrascht. Er kam aus dem Sessel hoch, streckte sich, knackte mit den Gelenken in Nacken und Rücken. Er ging in die Küche, wo das Telefon auf dem Tresen stand. »Sonntag, 8:53 Uhr«, schrieb er in ein Notizbuch, das er aus seiner Jackentasche holte, bevor er wählte. Als es zweimal geklingelt hatte, meldete sich eine Stimme: »Los Angeles Police Department. Hollywood Division, Sie sprechen mit Officer Pelch. Was kann ich für Sie tun?«
Bosch sagte: »In der Zeit, die Sie brauchen, das alles loszuwerden, könnte jemand zu Tode kommen. Geben Sie mir den wachhabenden Sergeant.«
Bosch fand in einem Küchenschrank ein neues Päckchen Zigaretten und steckte sich die erste Kippe des Tages an. Er spülte Staub aus einem Glas und füllte es mit Leitungswasser, dann nahm er zwei Kopfschmerztabletten aus einer Plastikflasche, die auch in dem Schrank stand. Gerade schluckte er die zweite davon hinunter, als ein Sergeant namens Crowley abnahm.
»Was ist, hab ich dich aus der Kirche geholt? Bei dir zu Hause hat keiner abgenommen.«
»Crowley, was hast du für mich?«
»Na ja, ich weiß, wir haben dich letzte Nacht wegen dieses Fernsehmords rausgeholt. Aber du bist immer noch dran. Du und dein Partner. Das ganze Wochenende. Das heißt also, du kriegst die Leiche oben in Lake Hollywood. In einer Röhre an der Zufahrtsstraße zum Mulholland-Damm. Kennst du die?«
»Ich weiß Bescheid. Was noch?«
»Die Streife ist da. ME und SID sind informiert. Meine Leute wissen noch nicht, was sie da haben, nur dass es eine Leiche ist. Der Tote steckt gut zehn Meter tief in der Röhre. Na ja, sie wollen nicht ganz reingehen und an einem möglichen Tatort irgendwas durcheinanderbringen. Ich hab gesagt, sie sollen deinen Partner anpiepen, aber der hat sich nicht gemeldet. Ans Telefon geht er auch nicht. Ich dachte, ihr beiden wärt vielleicht zusammen oder so. Dann fiel mir ein, dass er bestimmt nicht dein Typ ist. Und du nicht seiner.«
»Ich werd ihn schon finden. Wenn sie nicht ganz reingegangen sind, woher wissen sie dann, dass es eine Leiche ist und nicht bloß einer, der seinen Rausch ausschläft?«
»Sie sind wohl ein Stück weit drin gewesen und haben mit einem Stock ordentlich an dem Mann rumgestochert. Der ist steif wie ein Schwanz in der Hochzeitsnacht.«
»Sie wollen an einem Tatort nichts durcheinanderbringen und stochern mit einem Stock an der Leiche rum. Das ist ja toll. Sind diese Typen bei uns, weil die Zugangsbestimmungen zum College verschärft worden sind, oder was?«
»Hey, Bosch, wir kriegen einen Anruf, und wir müssen ihm nachgehen. Okay? Möchtest du, dass wir unsere Leichenfunde direkt ans Morddezernat weiterleiten? Ihr Jungs wärt nach einer Woche reif für die Anstalt.«
Bosch zerdrückte СКАЧАТЬ