Название: Revolutionen auf dem Rasen
Автор: Jonathan Wilson
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783730704479
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Obgleich es keine Kultur des Passspiels in Sheffield gegeben haben mag, scheint man dort doch den Ball lang nach vorne geschossen zu haben, um ihn aus der eigenen Verteidigung zu bekommen. Geoffrey Greene berichtet in The World Game, dass die Zuschauer es als „eher belustigend denn bewundernswert“ empfunden hätten, als die Spieler Sheffields 1875 bei einem Schaukampf in London begannen, „den Ball mit ihren Köpfen zu stoßen“. In einem reinen Dribbelspiel hätte der Ball jedoch den Boden niemals verlassen, es sei denn, man hätte ihn – eventuell – über ein angreifendes Bein heben wollen. Kopfbälle wären jedoch nur geboten gewesen, wenn die Bälle auch eine gewisse Strecke in der Luft zurücklegten.
Der Jahresbericht des schottischen Fußballverbandes von 1878 machte deutlich, worum es ging: „Dass das Spiel ein sehr umkämpftes war und dass der Sieg an die bessere Mannschaft ging, wird wohl niemand bestreiten wollen; dass es sich aber um ein schönes Spiel mit unzähligen Demonstrationen kombinierten Dribbelspiels gehandelt hätte, welches die schottischen Mannschaften sonst regelmäßig von allen anderen abgehoben hat, werden nur wenige zugeben wollen. … Man kann sich der Tatsache nicht verschließen …, dass die von der Mannschaft Sheffields am Sonnabend angewandte Taktik insofern zum Teil der Grund dafür war, als man dort mit Regeln spielt, die von den Regelwerken der englischen und schottischen Verbände abweichen, und dass unsere ‚Abseits‘-Regel bei ihnen das Papier, auf dem sie geschrieben steht, fast nicht wert ist. Solcherart gab man sich am Sonnabend auf ihrer Seite den langen Bällen hin; und um auf gleiche Weise entgegenzuhalten, gaben die Männer aus Glasgow jene konzertierte Aktion auf, die sie auf so vielen härter umkämpften Feldern zum Sieg geführt hatte.“
Die Verbreitung des Passspiels selbst – die angesprochene „konzertierte Aktion“ – kann bis zu einem ganz bestimmten Spiel zurückverfolgt werden. 1872 wurde auf dem Hamilton Crescent im Glasgower Stadtteil Partick das erste Fußballländerspiel zwischen England und Schottland ausgetragen. Englands Formation umfasste „Tor“ („Goal“), einen „Dreiviertel-Verteidiger“ („Three-quarter back“), einen Läufer („Half-back“), einen sogenannten Fly-kick, vier schlicht als „Mitte“ („Middle“) aufgeführte Spieler, zwei „Linksaußen“ („Left side“) und einen „Rechtsaußen“ („Right side“). Versuchte man dies auf die moderne Schreibweise zu übertragen, ergäbe sich grob ein leicht schiefes 1-2-7. „In der Regel bestand die Aufstellung der Mannschaft aus sieben Stürmern, und nur vier Spieler bildeten die drei Verteidigungslinien“, schrieb Alcock. „Die letzte Linie war natürlich der Torhüter, vor dem sich lediglich ein echter Verteidiger befand, während dieser wiederum nur Stürmer vor sich hatte, abgesehen von zwei Mann, welche den Ansturm der gegnerischen Angreifer aufhalten sollten.“
Das erste offizielle Länderspiel zwischen England und Schottland 1872 in Glasgow.
