Verrückt nach den Roten. Danyel Reiche
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Название: Verrückt nach den Roten

Автор: Danyel Reiche

Издательство: Bookwire

Жанр: Сделай Сам

Серия: Werkstatt Fanbuch

isbn: 9783895336935

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СКАЧАТЬ ab. Zuverlässig ratterte es am Morgen nach den 96-Spielen, wenn mir mein Vater die Spielberichte aus den hannoverschen Zeitungen sendete. So hilflos, so untätig den Sturz der Roten in die Drittklassigkeit zu verfolgen, es war grauenvoll. Wahrscheinlich war ich an allem schuld – wie konnte ich in so weiter Ferne die Mannschaft unterstützen? Natürlich gar nicht.

      Umso schöner war es dann aber auch, als zu einem Zeitpunkt, da ich mit meinem Fußball-Fanleben fast schon abgeschlossen hatte, wieder Faxe eingingen: Auftaktsieg in Herzlake, Euphorie um neue Spieler wie Otto Addo, Zuschauerrekorde (für Drittliga-Verhältnisse) in Hannover – die Artikel machten Lust auf Fußball auch in Liga 3.

      Mein erstes Spiel in der Regionalliga, ziemlich direkt nach meiner Rückkehr nach Deutschland im Herbst 1996, war ein hoher Kantersieg gegen die Amateure vom Hamburger Sportverein (7:0, 14. Spieltag). Die Fußballwelt war für mich wieder in Ordnung, auch dank einer Dauerkarte, die mir mein Patenonkel für die Rückrunde schenkte.

      Eine komplette Halbserie zu verpassen, wie die Abstiegs-Rückrunde der Saison 1995/96, so etwas sollte mir nie wieder passieren.

      Ein Jahrzehnt später wurde meine Leidensfähigkeit aber noch mal ordentlich auf die Probe gestellt. Im Mai 2006 erhielt ich die Nachricht, dass ich ab August 2006 für ein Jahr Gastprofessor in Washington DC werden sollte. An der renommierten School of Foreign Service der Georgetown University, wo unter anderem der ehemalige US-Präsident Bill Clinton, EU-Kommissionspräsident Barroso, der spanische Kronprinz Felipe sowie der jordanische König Abdullah II. studiert haben und Madeleine Albright, die ehemalige US-Außenministerin, als Dozentin lehrt. Nach meiner Habilitation im Fach Politikwissenschaft war das der absolute berufliche Höhepunkt. In die Euphorie mischten sich aber schnell Zweifel: Würde ich die Trennung von meinen Roten verkraften? Die Erinnerungen an die Zeit in Südafrika wurden wieder wach: Würde ich wieder leiden, würde es wieder einen sportlichen Absturz geben, oder würde ich gar zum Baseball-Fan konvertieren?

      Als Präventivschlag gegen Letzteres wurde ich noch kurz vor meinem Abflug Vereinsmitglied. Während sich die meisten Dauerkarten-Besitzer, die zugleich Mitglied sind, für eine goldene Dauerkarte entscheiden, bestand ich zur Verblüffung der Mitgliederbetreuung auf zwei getrennten Karten: einen Mitgliederausweis und eine Dauerkarte. Letztere konnte ich dann zum Verleihen bei meinem Dauerkartennachbarn Malte in Hannover deponieren, während der Mitgliederausweis prominent in meinem Portemonnaie platziert und bei jedem Bezahlvorgang in den USA sichtbar wurde.

      Aus Washington schrieb mir die Direktorin: Mein Arbeitsvertrag laufe ab dem 1. August 2006, aber da die Vorlesungen erst Ende August beginnen, würde es ausreichen, wenn ich Mitte August mein Büro bezöge und vorher von zu Hause aus arbeite. »Mitte August« – der erste Bundesliga-Spieltag sollte am Wochenende des 11./12./13. August liegen. Somit buchte ich meinen Flug für Montag, 14. August, und hoffte auf ein Heimspiel, wäre aber im Zweifelsfall auch nach Cottbus oder Mainz gefahren. Meine Stoßgebete wurden erhört, die Saison begann mit einer Partie in heimischen Gefilden gegen Werder Bremen. Dabei erlebte ich nicht nur das bewegende Abschiednehmen von Per Mertesacker, der vor der Saison nach Bremen gewechselt war, sondern auch eine 2:4-Auftaktniederlage. Dennoch reiste ich mit einem guten Gefühl am nächsten Tag in die Hauptstadt der USA. Ich bin dabei gewesen, und nicht nur das erste, sondern höchstwahrscheinlich auch das letzte Rückrunden-Heimspiel sollte ich miterleben. Über Weihnachten gab es für einige Wochen Vorlesungsunterbrechung, und ich würde genau zum Spiel gegen Arminia Bielefeld wieder in der guten alten Landeshauptstadt sein – wenn die DFL das Spiel nicht für Freitagabend terminieren sollte. Dies war zum Glück nicht der Fall, und so landete ich am Samstagmittag in Hannover und machte mich sogleich in die AWD-Arena auf, die für mich immer noch das gute alte Niedersachsenstadion ist.

