Название: Engadiner Abgründe
Автор: Gian Maria Calonder
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783311700050
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Den Brand ausgelöst hatte ein kleiner gelber Heißluftventilator, Marke Rextherm, der unter der Werkbank stand. Die Feuerwehr hatte, um die Stromzufuhr zu kappen, schlicht den Stecker gezogen. Capaul konnte sich denken, dass man kalte Füße bekam, wenn man hier im Winter hobelte: Zu drei Seiten hin war der Heustall großflächig nur mit Latten verkleidet, in die Verzierungen gesägt waren, die den Durchzug verstärkten. Den Brand schien eine Verkettung unglücklicher Umstände ausgelöst zu haben: Der Alte hatte unter der Werkbank einige Zeitungsbündel gestapelt gehabt, eines war offenbar vom Stapel gefallen und hatte eine Spanholzkiste derart angestoßen, dass die daraufliegende Schachtel Skiwachs und Belagsreiniger auf jenes Bündel gerutscht und damit direkt der Heißluft ausgesetzt gewesen war. Das Wachs war geschmolzen, hatte das Papier getränkt, dieses hatte sich entzündet, und die aufsteigende Hitze hatte eine Plastikflasche mit Farbreiniger schmelzen lassen, die auf der Werkbank gestanden und deren Inhalt ebenfalls zu brennen begonnen hatte. Glücklicherweise waren die Flammen schnell verpufft und hatten sich nirgends tiefer ins Holz gefressen, verkohlt war lediglich die Unterseite der Werkbank.
Um den Rapport abzuschließen, brauchte Capaul nun bloß noch Pinggeras Aussage und Unterschrift sowie eine Stellungnahme des Arztes, bei dem er eingeliefert worden war. Dass er noch einen Blick in den Wohnteil des Hauses werfen wollte, war pure Neugierde. Er kam auch nicht weit, auf halbem Weg erschreckte ihn eine fuchsrote Katze, die ihm plötzlich von einem der Heuböden vor die Füße sprang, daraufhin machte er kehrt und ging zurück zum Wagen.
Die Sicht talaufwärts auf die Alpen war noch imposanter. Hinter der ewigen Weite des Hochtals wirkten sie gleichzeitig verloren und drohend, und Capaul hätte um ein Haar die Ausfahrt nach Samedan verpasst.
Auch der Parkplatz des Spitals kostete, und nachdem er geparkt hatte, ging er nochmals zur Schranke zurück, um herauszufinden, wie er zu einem Beleg für die Spesenabrechnung kam, den zu beziehen hatte er in Zuoz versäumt.
Die Frau an der Pforte verwies ihn an einen gewissen Dr. Hauser, sie sprachen sich im Flur. »Herr Pinggera absolviert noch einen Lungenfunktionstest, der aber bisher unauffällig verläuft«, erklärte Hauser. »Abgesehen von seiner altersbedingten Verwirrung scheint alles in Ordnung. Wenn Sie kurz warten, können Sie ihn gleich nach Hause fahren.«
Capaul notierte, dann fragte er: »Wenn er verwirrt ist, wie Sie sagen, besteht dann nicht die Gefahr, dass er gleich noch so etwas anrichtet?«
»Oh, sein Neffe wird sich um ihn kümmern, Pinggera Rudi. Und morgen früh sieht die Spitex vorbei, das ist schon organisiert. Das Wichtigste ist, dass er viel trinkt.«
Die Bemerkung stieß Capaul darauf, dass er selbst viel zu wenig getrunken hatte, das erklärte seinen wachsenden Brummschädel. Während Hauser zurück zu Pinggera ging, suchte er eine Toilette, um vom Hahn zu trinken. Bevor er sie fand, zupfte ihn eine junge Frau am Arm, die wohl die Schwesternhilfe war.
»Sind Sie der Polizist?«
Rainer Pinggera war entlassen worden und wartete in der Cafeteria auf ihn. Er war ein kleines, verkrümmtes Männchen mit roter Strickmütze, das exzessiv in der Nase bohrte.
