Die wilden Jahre. Will Berthold
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Название: Die wilden Jahre

Автор: Will Berthold

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788711727157

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СКАЧАТЬ Ritt zu geben. Die Ferntrauung fand einen Tag vor dem Trommelfeuer statt, mit dem die Russen ihren Stoß auf Stalingrad einleiteten. Ritt wurde verwundet und aus dem Kessel geflogen; ein Oberschenkelschuß, der gerade für das Feldlazarett reichte.

      Er kam wieder an die Front, das Kind zur Welt. Bettina, die er nie wiedersehen wollte und die trotzdem seine Frau geworden war, teilte ihm mit, daß sie kurz vor dem Referendarexamen stehe und daß sie übrigens das Baby Petra getauft habe, statt ihm den unzeitgemäßen Namen Germaine zu geben.

      Mit seiner Verhaftung riß die Verbindung dieser Kriegsehe ab, und so erfuhr Martin erst heute, als Auftakt der Verhandlung, daß Bettina Ritt, geborene Dahlberg, Rechtsreferendarin in Frankfurt, unverzüglich gegen ihn die Scheidung eingereicht und durchgesetzt hatte, wobei im Urteil ihm die Schuld und ihr das Kind zugesprochen wurde.

      Er hatte gleichgültig darüber gelächelt.

      Bettina mochte er nicht, und Petra kannte er nicht, weshalb sie ihm auch nichts bedeutete; man kann ein Kind nicht lieben, das man nicht kennt, sagte er sich, womit seiner Meinung nach alles geregelt war.

      »Vielleicht ist es auch besser«, sagte der Vorsitzende, »Sie halten den Mund – was Sie uns zu sagen hätten, wissen wir ohnedies.« Er lächelte fahrig, »Bitte«, nickte er einem Hauptmann zu, dessen rote Biesen an der Hose auswigsen, daß er zum Generalstab gehörte.

      Er war Zeuge und Ankläger in einem und sagte als Fachmann schlicht aus, daß der angeklagte Hauptmann durch seine Befehlsverweigerung, sprich: Feigheit vor dem Feind, den Zusammenbruch eines ganzen Frontabschnittes verschuldet habe, Weder der General noch die Strategie, noch die Bewaffnung, noch der Nachschub hatten versagt, sondern lediglich ein junger Hauptmann namens Ritt.

      Kriegsgerichtsrat Dr. Schiele hörte dem Generalstabsoffizier scheinbar aufmerksam zu. Er stützte das Kinn in die linke Hand, mit der rechten kritzelte er auf einem Block Männchen, mechanisch, ohne sich etwas dabei zu denken. Als er sie bewußt betrachtete, sahen sie verzweifelt armen Teufeln ähnlich, wie er sie an die Wand stellen ließ.

      »Der Befehl war Ihnen also bekannt?« fragte er.

      »Sicher, Herr Kriegsgerichtsrat.«

      »Sie wußten, was davon abhing, daß die Stellung gehalten wurde? Sie hatten einen klaren Befehl, die Absetzbewegung zu decken und Ihren Abschnitt bis zum letzten Schuß, bis zum letzten Mann, bis zum letzten – bis zum letzten …«

      »Atemzug«, sagte Ritt.

      Der Richter in der Wehrmachtsuniform betrachtete den Angeklagten mit seinen großen glänzenden Augen mehr verdrossen als zornig. Er saß breit und groß zwischen den anderen Offizieren. Im Privatleben bevorzugte er Rotwein, bei seinen Urteilen Strenge, was nicht seiner Neigung, sondern den Umständen entsprach. Der Mann, Rechtsanwalt im Zivilleben, war der Meinung, daß es besser sei, als Marionette an einer Schnur zu hängen als seinen Kopf in die Schlinge zu stecken oder gar am Fleischerhaken zu enden, den das System zu dieser Zeit als Hinrichtungsmethode erfunden hatte.

      »Sie haben also versagt, Angeklagter?« fragte der Kriegsgerichtsrat. »Es war Ihnen nicht gelungen, Ihre Leute in der Stellung zu halten?«

      Er baute diesem sturen Angeklagten eine ärmliche Notbrücke; aber statt sie zu betreten, riß Ritt sie ein.

      »Doch, Herr Kriegsgerichtsrat«, sagte er und lächelte fahl.

      »Was heißt das?« fragte Dr. Schiele scharf.