      Ich sah aber in der Hinrunde der Saison 2006/07 nicht nur die Heimspiele gegen Bremen und Bielefeld, sondern – für mich völlig überraschend – auch die gegen Leverkusen und Stuttgart sowie das Pokalspiel gegen Duisburg. Vortragsanfragen aus Deutschland – ich bin ein Experte für erneuerbare Energien – kam ich gerne nach, nachdem mir nicht nur die Übernahme der Flugkosten zugesichert wurde, sondern mein Blick auf den Spielplan auch ergab, dass dies prima mit einem Heimspiel zu verbinden ist. In der Rückrunde hatte ich ähnliches Glück und sah das Heimspiel gegen Dortmund (das 4:2 gewonnen wurde und in dem Arnold Bruggink seine ersten beiden Tore für 96 erzielte), die Auswärts-Niederlage in Bielefeld und das letzte Heimspiel gegen Nürnberg, in dem leider die UI-Cup-Teilnahme vergeigt wurde.

      Auch das restliche Saisongeschehen konnte ich in den USA intensiv verfolgen, vor allem dank des Internets sowie des nordamerikanischen Spartensenders GOL TV, der bis zu vier Bundesliga-Spiele am Wochenende live überträgt. Meine Vermieterin Tracy fragte ich, ob sie mich zu einem glücklichen Mann machen wolle. Fragend und erwartungsvoll zugleich schaute sie mich an. Schließlich, nach einer kleinen Kunstpause, schob ich nach, ob sie diesen Fußballsender für mich abonnieren könnte. Sie lachte – und griff zum Telefonhörer, um beim Kabelanbieter Comcast die Bestellung in Auftrag zu geben.

      Als Alternative zum heimischen Fernseher und zur Bundesligakonferenz im Internetradio (von NDR 2 oder der Deutschen Fußball Liga, DFL) bot sich noch im Herzen der schönen Stadt, mitten auf der Connecticut Avenue, die Lucky Sports Bar an, die neben der Champions League (zu der CL-Zeit musste ich in der Regel allerdings an der Uni unterrichten) die Spiele aus den großen europäischen Ligen übertrug. Die Lucky Sports Bar war ein kosmopolitischer Ort und Treffpunkt von Menschen aus verschiedensten Nationen. Der Wirt, ein fußballverrückter Waliser, hat die Bar mit Fanschals aus aller Herren Länder verziert und bietet seinen Gästen nicht nur das zuweilen leicht gewöhnungsbedürftige amerikanische, sondern auch europäisches Bier an. Noch dazu glänzt die Lucky Sports Bar mit 25 Bildschirmen und diversen Satellitenprogrammen, so dass der Satz auf der Homepage »We’re ready for your favorite team« mehr als eine hohle PR-Phrase ist.

      Hier lernte ich auch US-Amerikaner kennen, die eigens zur WM nach Deutschland eingeflogen waren und von den Stadien sowie den (aus ihrer amerikanischen Perspektive) perfekt organisierten öffentlichen Verkehrsmitteln schwärmten. Beseelt von mir und meinem Besucher Malte, versprach uns ein Amerikaner sogar, auf der Webseite von »Hanover Ninety-six« ein Trikot von Steven Cherundolo zu ordern. Ob das amerikanische Freundlichkeit oder ernster Vorsatz war, wir werden es nie erfahren …

      Schöne Stunden verlebte ich in der Lucky Sports Bar, übrigens ganz ohne die damals noch aus deutschen Gaststätten gewohnten Rauchschwaden: In Washington DC galt schon damals, wie in den meisten anderen US-Bundesstaaten auch, ein striktes Rauchverbot. In der Lucky Bar sah ich nicht nur Per Mertesackers erstes Champions-League-Tor im Dress von Werder Bremen gegen Chelsea London (wegen eines Feiertages in den USA konnte ich – offenbar eine Fügung des Fußballgottes – diesem historischen Ereignis beiwohnen statt unterrichten zu müssen), sondern auch gemeinsam mit meinem Besucher Malte den Auswärtssieg der Roten in Wolfsburg durch zwei Treffer von Thomas Brdaric.

      Nicht nur mit Besuchern wie Malte konnte ich über die Roten fachsimpeln. In Washington lernte ich über meinen inzwischen guten Freund Axel von der Deutschen Botschaft (leider Fan des Hamburger Sportvereins, also des kleinen HSV) noch den aus Hannover stammenden Jan kennen. Sein Opa Günther Neutze war in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren nicht nur einer der bekanntesten deutschen Schauspieler, sondern auch bundesweit als Fan der Roten bekannt. Bei seinem Deutschland-Aufenthalt Weihnachten 2007 gewährte mir Jan einen Einblick ins Fotoalbum der Familie Neutze, das unter anderem Zeitungsartikel mit Fotos von Günther als Teilnehmer beim 96-Training zeigt sowie einen Ausschnitt aus der Stadionzeitung mit einem Porträt des Promi-Fans.

      Mit seinem Bruder Hanns Lothar, ebenfalls ein begnadeter Schauspieler, besuchte Günther 1954 die Mannschaft im berühmten »Geheimtrainingslager« der Roten in Bendestorf vor dem historischen Meisterschaftsendspiel gegen Kaiserslautern in Hamburg. Wie der Autobiografie von Fiffi Kronsbein zu entnehmen ist, hat sich der Trainer darüber »besonders gefreut«.

      Mit Jan und später auch seinem Kumpel Lutz konnte ich in der Ferne über die Roten СКАЧАТЬ