Die letzte Crew des Wandersterns. Hans-Arthur Marsiske
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Название: Die letzte Crew des Wandersterns

Автор: Hans-Arthur Marsiske

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: heise online Welten

isbn: 9783947619443

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СКАЧАТЬ Frühstück hatten sie gerade erst über „2001: A Space Odyssey“ gesprochen. Juri hatte natürlich recht, nach einer Hinterlassenschaft von Außerirdischen auf dem Mond, so wie in dem Film, war noch nicht ernsthaft gesucht worden. Die Apollo-Astronauten hatten dafür damals weder die Zeit noch die Ausrüstung gehabt und seitdem war niemand mehr dort gewesen.

      In den letzten Jahren jedoch, als die Frage nach den nächsten Zielen der bemannten Raumfahrt sich zu so einer unerwartet breit und leidenschaftlich geführten Debatte entwickelt hatte, hatte die Idee neue Attraktivität gewonnen – in verwandelter Form: Jetzt ging es nicht mehr um die Suche nach einer Botschaft, sondern darum, selbst eine zu hinterlassen.

      Auf dem Mond sollte ein Archiv der Menschheit entstehen, das einen möglichen Untergang der irdischen Zivilisation überdauern konnte. Zukünftige Besucher sollten von der Geschichte der Bewohner des dritten Planeten im Sonnensystem erfahren, seien es Wesen von fernen Sternsystemen – oder Nachfahren der Menschen, die in einer fernen Zukunft vielleicht erneut die Raumfahrt entwickeln würden.

      Das Archivexperiment war das erste, das aus einer Volksabstimmung hervorgegangen war – betreut von Nick, dem letzten US-Bürger, der die Internationale Raumstation besuchte. Dass er überhaupt hier sein konnte, verdankte er den Europäern.

      Denn eigentlich hätte die Station schon längst in der Atmosphäre verglüht und im Ozean versenkt sein sollen. Doch dann war die europäische Sonde ExoMars auf dem roten Nachbarplaneten gelandet und hatte die Marsproteine entdeckt. Es war erstaunlich schnell gegangen. Bereits die ersten Bodenproben, geborgen aus knapp zwei Metern Tiefe, hatten starke Hinweise enthalten. Nachdem weitere Proben untersucht und die Daten kritisch überprüft worden waren, hatte die ESA im Frühjahr 2021 verkündet, dass ihre Sonde auf dem Mars Moleküle identifiziert habe, die offensichtlich biologischen Ursprungs waren.

      Es lag nahe, eine Probe davon zur Erde zu bringen, um sie gründlich untersuchen zu können. Doch die Marsproteine, so viel hatten schon die ersten Analysen gezeigt, waren für das hiesige Leben eine potenzielle, völlig unkalkulierbare Bedrohung, ein Transport zur Erdoberfläche nicht zu verantworten.

      Die Internationale Raumstation dagegen bot hervorragende Möglichkeiten für genauere Untersuchungen in sicherem Abstand von der irdischen Biosphäre. Nur war deren Stilllegung im Jahr 2024 beschlossene Sache – dem Jahr, in dem eine Probenrückholmission frühestens starten konnte.

      Angesichts der Bedeutung der Entdeckung hatten sich die übrigen Partner der Raumstation dem Wunsch der Europäer nach einer Verlängerung des Betriebs um weitere vier Jahre nicht verschließen können. Auch die Amerikaner hatten zugestimmt, obwohl sie mit der „Bonusrunde“ im All zunächst nicht viel anzufangen wussten. Die einstige Führungsmacht war innerlich zerrissen, hatte mit ihrem weltpolitischen Bedeutungsverlust zu kämpfen und suchte nach neuen Orientierungen. Große, langfristig angelegte Projekte hatten es da besonders schwer.

      Auch die Raumfahrt litt seit Jahren unter unsicheren Budgetplanungen, die immer wieder revidiert wurden und schließlich zu technischen Rückschlägen führten. Vor allem die Explosion der neu entwickelten Trägerrakete hatte die Pläne für bemannte Missionen auf unbestimmte Zeit zurückgeworfen.

      In diesem Klima der Verunsicherung war die Idee, das Forschungsprogramm auf der Internationalen Raumstation zum Thema einer groß angelegten Volksabstimmung zu machen, auf fruchtbaren Boden gefallen. Die Diskussionen darüber, wie die vier zusätzlichen Jahre in dem orbitalen Forschungskomplex genutzt werden sollten, hatten gleich nach der eher widerwillig getroffenen Entscheidung der NASA für eine weitere Verlängerung eingesetzt.

      Rasch hatte sich eine breite öffentliche Debatte entwickelt, bei der weniger technische Detailfragen im Mittelpunkt gestanden hatten, sondern der Weltraum zur Projektionsfläche für gesellschaftliche Fragen und grundsätzliche Überlegungen zur zivilisatorischen Entwicklung geworden war.