»Da drin ist immer noch alles voller Ruß«, erklärte er, als Capaul sich neben ihn setzte und anbot, ein Taschentuch zu besorgen. »Aber geh weg, du, ich warte auf die Polizei.«
»Ich bin die Polizei.«
»Du?« Pinggera wollte vielleicht lachen, es kam ein Husten. »Ausweis her.«
»Den bekomme ich erst am Montag.«
»Ja, aber davor fängst du dir eine. Der Pinggera Rainer kann sich wehren. Bist du überhaupt volljährig? Richte denen aus, wenn sie mich schon umbringen lassen wollen, dann durch einen richtigen Kerl. Oder noch besser durch so eine Killerblondine.«
»Niemand will Sie umbringen«, versicherte Capaul. »Sie sollten nur diesen Ofen nicht mehr benützen, den Rextherm. Sie hatten sehr viel Glück.«
»Sieh mich an«, befahl Pinggera. »Ein Leben lang war ich vom ersten April bis zum ersten Oktober in kurzen Hosen unterwegs, aus Prinzip, außer zum Holzen. Und was haben wir? September. Im September werde ich wohl heizen.«
»Sie tragen keine kurzen Hosen«, bemerkte Capaul.
»Nein, weil mir die neue Mode nicht gefällt. Wir hatten einen fahrenden Händler aus dem Vorarlberg, den Gustl. Irgendwann hat er übergeben, der Nächste auch, aber wir nannten sie alle Gustl. Gustl kam mit dem Handkarren, einmal im Jahr, und zwar im Juni, er brachte die Ware, die man bestellt hatte, dann zeigte er den Katalog, und man bestellte fürs nächste Jahr: Heuhemden, Wollhosen, Melkmützen. Anno ’97 kam er das letzte Mal, es hat ihm nicht mehr rentiert. Seither trage ich auf, was ich noch habe, danach kann ich sterben. Aber wie gesagt, das ist Qualitätsware, so schnell werdet ihr mich nicht los.«
»Ich will Sie nur heimbringen.«
»So nennt ihr das. Ich gehe mit keinem als mit Rudi.«
»Das ist Ihr Neffe, ja? Ich sorge dafür, dass man ihn ruft.«
Er tat es, danach warteten sie schweigend, Capaul sah Pinggera beim Nasebohren zu. Manchmal erwiderte Pinggera den Blick, sah ihn forschend an, und endlich sagte er: »Du hast Augen wie eine Kuh. Das ist ein Kompliment, woher hast du die?«
»Es hieß, von meinem Vater. Der war Sizilianer.«
»War? Hast du ihn auch kaltgemacht?«
»Niemand will Sie kaltmachen«, versicherte Capaul nochmals. Er wollte sich eben erkundigen, ob die Empfangsfrau Rudi erreicht hatte, da kam er durch die Tür, und Capaul begriff, warum Dr. Hauser den Namen so herausgestrichen hatte, als müsste man ihn kennen.
Pinggera Rudi trug Sportkleidung, doch im Gegensatz zu der italienischen Sippschaft in Ski-Vollmontur, die den Empfang blockierte und dabei wie ein Pulk Osterhasen aussah, kam er daher wie ein Prinz.
Sein silberfarbener Ski-Anzug war offensichtlich maßgeschneidert, dazu hatte er den lässigen Gang eines Menschen, dem in seinem Leben alles glückt.
»Ach, Onkelchen«, rief er quer durch den Raum, »muss man dich jetzt rund um die Uhr bewachen?«
II
»Du hättest mich sehen sollen«, erzählte Rainer Pinggera seinem Neffen, während sie ihn zu Rudis Auto führten. Es stand nicht auf dem Besucherparkplatz, sondern im Personalbereich gleich beim Eingang. »Ich mit dem Gartenschlauch wie damals der Jenatsch. Ich sage dir, so leicht erledigen sie mich nicht.«
»Welcher Jenatsch? Der Schuhmacher von Ftan?«
»Nein, der Kämpfer natürlich, der Jenatsch eben.«
»Der Jürg? Den haben sie aber sehr wohl erledigt. Erst hat ihn einer, als Bär verkleidet, über den Haufen geschossen, die anderen sind danach mit Axt und Knüppeln über ihn her. Ich muss es wissen, Onkelchen, ich war im Schultheater der Bär.«
»Dann eben nicht wie der Jenatsch. Du hättest mich trotzdem sehen sollen.«
Rudi steuerte einen silbernen Mercedes C-Klasse an.
»Sind Sie der neue Polizist?«, fragte er.
»Ab Montag«, sagte Capaul.
»Ab СКАЧАТЬ