Die wilden Jahre. Will Berthold
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die wilden Jahre - Will Berthold страница 4

Название: Die wilden Jahre

Автор: Will Berthold

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711727157

isbn:

СКАЧАТЬ Er wurde entlaust, durfte baden, erhielt ein frisches Hemd und eine saubere Uniform.

      Der Unteroffizier vom Dienst sammelte seine Tapferkeitsauszeichnungen ein wie ein Gerichtsvollzieher die Schulden; Ritt warf ihm das EK I und jenen Orden, der wie ein Spiegelei aussah, sowie das Verwundetenabzeichen in Silber zu wie Fallobst, sich von seinen Ehrenzeichen genauso lustlos trennend, wie er sie empfangen hatte: Blech.

      II

      Der Tag war schön und kalt, der Winter reckte sein weißes Haupt über schwelende Trümmer. In der flimmernden Luft tänzelten Schneekristalle in giftbunten Farben. Ein Hoch reichte vom Ural bis zum Atlantik. Sein Zentrum stand am 6. Januar 1944 über Deutschland, und das bedeutete Flugwetter, Bomben, Keller, Tod.

      Die Zivilbevölkerung würde Verluste haben.

      Die Fliegenden Festungen kamen in drei, vier Wellen. Die Sirenen heulten erst, als schon die Bomben fielen. Rauchsäulen stiegen steil gegen den Himmel. Geborstene Mauern brannten aus. Viele Menschen unter den Trümmern lebten noch.

      Die erste Welle hatte ihr Ziel getroffen, die zweite war im Anflug.

      Die Menschen in Frankfurt hofften, daß die nächste Ladung die Menschen in Köln treffen würde. Die Menschen in Köln waren erleichtert, als sie hörten, daß die neuen Pulks nach Südosten abdrehten. Die Menschen in den glitzernden Flugzeugrümpfen hofften, daß sie den Feindflug überleben und zu ihren Frauen und Kindern zurückkommen würden; sie dachten nicht daran, daß ihre Luftminen Frauen und Kinder erschlugen.

      Die Ritt-Werke am Stadtrand von Frankfurt, vormals Lessing & Kahn, wurden nicht getroffen. Eine viermotorige Maschine brannte, von der Flak angeschossen, in der Luft. Zwei amerikanische Piloten retteten sich mit dem Fallschirm. Sie landeten auf dem Außengelände der Firma, bevor es ihre Maschine in der Luft zerriß.

      Die beiden US-Soldaten waren Neger, aber ihre Gesichter wirkten nicht schwarz, sondern grau; sie hielten die Hände hoch über dem Kopf, wie bittend, als sich einige Betriebsfunktionäre daranmachten, sie zu lynchen; die Soldaten schrien gellend um Hilfe. Aus den dunklen Gesichtern leuchteten die verdrehten weißen Augäpfel.

      Der Kleinere hatte es leichter; bevor er noch begriff, was mit ihm geschehen sollte, wurde er niedergeschossen. Der andere Amerikaner sah es und riß sich los.

      Er kam nicht weit. Uniformierte hielten ihn auf. Ein paar schlugen auf ihn ein, Weiber kreischten hysterisch. Ein Mann vom Werkschutz schlug ihm mit dem Kolben in die Seite.

      Dann waren die anderen heran.

      Der Soldat hob die Hände, seine Lippen zitterten stumm. Dann rief er flehend: »Don’t do that!« Er sprach, als betete er.

      »Schlag das schwarze Schwein tot!« brüllte eine Hilfsarbeiterin.

      Sie fielen mit Knüppeln, Gewehrkolben und bloßen Fäusten über ihn her; als sie sahen, daß ihm das Blut über das Gesicht lief, zertrampelten sie im Blutrausch seinen Kopf.

      Einige waren betroffen, andere verlegen, als sich der Amerikaner nicht mehr rührte.

      Wehrwirtschaftsführer Friedrich Wilhelm Ritt hatte vom Hauptgebäude aus den Zwischenfall verfolgt. Er fuhr mit dem Wagen zu seinem Außenlager – er kam zu spät. Die Gesichter der abgesprungenen Feindflieger waren nicht mehr grau, sondern rot, soweit noch etwas zu erkennen war.

      Er spürte, wie sich sein Magen umdrehte. Es graute ihm vor dem Verbrechen, das sie verübt hatten, aber er sagte:

      »Geschieht diesen Schweinen ganz recht. Was führen sie Krieg gegen Frauen und Kinder.«

      Friedrich Wilhelm Ritt lief zurück zu seinem Hauptgebäude, leicht vornübergebeugt. Sein Gesicht war gedunsen, schlaff. Die faltige Haut war ihm zu weit geworden, sie machte die Mensurschmisse zu schmalen roten Strichen. Der Wehrwirtschaftsführer sah ungut aus, kränklich.