      Was wollen wir im All? Wozu der Aufwand, wenn wir dort doch wieder nur weitermachen wie hier unten auf der Erde? Ist das Ganze nicht ein aussichtsloser Versuch, vor uns selbst davonzulaufen? Solche Fragen wurden seit einigen Jahren leidenschaftlich diskutiert, aber auch mit großem Ernst, wie Nick bei vielen Vortragsveranstaltungen immer wieder erlebt hatte.

      Die Archivprojekte hatten sich in der Debatte sehr gut behaupten können. Sie verknüpften auf überzeugende Weise Vergangenheit und Zukunft der Menschheit und schafften dadurch einen Rahmen, in dem große geschichtliche und philosophische Fragen ebenso erörtert werden konnten wie konkrete Probleme bei der technischen Umsetzung der Idee.

      Eher geisteswissenschaftlich orientierte Menschen, die bevorzugt in Geschichten dachten, konnten sich daher ebenso einbringen wie Ingenieure, Naturwissenschaftler oder Ökonomen, die sich eher an Zahlen und Tabellen orientierten. Die Idee eines Menschheitsarchivs hatte Personengruppen zusammengebracht, die sonst kaum miteinander geredet hatten und so eine integrative Kraft entwickelt, die in dieser Zeit der kulturellen Zersplitterung von vielen als sehr wohltuend erlebt worden war.

      Allen Beteiligten war klar gewesen, dass eine gewaltige Aufgabe vor ihnen lag, die nur in einer gemeinsamen Anstrengung bewältigt werden konnte. Wie sollten sich die geschichtlichen Erfahrungen zu Krieg und Frieden, Freiheit und Herrschaft, Ideal und Wirklichkeit, die doch so vielfältig und kontrovers gesehen werden konnten, in einem Archiv zusammenfassen lassen?

      Und selbst wenn das gelänge, wie sollten diese Erkenntnisse dauerhaft und zuverlässig über viele tausend oder gar Millionen Jahre gespeichert werden? Wie sollte ein der irdischen Sprachen Unkundiger diese Informationen nutzen können?

      Jetzt zahlte sich aus, dass die Befürworter eines Menschheitsarchivs in früheren Jahren gut gearbeitet hatten und exzellent vorbereitet waren, um zügig einen überzeugenden Vorschlag vorzulegen, wie die vier zusätzlichen Jahre auf der Raumstation zumindest die technische Realisierung der Idee voranbringen konnten.

      So hatte Nicks Kollege Steve Bonham bereits vor über zwei Jahren Materialproben auf der externen Forschungsplattform des japanischen Moduls Kibõ installieren können. Nicks Aufgabe war es jetzt, die Experimentalphase zu beenden und die Proben zur Erde zu bringen. Dort wollten sich Forscher dann genau ansehen, wie sich die verschiedenen Datenspeicher unter Weltraumbedingungen, insbesondere bei erhöhter Strahlungsbelastung, verändert hatten.

      Seine Vorträge über diese Mission begann Nick häufig mit einer Frage ans Publikum, wobei er sich bemühte, sie möglichst mehrdeutig klingen zu lassen: „Eine Botschaft, die vielleicht erst in Millionen Jahren entdeckt wird. Woraus soll die eigentlich bestehen?“

      An den Reaktionen seiner Zuhörer konnte er oft erkennen, ob sie sich mehr für den Inhalt der Mitteilung interessierten oder auch für das Material, mit dem sie gespeichert würde. Manchmal hatte schon hier jemand die provokative Frage gestellt, ob die Menschheit es denn überhaupt wert sei, dass das Universum sich an sie erinnere.

      „Was wir bisher vollbracht haben, erfüllt mich nicht gerade mit Stolz“, hatte einer einmal gesagt. „Sollten wir darüber nicht lieber den Mantel des Schweigens ausbreiten?“

      Nick konnte sich noch gut daran erinnern. Der Hörsaal an der University of Illinois in Urbana-Champaign, der amerikanischen Universitätsstadt, war brechend voll gewesen, einige hatten auf den Treppenstufen gesessen, andere stehen müssen. Trotz der Fülle hatte eine konzentrierte Stille geherrscht.

      „Stolz ist bei mir auch nicht gerade die vorrangige Empfindung, wenn ich die bisherige Menschheitsgeschichte betrachte“, hatte Nick eingeräumt, um gleich darauf hinzuzufügen: „Aber ist es dann nicht umso wichtiger, etwas zu hinterlassen? Wenn wir solchen Mist gebaut haben, sollten wir andere vielleicht besser davor warnen, die gleichen Fehler zu begehen.“

      Er hatte СКАЧАТЬ