Zwei und zwei. Tessa Hadley
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Название: Zwei und zwei

Автор: Tessa Hadley

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783311701217

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СКАЧАТЬ Junge mit dem rötlichen Stoppelbart war eindeutig ein Fehlgriff gewesen.

      »Würden Sie uns bitte allein lassen?«, sagte Alex. »Ich habe ihr etwas mitzuteilen.«

      Grace hielt sich die Ohren zu. »Nein, nein, sag’s mir nicht. Ich will es nicht wissen! Ich will es nicht hören!«

      Der Junge war verwirrt. »Was soll das alles?«

      »Es tut mir so leid, meine liebste Grace«, sagte Alex.

      »Erzähl’s mir nicht!«, rief sie.

      Hinterher sagte sie, sie habe es gewusst, sobald sie die Augen aufgeschlagen und sein Gesicht gesehen habe. »Du solltest dein Gesicht sehen, Alex. Es verrät alles. Und natürlich, wenn jemand anders gestorben wäre, wäre Dad gekommen, um es mir zu sagen.«

      Auf der Fahrt nach Hause hielt sie ihren kleinen Rucksack auf den Knien und war ganz sie selbst: Sie schaute aus dem Fenster, nahm alles auf, stellte ihm vernünftige Fragen danach, was passiert war. Er wiederholte ihr alle schon zum Mythos werdenden Einzelheiten über Jane Ogdens neue Ausstellung, Zacharys Umkippen in der Galerie, sein Aufschlagen mit dem Kopf auf dem Schreibtisch. »Aber warum, aber warum?«, fragte Grace, wobei sie durch die Windschutzscheibe starr geradeaus sah, sich kaum wahrnehmbar vor und zurück wiegte, wie ein Kind, und den Rucksack umklammerte, den sie nicht auf den Rücksitz oder auf den Boden legen wollte. Irgendwann verkündete sie, sie sterbe vor Hunger, und sie hielten an einer Autobahnraststätte. Sie verspeiste mit allen Anzeichen gesunden Appetits ein ekelhaftes Zeug – ein komplettes englisches Frühstück; kurz darauf, als sie wieder auf der Autobahn waren, musste er schnell auf den Seitenstreifen fahren. Sie sprang aus dem Wagen und übergab sich in das mit Gänseblümchen durchwachsene hohe Gras, das in sinnlichen Wellen im Wind schwang.

      »Das war melodramatisch«, sagte sie, als sie wieder neben ihm saß und sich den Mund abwischte. »Tut mir leid.«

      »Melodrama ist derzeit angesagt«, antwortete er. »Tu einfach, wonach dir ist.«

      Die Rückfahrt schien doppelt so lange zu dauern wie die Fahrt nach Glasgow. Grace drehte am Radio herum, fand irgendwo Popmusik, und Alex nahm das hin, denn er verstand, dass ein Gespräch für sie schwierig war. Dann holte sie ihr Handy hervor und verschickte SMS. »War das dein neuer Freund?«, fragte er.

      »Um Himmels willen, nein«, sagte sie. »Nur so ein Typ, den ich auf einer Party kennengelernt habe.«

      Er wollte sie ermahnen, sie solle sich von Typen fernhalten, die sie auf Partys kennenlernte, sie gehöre in eine höhere Sphäre, weil sie ein ganz besonderes, seltenes Wesen sei. Aber dafür war jetzt nicht der rechte Moment. Stattdessen sprach er von seinem eigenen Vater, der gestorben war, als Alex etwa in ihrem Alter war. Grace wiegte sich weiter in ihrem Sitz und hörte aufmerksam zu, obwohl sie vermutlich kaum einen Zusammenhang sah zwischen dem, was ihr jetzt widerfuhr und ihr Leben aus den Angeln hob, und seiner alten, von der Zeit abgeschliffenen Geschichte.

      Als er endlich vor der Wohnung parkte, sah er, wie sie sich bei der Aussicht auf die Begegnung mit ihrer Mutter – oder überhaupt einem anderen Menschen – verkrampfte. Als er sie berührte, war der Muskelknoten in ihrem Nacken eisenhart. Oben in der Wohnung war es, als hätten die Frauen sich nicht von der Stelle gerührt, seit er sie verlassen hatte: Lydia an ihrem Stammplatz auf dem Sofa, Christine – die jetzt ein dunkles, marineblaues Kleid trug, vielleicht die unbewusste Wahl einer Trauerfarbe – in dem großen Sessel. Sie wich seinem Blick aus – in Ausnahmesituationen versteckte sie sich lieber hinter ihrer gewohnten Ironie. In dem dunklen Kleid wirkte ihr Gesicht eingefallen, das Fleisch schlaff. Womöglich hatte sie gar nicht geschlafen. Sie tranken nun Kaffee statt Alkohol, das war die einzige Veränderung – und Isobel war dazugekommen, sie stand am Kaminsims, ihrem Spiegelbild in dem vergoldeten Spiegel den Rücken zugewandt, und wartete ruhig und bekümmert. Als Grace hereinkam, noch immer ihren Rucksack umklammernd, ging sie direkt auf Isobel zu, die ihre Arme ausbreitete. Die beiden jungen Freundinnen verhielten sich so spontan in ihrem Leid, dass ihre Mütter daneben wie erstarrt wirkten.