      Die Sirenen heulten Entwarnung.

      Ritt ging in sein Büro. Er sah lauter Neger mit roten Gesichtern. Indianer, dachte er, Scheißbande. Immer mehr. Aber am Marterpfahl stand er. Delirium tremens, hämmerte es in seinen Schläfen, doch dann kam die Angst wieder, diese quälerische Frage, was nach dem Zusammenbruch geschehen würde.

      Er hätte das Bild der gelynchten Flieger gern in Schnaps ertränkt, aber er mußte auf einen Hoheitsträger von der Gauleitung warten, der sich angesagt hatte, und so blieb der Reichstagsabgeordnete heute länger nüchtern als sonst.

      Der Raum war überheizt, doch Friedrich Wilhelm Ritt fror. Sein Blick war stumpf wie ein Wetzstein, nichts an ihm wirkte mehr markant. Jetzt, im Januar 1944, hätte er gern seinen Führer, durch den er beides geworden war: ein Millionär und ein Mörder, aufgegeben. Aber es war zu spät, er hatte sich zu stark exponiert und hatte zuviel zusammengerafft; deshalb suchte er längst nicht mehr den Luftschutzkeller auf.

      Ritt war Reserveoffizier des Ersten Weltkrieges gewesen, hatte einem Freikorps angehört, wurde nach dessen Auflösung Korpsstudent, Jurist, Syndikus und Arbeitsloser. Nach der Inflation liehen ihm Verwandte Geld. Er kaufte sich in eine Möbelfabrik ein, die zwei Jahre später in Konkurs ging; den Antrag hatte der alte Lessing gestellt, ein jüdischer Mitbürger, und seitdem war Friedrich Wilhelm Ritt ein wilder Antisemit. Er landete folgerichtig bei der braunen Bewegung und blieb ein Nichts im bürgerlichen Leben, bis sein Führer an die Macht kam.

      Er arisierte Betriebe, die später Granaten produzierten, wurde ein wichtiger Mann der Rüstung, für die ein Heer von Ausländern arbeiten mußte. Schufteten die Verschleppten nicht willig, genügte ein Wink des alten Ritt, sie ins KZ zu bringen.

      Er war für viele dieser Einweisungen verantwortlich, aber es belastete ihn nicht; das war anonym geschehen, mündlich, ohne schriftliche Unterlage, ohne jeden Beweis. Der Wehrwirtschaftsführer hatte dabei höchstens telefoniert.

      Der Tag ging langsam zu Ende. Der Mann von der Gauleitung verspätete sich. Ritt war es gleich, was er von ihm wollte.

      Martins Vater saß am offenen Kamin. Er hatte sich in eine Decke gehüllt. Der Kognak war gut chambriert, aber er hielt den Schwenker, als müsse er das Glas anwärmen. Er starrte in das Feuer, dessen Widerschein blutig auf seinem Gesicht flackerte und die Falten beweglich machte, die Augen noch tiefer in die Höhlen senkte, die dünnen Lippen noch starrer formte.

      Er beugte sich nach vorn, starrte in die Flammen des Kamins, die nach oben leckten wie in der Kristallnacht. Und wieder erlebte er den Spuk, brüllte er in der SA-Versammlung.

      Die Instinkte, die sie einst zur Bewegung gebracht hatten, dürfen sich austoben: die Lust, in Massen zu heulen, die Wonne, in Horden zu prügeln, die Gier, in Haufen zu plündern.

      Wieder steht Ritt vor der Synagoge, rüttelt am Tor, schaut zu, wie seine Kameraden das massive Eisengitter aufsprengen, in das Haus drängen, die silbernen Leuchter beiseite stoßen, die Bundeslade umwerfen – und wieder steht ein Mann vor ihnen, einsam, allein, würdig: Kommerzienrat Lessing, Wohltäter und Ehrenbürger der Stadt, der den Brandstiftern entgegentritt, die vor dem weißhaarigen, gebeugten Mann zurückweichen.

      Wieder sieht er den Juden, den Hauptgläubiger, den Mann, der ihn zum Konkurs zwang – und wieder erlebt er, wie er die Hand hebt, Lessing niederschlägt, die anderen heranholt, die den Röchelnden zerschlagen, zertreten, zerfetzen.

      Fast gewaltsam stand der alte Ritt auf und lief mit schweren, unruhigen Schritten durch den Raum. Er wandte СКАЧАТЬ