Die Schotten wurden durch den FC Queen’s Park vertreten, der bis zur Gründung des schottischen Fußballverbandes im Jahr 1873 über das Spiel in Schottland wachte – ähnlich wie der Marylebone Kricket Club (MCC) beim Kricket oder der Royal and Ancient Golf Club of St. Andrews beim Golf. Die Schotten waren im Schnitt über sechs Kilogramm leichter als die Engländer, so dass die meisten Experten aufgrund des Gewichtsvorteils einen deutlichen Sieg für England erwarteten. Das spricht zwar für die Körperbetontheit des noch jungen Fußballs, allerdings regte dieser Umstand in der Realität eher die Kreativität an. Trotz der nur bruchstückhaften Belege kam Richard McBrearty vom Schottischen Fußballmuseum zu dem Schluss, dass Queen’s Park sich sehr wahrscheinlich dafür entschied, den Ball lieber um die Engländer herum zu passen und sich nicht auf direkte Duelle Mann gegen Mann einzulassen. Dabei nämlich hätten sie sehr wahrscheinlich den Kürzeren gezogen. Ihre Aufstellung war fast sicher ein 2-2-6. Die List zahlte sich aus. Mit seinen stärker verankerten Traditionen und einem wesentlich größeren Reservoir an Spielern war England zwar der eindeutige Favorit, musste sich jedoch mit einem torlosen Unentschieden begnügen. Im Spielbericht des Glasgow Herald hieß es dazu: „Die Engländer waren im Vorteil in Hinblick auf das Gewicht, da sie im Durchschnitt circa 14 Kilogramm schwerer waren als die Schotten [eine leichte Übertreibung], und sie hatten auch den Vorteil, schneller zu sein. Die Stärke des Heimvereins lag darin, dass man ganz ausgezeichnet zusammenspielte.“
Dieser Erfolg mag den Glauben an das Kurzpassspiel als die dem Dribbelspiel überlegene Spielart noch bestärkt haben, tatsächlich war das Passspiel in Schottland aber nichts Neues, sondern beinahe von Beginn an Teil des Spiels gewesen. Als der FC Queen’s Park 1867 gegründet wurde, übernahm man jene Version der Abseitsregel, bei der ein Spieler sie nur dann übertrat, wenn er sich vor dem vorletzten Mann und innerhalb der letzten 16 Meter des Feldes befand. Diese Regelsetzung war dem Kurzpassspiel ohne Frage weitaus zuträglicher als die erste Abseitsregel der FA oder ihre 1866 erfolgte Änderung. Wohl erkannte Queen’s Park die Variante mit drei Mann beim Beitritt zur FA am 9. November 1870 an. Zu diesem Zeitpunkt aber war das Konzept des Kurzpassspiels längst fest verwurzelt. In Schottland war der Ball dazu gedacht, geschossen zu werden, anstatt ihn nur zu dribbeln.
Erstes Länderspiel: Schottland – England 0:0, Partick/Glasgow (Schottland), 30. November 1872.
Alcock hatte schon zuvor vier Spiele zwischen England und einer Mannschaft aus in London wohnenden Schotten arrangiert, welche die Vorläufer der „echten“ Länderspiele darstellten. Nach dem ersten dieser Vorläuferspiele ging Robert Smith, ein Mitglied von Queen’s Park und zugleich Schottlands Rechtsaußen im ersten „echten“ Länderspiel, wiederum auf die Verbreitung des Dribbelns ein. In einem Brief an seinen Klub schrieb er: „Wenn der Ball gespielt wurde, so war es üblich, mit dem Ball am Fuß zu laufen oder zu dribbeln, anstatt sich groß mit hohen oder langen Bällen aufzuhalten.“
Zu den Beweggründen des Beitritts von Queen’s Park zum englischen Verband zählte auch die Hoffnung, leichter Gegner zu finden, die sich zu Spielen nach den standardisierten Regeln bereitfanden. Denn in den Monaten vor ihrer Aufnahme in die FA mussten sie Vergleiche mit zehn gegen zehn, 14 gegen 14, 15 gegen 15 und 16 gegen 16 spielen. 1871/72 konnten sie gerade einmal drei Spiele organisieren. „Ungeachtet dessen vernachlässigte der Klub niemals das Training“, schrieb Richard Robinson in seiner 1920 erschienenen Geschichte von Queen’s Park. Isolation und regelmäßige, intern ausgetragene Spiele führten dazu, dass die dem Verein eigenen Besonderheiten immer stärker betont wurden – eine ähnliche Entwicklung wie bei den Argentiniern während der 1930er Jahre. Folglich erfuhr das Kurzpassspiel eine starke Kultivierung, befreit von lästigen Einflüssen durch echte Gegner.
„In diesen [Trainings-]Spielen“, fuhr Robinson fort, „entwickelte sich jenes Dribbeln und Passen …, welches das schottische Spiel zu einer besonderen Kunst erhob. Das Dribbeln war eine Eigenart der englischen Spielweise, und es sollte noch eine ganze Weile dauern, bis die Leute aus dem Süden kamen und erkannten, dass die Grundlagen der von Queen’s Park angewandten Technik – das Weitergeben des Balles bei starker Deckung – jene waren, welche das СКАЧАТЬ