      Es hing eine unerträgliche Erwartung in diesem Raum, in dem Zachary eine Leere hinterlassen hatte, die nicht zu füllen war. Noch vor so kurzer, so greifbar naher Zeit hätten sie darauf warten können, dass er zur Tür hereinkam; sie konnten sich lebhaft vorstellen, konnten sich ausmalen, wie er unter lautstarken Beruhigungen hier eintrat, scherzend, ganz verwirrt von ihren bedrückten Gesichtern. Er war doch immer über alles auf dem Laufenden, hatte immer so viele Neuigkeiten zu verkünden. Es schien unmöglich, dass er nichts von dieser neuesten Nachricht wusste, seinem eigenen Tod.

      »Wo ist Dad?«, fragte Grace. »Ich will ihn sehen.«

      Lydia versuchte ihr das auszureden. »Das ist nur sein leerer Körper, Liebling, er selbst ist nicht mehr da.«

      »Ich liebe seinen Körper. Ich will mich von ihm verabschieden.«

      Dann kündigte Grace an, dass sie eine Totenmaske anfertigen wolle, damit sie später das Gesicht ihres Vaters in Stein meißeln könne. »Ich habe das auf dem ganzen Weg von Glasgow hierher geplant«, sagte sie. »Ich weiß, wo ich erfahren kann, wie man das richtig macht. Ich kenne jemanden, den ich fragen kann.«

      »Als wäre das alles noch nicht grotesk genug«, sagte Lydia schaudernd.

      »Wir sollten nichts überstürzen«, versuchte Alex zu beschwichtigen. »Lasst uns darüber nachdenken.«

      Es werde wohl eine Obduktion geben müssen, meinte er.

      »Ich würde gern bei der Obduktion dabei sein«, erbot sich Grace prompt.

      »Das ist nicht möglich, mein Liebes«, erwiderte er kategorisch. »Nicht möglich und auch nicht wünschenswert.«

      Christine stellte Essen auf dem Küchentisch bereit, aber alle wollten nur Kaffee, den sie tranken, bis er giftig schmeckte. Am Nachmittag begann das Telefon zu klingeln und hörte nicht wieder auf: Freunde, die etwas gehört hatten, oder Künstler, mit denen Zachary gearbeitet hatte und die sich diese Nummer besorgt hatten. Mit Zacharys Bruder hatte Lydia bereits gesprochen, aber es gab noch viele andere, die informiert werden mussten. Alex trug das Telefon nach nebenan ins Arbeitszimmer; wieder und wieder, geduldig bei jedem neuen Schock, musste er die Geschichte erzählen, wie Zachary im Büro umgekippt war und Jane Ogden und Hannah mit ihm ins Krankenhaus gefahren waren. Im Wohnzimmer konnten ihn alle hören. Während er sprach, saßen sie schweigend da, als müssten sie die Geschichte immer wieder hören, mit jedem Anrufer das Staunen neu erleben. Grace hockte, die Stirn an die Knie gelehnt, auf dem Boden; Isobel saß dicht neben ihr auf dem Sofa, die Hand auf Grace’ Haar. Die Mädchen standen sich seit ihrer Kindheit sehr nahe, obwohl sie grundverschieden waren: Grace in ihrer atemberaubenden jungenhaften Schönheit schroff und unbedacht, Isobel stets ausgeglichen und zurückhaltend. Sie hatte als Beamtin im Wohnungswesen blitzschnell Karriere gemacht. Ihre grünen Augen lagen weit auseinander, ihre Haut war rein, ihr hellbraunes Haar zu einem weichen Knoten aufgesteckt.

      »Ich habe mich wegen der Maske erkundigt.« Alex hockte sich vor Grace hin und fasste ihre Hände. »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Warte ab, wie du morgen früh darüber denkst.«

      »Das meiste findet man im Internet«, sagte Grace. »Aber ich muss noch mit jemandem sprechen, der weiß, wo man den richtigen Gips herbekommt.«

      »Habe ich dabei nicht auch ein Wort mitzureden?«, fragte Lydia.

      »Wartet doch erst mal ab, wartet erst mal ab«, begütigte Christine.

      Lydia wollte über Geld reden. Ob Zachary eine Lebensversicherung gehabt habe? Sie habe keine Ahnung, СКАЧАТЬ