      »Ich habe meinen Männern ausdrücklich befohlen, die Stellung zu räumen.«

      »Entgegen dem Befehl?«

      »Jawohl.«

      »Können Sie mir erklären, warum?« stieß der Kriegsgerichtsrat zu.

      Der angeklagte Hauptmann lächelte melancholisch. Lohnte es sich, auf diese rhetorische Frage eine Antwort zu geben? Hatte es einen Sinn, zu sagen, daß der Ankläger, Zeuge und Sachverständige ein verlogener Idiot war? Hatte er die geringste Chance vor diesem Tribunal? Sollte er also noch, wie man erwartete, Einsicht zeigen, bevor man ihn erschoß? Mußte er noch von dem zügellosen Rückzug sprechen, von den eingekeilten Kolonnen, von flüchtenden Soldaten, die über ihre sterbenden Kameraden hinwegtrampelten, von den zerrissenen Pferdekadavern, den brennenden Verpflegungslagern, den gesprengten Geschützen, von dem Untergang einer Armee mit Mann und Roß und Wagen?

      »Nein«, sagte Martin Ritt.

      »Sind Sie verrückt?« schrie Dr. Schiele.

      Die Frage war platonisch. Der Psychiater fiel wegen Zeitmangels ohnedies aus. Es war auch kein Recht zu sprechen, sondern ein Exempel zu statuieren.

      So ließ Ritt den Rest der Verhandlung über sich ergehen. Er hob die Schultern, als regne es. Die Worte, die man wie Pfeile gegen ihn abschoß, den rüden Ton – das alles kannte er längst.

      »Sie wissen, was Sie sind?« rief der Vorsitzende.

      Ritt betrachtete ihn, es schien, als sähe das Opfer arrogant auf seinen Richter hinab.

      »Sie sind ein Defaitist! Ein Lump! Ein Vaterlandsverräter!«

      Das Echo schwebte lange im Saal, als hätte sich der Raum längst an Phrasen überfressen.

      Der Angeklagte preßte die Lippen fest aufeinander. In den Mundwinkeln sagten nur verächtliche Falten, daß er mit der Tapferkeit, der Ehre und dem Vaterland fertig sei. An diesen Schlagworten waren zu viele verblutet. Zu viele Menschen wurden von ihnen verhetzt, verdammt und verheizt, als daß sie für den Hauptmann noch einen Sinn gehabt hätten.

      »Sie sind ein Feigling, Mann!«

      Die Falten an den Mundecken des Angeklagten, die einzigen in dem straffen Gesicht, das von sachlichen grauen Augen beherrscht wurde, traten deutlich hervor, zogen Linien zur Nase, als rügten sie die schlechte Luft.

      Feigling? Wie damals am Rand des Schwimmbeckens. Geschlossene Klasse, Dreizehnjährige. Und Müller zwo, der dümmliche, dicke Turnlehrer, deutet auf den Fünfmeterturm. Die Mitschüler zittern vor Angst. Aber sie steigen nach oben, einer hinter dem anderen, schneidig auf Befehl. Weil sie keine Courage haben, legen sie die Mutprobe ab. Bis auf einen, den letzten: Martin.

      Feigling! So brüllten sie ihn zusammen. Auch die Mitschüler jetzt, die es überstanden haben. Dann gehen sie. Und dann springt er. Freiwillig, ohne Überwindung, ohne Furcht vor dem Tadel, ohne Sucht nach dem Lob, vom Fünfmeterbrett. Nach vorn fallen lassen, Arme ausstrekken, Kopfsprung – nicht wie die anderen, mit den Beinen voran.

      »Sie haben das letzte Wort«, sagte der Vorsitzende schroff.

      »Ich verzichte.«

      »Überlegen Sie sich das noch einmal«, entgegnete Dr. Schiele, »vielleicht könnten wir – in Anbetracht …«

      »Ich verzichte trotzdem«, antwortete der Angeklagte und setzte dann noch hinzu: »Ich habe den Krieg satt, der Führer, Großdeutschland – das alles kann mir …«

      Weiter kam er nicht.

      Zehn Minuten später wurde sein Versagen an der Front wie sein Verhalten vor Gericht entsprechend bestraft: »… ist der frühere Hauptmann Ritt«, verlas Dr. Schiele mit erhobener Stimme, »wegen Feigheit vor dem Feind, wegen Befehlsverweigerung und Wehrkraftzersetzung zum Tode durch СКАЧАТЬ